Benin: muslimisch-christlicher Dialog

Vom 3. bis 10. Februar 2017 fand in Benin die erste Dialogrunde zwischen der Schweizer Bischofskonferenz und der Stiftung «Espace Afrique»1 statt. Thema war «Das Zusammenleben zwischen Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften in Benin und in der Schweiz». Die Kommission für den Dialog mit den Muslimen nahm unter der Leitung von Weihbischof Alain de Raemy daran teil. Erwin Tanner berichtet von seinen persönlichen Eindrücken.

Auf dem Programm standen eine zweitägige Konferenz mit hochrangigen Vertretern aus Politik, Gesellschaft, Religion und Wissenschaft in Glo-Djigbé und verschiedene Treffen mit gesellschaftlichen Würdenträgern, religiösen Führern und einfachen Gläubigen in Cotonou, Ouidah, Porto-Novo, Abomey, Parakou und Natitingou.

Tiefe religiöse Beziehung

Eindrücklich ist die mediale Begleitung vor Ort. Jeder Anlass wird registriert, sei es mit Fotos, Videos, Berichten oder Interviews. Sicher ist damit ein Eigeninteresse der Hauptorganisatoren zu einem verbesserten Marketing ihrer Dienstleistungen verbunden. Doch zeichnet sich darin auch ein erhebliches Interesse der Bevölkerung Benins am Religiösen ab. Religion scheint in Benin zum Leben der Menschen dazuzugehören und macht auch vor gesellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen nicht Halt. Ganz unbeschwert spricht etwa der Minister für Justiz und Gesetzgebung, Joseph Djogbénou, bei der Eröffnung der Konferenz2 vom Religiösen als gesellschaftlichem, selbst vom säkularen Staat nicht zu verbietenden Faktor. Die geistliche Sphäre umrahmt de facto die weltliche und relativiert diese. Damit hat jeder Mensch und jede von ihm geschaffene Einrichtung in Gesellschaft und Staat eine Mission zu erfüllen, von der auch die geistliche Welt betroffen sein kann.

Förmlich strukturierter Dialog

Entsprechend hoch ist der formelle Rahmen gesteckt. Die Organisatoren achten peinlich auf die Wahrung der protokollarischen Formen. Sicherheitskräfte begleiten die Mitglieder der Delegation auf Schritt und Tritt. Im Vergleich zu allen anderen interreligiösen Dialogrunden, an denen die Kommission für den Dialog mit den Muslimen im islamisch geprägten Raum teilnahm, ist das starre Korsett der hierarchischen Konventionen einzigartig und zugleich eigenartig. Bei allen offiziellen Empfängen und öffentlichen Begegnungen, sei es in Cotonou, Ouidah, Porto-Novo, Abomey, Parakou oder Natitingou, abgesehen von der Konferenz in Glo-Djigbé, konzentriert sich die beninische Aufmerksamkeit auf die Person des Leiters der schweizerischen Delegation, wohl nicht zuletzt, weil dieser augenscheinlich die Amtskirche verkörpert.

Direkter und humorvoller Dialog

Trotzdem verläuft der Dialog in entspannter Stimmung, ist mit viel Humor gepaart und von grosser Offenheit geprägt. So hat neben einem auf Ausgleich bedachten Imam mit seinen besonnen formulierten und aus dem Publikum mit Applaus belohnten Aussagen auch ein die Auseinandersetzung nicht scheuender Imam mit seinen unverblümt formulierten und aus dem Publikum mit Protest und Spott erwiderten Aussagen Platz in den Gesprächsrunden. Während der eine mit einer gewissen religionskritischen Haltung die beninische Wirklichkeit eines pragmatisch ausgerichteten friedlichen Miteinanders von Angehörigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften im alltäglichen Leben lobt und sich konziliant zeigt, bezeichnet der andere ohne den geringsten Selbstzweifel an der eigenen Religion das friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedenen Glaubens zwar als nach wie vor beninische Tatsache, aber stellt es zugleich herausfordernd mit einer scharfen Kritik am Christentum bzw. der Römisch-Katholischen Kirche infrage und zeigt sich konfrontativ.

Eigene Gesprächsmethode

Ein solches Gesprächsgebaren ist für die Kommission für den Dialog mit den Muslimen in ihrer über 15-jährigen Dialogerfahrung im In- und Ausland völlig neuartig und zeigt beispielhaft die Andersartigkeit der schwarzafrikanischen Gesprächskultur mit der ihr eigenen Methodik und Logik auf, in deren Zentrum das so genannte Palaver-Verfahren steht, das den einzelnen Menschen in seiner Ganzheitlichkeit wahr- und ernst nimmt, auf den Zusammenhalt des Gesellschaftsverbands mit seiner irdischen und überirdischen Dimension zielt und ihm unter Zuhilfenahme vergangener Erfahrungen eine neue Lebenskraft verleihen will3. Es ist ein Gespräch, das den einzelnen Menschen ganzheitlich in den Blick nimmt, alle Menschen – die Ungeborenen, Lebenden und Verstorbenen – einschliesst und inhaltlich umfassend ist4.

Nicht ohne traditionelle Religionen

Gesonderte Gespräche zwischen der Expertengruppe der Schweizer Bischofskonferenz und Vertretern der Islamisch-Sunnitischen Gemeinschaft sehen die beninischen Programmverantwortlichen deshalb von vornherein nicht vor. So nehmen an den Begegnungen jeweils Vertreter verschiedenster Glaubensrich tungen teil, angefangen von jenen der Römisch-Katholischen Kirche, der Himmlischen Kirche Christi5 oder der Evangelisch-Methodistischen Kirche über jene der Islamisch-Sunnitischen Gemeinschaft bis hin zu jenen des Voodoo-Kultes. Immer dabei sind auch die traditionellen Führer oder Häuptlinge, so genannte gekrönte Häupter, die in ihrer Rolle als Wahrer der gesellschaftlichen und kulturellen Tradition im Dienste eines friedlichen und gedeihlichen Zusammenlebens in Gesellschaft und Staat eine hohe Wertschätzung geniessen.

Synkretismus und religiöser Cocktail

Wo immer eine Auseinandersetzung mit dem Religiösen stattfindet, ist das Sprechen über Theorie und Praxis der traditionellen Religionen und damit auch des Voodoo-Kultes6 nicht wegzudenken. Zum einen liegt dies sicher daran, dass diese Religionen und dieser Kult im Leben der Bevölkerung Benins noch immer tief verankert sind und Elemente davon zum festen Bestandteil des Glaubens der dort sich zum Christentum oder Islam bekennenden Menschen gehören ungeachtet der Verurteilungen durch ihre religiösen Autoritäten. Zum anderen liegt dies wohl auch daran, dass Benin, in dem die Wiege der Voodoo-Religion liegt, diese Religionen wieder als Verkaufsschlager an die Öffentlichkeit bringen und ein gutes Geschäft daraus machen will, etwa am jährlich landesweit wiederkehrenden Voodoo-Fest am 10. Januar, dessen Epizentrum sich in Ouidah befindet und zahlreiche Menschen aus dem In- und Ausland anzieht. Dieser Synkretismus aus traditionellem und christlichem oder islamischem Glauben ist typisch für Benin7 und wird der Expertengruppe aus der Schweiz als besänftigender Cocktail für die Gesellschaft überreicht. Dass sich dieser Synkretismus aber letztlich als aufpeitschender Cocktail entpuppen könnte, an dem sich radikalisierte Gegenbewegungen laben, ist angesichts des Vormarsches fundamentalistischer Gruppierungen der so genannten importierten Religionen oder islamistischer oder salafistischer Strömungen allerdings eine konkrete Gefahr.

Der Mensch ist das Problem

Im Rahmen der Begegnungen betonen die Teilnehmenden, gleich welcher Glaubensangehörigkeit sie sind, dass das friedliche Zusammenleben nicht durch den Bezug der Menschen zu Gott in Frage gestellt wird, sondern durch deren unterschiedliche Auslegungen seines Wesens und Willens. So kann die Verfassung der säkularen (!) Republik Benin (11. 12. 1990) bedenkenlos vom Präsidenten der Republik Benin vor seinem Amtsantritt verlangen, folgenden Eid abzulegen (Art. 53): «Vor Gott, den Geistern der Vorfahren, der Nation und dem Volk Benins (…) schwöre ich feierlich (…)». Und sie kann auf allgemeine Weise die Angehörigen der Religionsgemeinschaften klar und deutlich auffordern, ihre Gottesverehrung und ihr Glaubensleben stets unter Achtung der öffentlichen Ordnung (ordre public) und der säkularen Staatsordnung (laïcité de l’Etat) auszuüben (Art. 23). Damit sieht das Volk Benins nicht in der Existenz Gottes ein gesellschafts- und staatspolitisches Problem, sondern im Menschen selbst und seiner Art zu denken und zu handeln. Die ständige Präsenz der Sicherheitskräfte macht dies augenscheinlich und gibt den Eindruck (vermeintlich) überall lauernder Gefahren, welche die Gesprächspartner im Rahmen der Begegnungen bei jeder Gelegenheit tunlichst als nichtig oder zumindest als geringfügig darstellen. Hinter vorgehaltener Hand äusseren sich jedoch viele in hohem Masse besorgt über die Missionierungsversuche fundamentalistischer Gruppierungen der so genannten importierten Religionen wie der Himmlischen Kirche Christi, über die Steuerung der islamischen Gemeinschaft mit finanziellen und personellen Mitteln aus dem Ausland oder über den steigenden Einfluss islamistischer oder salafistischer Strömungen wie der Terrororganisation Boko Haram.

Christlich-muslimischer Dialog

Aus den Erfahrungen in Benin kann gelernt werden:

  • Der Dialog ist gesellschaftsgeschichtlich zu verorten: Er lässt sich wirklichkeitsnah führen unter Berücksichtigung der vergangenen und gegenwärtigen kulturellen und religiösen Entwicklungen der Gesellschaft.
  • Der Dialog ist zu erden: Er verlangt den Einbezug von Akteuren der verschiedensten Ebenen der daran beteiligten Religionsgemeinschaften.
  • Der Dialog erfasst den Menschen ganzheitlich: Er ist erfolgreich, wenn er die Teilnehmenden in ihrer Seele, ihrem Geist und ihrem Herzen berührt. Ein rein intellektueller Sachdialog bringt die Menschen in ihrem Zusammenleben nicht weiter. Wenn sich zwischen allen auch persönliche Beziehungen aufbauen, lassen sich Fortschritte erzielen.
  • Der Dialog ist offen, direkt, aber zugleich besonnen und verständnisvoll zu führen: Er kann als aufrichtiger Dialog keine Themen aussparen, sondern alle, auch heikle, Fragen zulassen, sie mit «Klugheit und Liebe» ansprechen und mit Besonnenheit, Klarheit und Bestimmtheit erörtern (Vgl. Nostra Aetate 2).
  • Am Dialog können sich auch Menschen mit radikalen religiösen Ansichten beteiligen: Da in der Gesellschaft auch Menschen mit ideologisch extremen Haltungen leben und auf die Gestaltung des Zusammenlebens der Religionsgemeinschaften und ihrer Mitglieder Einfluss nehmen8, sind diese wegen ihrer nicht zu unterschätzenden Bedeutung ins Gespräch einzubinden.

 

1 www.espaceafrique.org: «La Fondation Espace Afrique est une organisation Internationale à vocation humanitaire engagée pour le développement de l’Afrique et la promotion de ses valeurs».

2 Die Konferenz fand am 4./5. Februar 2017 in Glo- Djigbé statt.

3 Vgl. Bénézet Bujo: Wider den Universalanspruch westlicher Moral. Grundlagen afrikanischer Ethik (= Qaestiones Disputatae 180), Freiburg i. Br./Basel/ Wien 2000, S. 70 ff.

4 Vgl. Adalric Félix Fidèle Jatsa: La place des non-encore-nés dans la communauté africaine. Contribution à la conception chrétienne de la personne (= Théologie africaine 2) 2016, S. 45 ff.

5 Vgl. https://de.wikipedia. org/wiki/Himmlische_Kirche_Christi.

6 Vgl. etwas Christoph Henning / Hans Oberländer: Vaudou. Les forces secrètes de l’Afrique, Köln 1996.

7 Vgl. Jérôme C. Alladaye: Le Catholicisme au Pays du Vodun, Cotonou 2003, S. 297 ff.

8 Vgl. mit Bezug auf den Islam Mireille Valette: Le radicalisme dans les mosquées suisses. Islamisation, djihad culturel et concessions sans fin, Sion 2017.

Erwin Tanner-Tiziani

Dr. iur. utr. et lic. theol. Erwin Tanner-Tiziani ist Generalsekretär der Schweizer Bischofskonferenz und Sekretär der Kommission für den Dialog mit den Muslimen.