In Memoriam Kurt Marti

* 31. Januar 1921, † 11. Februar 2017. Es war die Zeitspanne von Kurt Martis Leben. Unvergleichliche Impulse gingen von diesem Seelsorger, Dichter und «literarischen Publizisten»1 aus. Klar, knapp und wirklichkeitsnah suchte er Fragen und Besorgnisse zu formulieren.

Eines Nachmittags im Berner Tram. Kurt Marti steigt zu und nimmt Platz. Kein Wort fällt. Es wären Fragen gewesen, die er uns gestellt hätte, denn solche formulierte seine Kunst eindringlich und subtil. Seine Feder nahm Kernerfahrungen aus Kirche und Gesellschaft auf und gab Anstoss zum Weitersehen. Markant schon «das ende vom lied», einer seiner vielen Winke zu biblischen Perikopen.2

I die freunde sagten: / mal uns ein bild / ein neues bild / ein geistliches bild / und ich malte / ein neues bild / doch siehe: das bild / das ich malte / zeigte das ende / der geistlichen bilder.

II die freunde sagten: / sing uns ein lied / ein neues lied / ein geistliches lied / und ich sang / ein neues lied / doch siehe: das lied / das ich sang / war das ende / vom geistlichen lied.

Hier wurde Johannes 3,16 Anlass zur Notiz: «die scheidung der welt in einen geistlichen und in einen weltlichen bereich verrät die weltliebe gottes.»

Weltliebe Gottes – Umkehr der Kirche

Wortkarg und verlässlich darin, die inkarnierte Weltliebe nicht zu verraten, buchstabierte Kurt Marti den Glauben bis in familiär-zärtliche Dimensionen: «VATER. Meine Kinder, die lieben Phantasten, scheinen allen Ernstes in mir ihren Vater sehen zu wollen. Ich freilich stelle mir unter ‹Vater› einen anderen vor.» Und später: «KIRCHE. Ist das Wort der Vater, dann Umkehr die Mutter der Kirche.»3 Wie ihm beim Austeilen des Abendmahls selber geschehen sein muss, schildert «Der Fürst». Einfühlendes Verhalten drängt sich ihm auf, wo ritualisierte Formen an Grenzen geraten. Ein Randständiger wird zum Fürsten, der «nichts von allem begriffen, was gesagt worden war» und dafür versuchte, «sich Gesten und Dinge desto genauer einzuprägen: Becher, Brot, Austeilung», dabei so fasziniert, «als wäre er unverhofft Zeuge des ersten Abendmahles geworden.»4

Weltleidenschaft Gottes

Kein Stiller im Land, sondern wacher Zeitgeist, verschwistert mit der Ökologie Gottes, wirkte er mit beim Atom-Denkwort.5 Es sei Zeit zu erkennen, dass es in der Natur immer auch um Gottes Sache gehe, Zeit, «die Natur heimzuholen in unsere Theologien, in unsere Gebete und Gottesdienste». Darum gelte es, «Gesellschaftsstrukturen und Lebensformen zu entwickeln, die sich nicht an kurzfristigen Vorteilen, sondern an unserer Versöhnung mit der Natur und am ökologischen Gleichgewicht orientieren». Die Gottessuche vieler Menschen war mitten in der Gesellschaft angekommen, auch durch Martis Theologie aufgebrochen ins Offene, selber mehr suchend als antwortend: «Kenne ich Gott? Ebensogut könnte man fragen: Kennt der Seestern den Ozean, in dem er lebt und stirbt? Er kennt wohl nur Wellen und Strömungen, nicht aber den Ozean. Dies ist die Proportion, in der ich die Denkskizzen von der Weltleidenschaft Gottes sehe.»

Gesellige Gottheit und Spätsätze

Seine Skizzen verdichtete er und schrieb zur «geselligen Gottheit»6: Diese sei «nicht einfach Wort». Gott «ist auch in sich selbst Gespräch … nicht einfach Befehl, er ist in sich selber Gemeinschaft». Marti zeigte aufgrund der Sprüche Salomos (8. Kap.) die gesellige Gottheit am Werk, die Bibel als geselliges Buch, stellte kritisch Fragen zur «Erwählung» von Völkern und fand, es sei «unter Erwählung» zu verstehen, «dass Pflanzen, Tiere, Menschen, dass alles, was lebt, dazu ausersehen ist, auf diesem kleinen Planeten eine Vergänglichkeit lang atmen, lieben, sich tummeln zu dürfen». Er nahm ebenso «Jesus von einer Frau zum Christus gesalbt» in den Blick wie die Religionen: «Nichts freilich erwart’ ich vom geschäftigen Supermarkt, der Religionen feilhält als tauschbare Ware oder sie gar zum Schnellimbiss hinklatscht (…). Alles erwart’ ich von der geselligen Gottheit und Ihrem Schalom, drin Anderssein sich gegenseitig bejaht.» Eben dies lassen auch seine Spätsätze ahnen, die nochmals zuspitzten, wie menschliches Dasein von der Nähe der Nächsten lebt und gelebte Nähe Wirklichkeit verbürgt: «Die Geliebte verbürgte Wirklichkeit. Jetzt bleiben bloss noch Schatten, Wirklichkeitsschatten», notierte Marti in seinen letzten Lebensjahren als «untauglicher Witwer».7 Bleibt für uns eines seiner frühen Gedichte8 als Brücke zum Dichtertheologen Kurt Marti.

durch die tür

königlich
treten gäste durch unsere tür

königlich wir
mit gartenbeethänden

königlich du
der knirps dem die klinke zu hoch ist

königlich er
der durch verschlossene tür kommt

 

1 Kurt Marti nach Empfang des Tucholsky-Preises: «Ich weiss es nicht, bin kein Prophet, bin bestenfalls imstande, Fragen und Besorgnisse zu formulieren, ein literarischer Publizist eben …» in: «Neue Luzerner Zeitung», 27. Oktober 1997, 9.

2 Kurt Marti: gedichte am rand, teufen ar, 1963 (3. Aufl. 1974), 47 u. 82.

3 Kurt Marti: Zärtlichkeit und Schmerz, Notizen, Darmstadt 1979, 40 u. 126.

4 Kurt Marti: Bürgerliche Geschichten, Darmstadt 1981, 152–155, 153.

5 Kurt Marti: Schöpfungsglaube, Die Ökologie Gottes, Stuttgart 1983, 13, und Der Heilige Geist ist keine Zimmerlinde, 80 ausgewählte Texte, Stuttgart 2000, 175.

6 Kurt Marti: Die gesellige Gottheit. Ein Diskurs, Stuttgart 1989. Zitate aus Romero-Haus-Protokollen, 27: Kurt Marti liest und erklärt (29. Mai 1990), 2, 3 ff., 5 f., 7f., 21.

7 Kurt Marti: Heilige Vergänglichkeit, Spätsätze, Stuttgart 2010.

8 Anm. 2, 66.


Stephan Schmid-Keiser

Dr. theol. Stephan Schmid-Keiser promovierte in Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie. Nach seiner Pensionierung war er bis Ende 2017 teilzeitlich Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung. (Bild: zvg)