In seiner einmaligen Identität bestätigt

Beten gehört zum Leben eines gläubigen Menschen. Er bittet, dankt, lobt und fragt Gott. Diese Gespräche mit Gott haben auch eine Auswirkung auf die Psyche des Menschen. 

Das Beten kann verschiedene Wirkungen auf die Psyche des Menschen haben. Schon die Tatsache, dass er im Gebet von Problemen, Konflikten und Verstrickungen im Alltagsleben Abstand nehmen kann, kann erlauben, einen Zustand der Entspannung und der Beruhigung zu erreichen, der sich auf die Psyche und auf psychosomatische Störungen positiv auswirken kann. Obwohl es schwierig ist, die Beziehungen zwischen Gebet und Gesundheit durch wissenschaftliche Studien zu erforschen, meinen einige Autorinnen und Autoren, dem Beten eine positive Wirkung auf Störungen mit einer psychosomatischen Komponente, zum Beispiel auf die Hypertonie (Bluthochdruck), zuschreiben zu können. 

Gebet als Begegnung

Gebetswirkungen sind immer gnadenhaft und an die Freiheit Gottes gebunden. Wie Papst Benedikt XVI in der Enzyklika Spe Salvi schrieb: «[…] ein persönlicher Gott herrscht über die Sterne, das heisst über das All; nicht die Gesetze der Materie und der Evolution sind die letzte Instanz, sondern Verstand, Wille, Liebe – eine Person. Und wenn wir diese Person kennen, sie uns kennt, […] dann sind wir frei. […] Der Himmel ist nicht leer. Das Leben ist nicht blosses Produkt der Gesetze und des Zufalls der Materie, sondern in allem und zugleich über allem steht ein persönlicher Wille, steht Geist, der sich in Jesus als Liebe gezeigt hat» (5). 

Beten heisst, mit Gott in eine Beziehung zu treten; wir vertrauen uns im Gebet Gott an. Das (Gott)Vertrauen ist eine fundamentale menschliche Erfahrung. Vertrauensbildung ist eine Herausforderung für uns und sollte stets geübt werden, da Vertrauensenttäuschungen und schwierige Erfahrungen eine Lebenswirklichkeit sind. Der Mensch ist Abbild Gottes. Der Mensch ist eine Person, die im Besonderen durch ihr Denken, ihre Willensfreiheit und ihre Liebesfähigkeit gekennzeichnet ist. Nur Gott kennt das Innere des Menschen ganz. Im Gebet erfährt der Mensch daher auch immer etwas von sich selbst.

Das christliche Gebet par excellence ist das Vaterunser, das Gebet, das Jesus uns selber gelehrt hat. Im Vaterunser haben wir die Begegnung zweier Personen. Der Betende behält dabei seine Identität als Geschöpf in seiner Beziehung zum Schöpfer und anerkennt dabei seine Grenzen, seine Gebrechlichkeit und seine Bedürftigkeit. Gleichzeitig setzt er sein Vertrauen in den gütigen Vater.

Gebet stärkt eigene Identität

Anders als in anderen Gebetsformen, wo der betende Mensch sein Ich auflöst, die Grenzen zwischen dem Ich und einem unbestimmten, unpersönlichen, am menschlichen Schicksal nicht interessierten Absoluten verschwinden, wird der gläubige Mensch im christlichen Gebet in seiner einmaligen Identität, in seiner personalen Dimension, mit seiner eigenen Berufung bestätigt, was ihm Halt, Stabilität, Orientierung und Sinn gibt. Neben den Gnaden, welche die Barmherzigkeit Gottes ihm schenken kann, stärkt das Beten auf der psychischen Ebene die Person und verleiht ihr die nötige geistige Energie, um schwierige Situationen zu überwinden und Leiden zu ertragen.

Das Gebet ist eine starke Ausdrucksform des Glaubens und Abbildung der inneren Haltung des Menschen gegenüber Gott. Das Gebet drückt die aktuelle Stimmung des Menschen aus: Wir können jubeln, bitten, danken, flehen, klagen usw. Das Alte und Neue Testament zeigen uns die Selbstverständlichkeit des Betens, das zum Leben aus dem Glauben dazugehört. Das Gebet ist die Ursprache des Menschen.

Rahel Gürber


Rahel Gürber

Dr. med. Rahel Gürber (Jg. 1965) ist Psychiaterin und Psychotherapeutin FMH sowie Präsidentin der Vereinigung katholischer Ärzte der Schweiz (VKAS), www.medcath.ch.