In dynamischer Treue

Die Afrikamissonare feiern in diesem Jahr ihr 150-jähriges Bestehen. Ein Blick in die Geschichte zeigt ihren Weg durch die Zeit in Treue zu ihrem Charisma.

Aus einer Notsituation heraus wurden 1868 die Afrikamissionare und ein Jahr später die Afrikamissionarinnen gegründet. Der damalige Erzbischof von Algier, Charles Martial Allemand Lavigerie (1825–1892), wurde vor das Problem der vielen obdachlosen Waisenkinder gestellt, die wegen der allgemeinen Hungersnot und der grassierenden Choleraepidemie ihre Dörfer verliessen. Er hoffte, an Ort und Stelle Priester und Schwestern zu finden, musste aber einsehen, dass keine Kongregation ihm das notwendige Personal zur Verfügung stellen konnte oder wollte. So wurde am 19. Oktober 1868 nach mehreren Initiativen die Missionsgesellschaft der «Weissen Väter» ins Leben gerufen.

Das Evangelium nach Afrika tragen

Der 1882 zum Kardinal ernannte Lavigerie dachte seit Langem an eine missionarische Tätigkeit im damals noch unbekannten Kontinent, der sowohl geografisch wie auch politisch mehr und mehr erschlossen und besetzt wurde. Seine Überzeugungen waren klar: Das Evangelium ist zum einen durch eine Gemeinschaft von Missionaren ins subsaharische Afrika zu tragen. Zum anderen sind die Missionare nur Wegbereiter des Evangeliums. Wohin sie auch gesandt werden, vor Ort sollen sie sich zuerst die Sprache der Einheimischen aneignen und sich mit ihrer Kultur vertraut machen. Er selbst liess nur Menschen zur Taufe, die sich nach mehrjähriger Vorbereitungszeit in völliger Freiheit entschieden haben, Christ zu werden. Den Grund für die anfänglich erfolg- losen Missionen sah Lavigerie in der sofortigen Verkündigung des Evangeliums.

Aufbau der Kirche in Afrika

Mit wenigen Ausnahmen wurden anfänglich keine Afrikaner in die Gesellschaft der Afrikamissionare aufgenommen. Die Begründung war ganz im Sinne des Missionsbegriffes der «Weissen Väter»: Bei einer Berufung zum Weltpriester sollen die jungen Männer in den einheimischen Klerus eintreten, bei einer Berufung zum Mönch sollen sie entweder den Weg in europäisch gebundene Orden oder in genuin afrikanische Gemeinschaften gehen. Auf diese Weise sorgten die Afrikamissionare in Treue zum missionarischen Verständnis für den Aufbau einer dynamischen einheimischen Kirche und förderten dementsprechend auch afrikanische Gemeinschaften. Das Gleiche galt für die «Weissen Schwestern»: Sie gründeten viele afrikanische Schwesterngemeinschaften und begleiteten sie zur Autonomie. Die Frauen und Männer aus Afrika können und sollen jene sein, die die Botschaft des Christentums «auf Afrikanisch» sagen und leben. Diesem Grundanliegen kommen die Afrikamissio- nare bis heute nach.

«Weisse Väter» aus Afrika

Seit mehr als 20 Jahren bezeugen viele Afrikaner, dass sie die Berufung zum Afrikamissionar haben. Das Generalkapitel im Jahre 2010 hat zum ersten Mal in der Geschichte der «Weissen Väter» einen Afrikaner als Generaloberen gewählt. Seit 2016 nimmt der 1967 geborene P. Stanley Lubungo aus Sambia diese Aufgabe wahr.

Zu einer Gemeinschaft berufen

Von Anfang an wollte Kardinal Lavigerie internationale Gemeinschaften, denn solche stellten seiner Ansicht nach vielmehr ein echtes Bild des Christentums dar als national gebundene Gemeinschaften. Auch Schweizer fanden den Weg zu den Afrikamissionaren. Die ersten Schweizer kamen per Zufall in Kontakt mit dieser Missionsgesellschaft: So begegneten ihr Bruder Gustave Schurvey (1852–1911) – der erste Schweizer Afrika- missionar – bei seiner Arbeit in Leukerbad und Bischof Burkard Huwiler (1868–1954) während seiner Gymnasialzeit am Kollegium in Einsiedeln. Am 15. August 1911 wurde das erste Haus in Freiburg eröffnet.

Die Ausbildung der angehenden Afrikamissionare hat sich während der vergangenen 150 Jahre von einer eher abendländisch zu einer afri- kanisch geprägten entwickelt. Die Ausbildung sowohl der europäischen wie auch der afrikanischen Kandidaten fand zuerst an westlichen Universitäten statt, unter anderem auch an der Universität in Freiburg. Heute studieren die asia- tischen und lateinamerikanischen zukünftigen Afrikamissionare zuerst in ihren Heimatländern. Anschliessend werden sie an afrikanischen Universitäten und Instituten immatrikuliert, denn eine afrikanisch geprägte Ausbildung kann nur in Afrika selbst geschehen. Das «geistliche Jahr» (ehemals Noviziat), ein «Probe-Missionseinsatz» und die Theologiestudien finden jetzt grösstenteils in Afrika statt. Weitere Studien, wie zum Beispiel Islamologie und arabische Sprache, werden dort organisiert, wo sich die besten Möglichkeiten bieten.

Engagement für die orientalischen Kirchen
Man könnte die Pastoraltätigkeit der «Weissen Väter» in Jerusalem als «ausserafrikanisch» bezeichnen. Nach dem Massaker an Christen durch die Drusen im Jahre 1860 besuchte Lavigerie Syrien und den Libanon. In Damaskus dankte er dem Emir Abd el-Kader, der viele Christen beschützt hatte. Lavigerie entdeckte so die islamische Welt, die arabische Kultur und die orientalischen Kirchen.

Die Afrikamissionare sind seit 1878 in St. Anna in Jerusalem tätig und stehen in ständigem Kontakt mit den orientalischen Kirchen, die mit Rom verbunden sind. Diesem Engagement wollen sie auch weiterhin treu bleiben. Das Bemühen um die Ausbildung des griechisch-melkitischen Klerus während vieler Jahre und die gegenwärtig weiterbestehende Ausbildung des Klerus der äthiopisch-katholischen Kirche zeugen davon. Die Kirchen in Äthiopien und Ägypten erinnern daran, dass es auf dem afrikanischen Kontinent christliche Gemeinschaften gibt, die nicht dem abendländischen lateinischen Ritus angehören.

Im Dialog mit den Muslimen

Ein zentrales Element bei der Gründung der Afrikamissionare war die Option für ein missionarisches Dasein bei den Muslimen. Diese war durch das erste Engagement in Algier und auch in Karthago gegeben. Der Option für ein lebendiges christliches Zeugnis bei Muslimen sind die Afrikamissionare bis jetzt treu geblieben. Sie fördern eine aktive Empathie für die vom Islam und von der arabischen Sprache geprägten Welt, sowohl in Afrika als auch an anderen Orten; eine ansehnliche Anzahl von «Weissen Vätern» erachtet den christlich-islamischen Dialog als Teil ihrer missionarischen Berufung.

Option für Gerechtigkeit und Frieden

Auch nach 150 Jahren bleiben die Afrikamissionare und die Afrikamissionarinnen ihrem Anfangsideal treu. Doch die Dynamik ihres Charismas erfordert von ihnen, die sozialen, kulturellen und religiösen Gegebenheiten im Lichte des Evangeliums je neu zu sehen. Und dies nicht nur, was die politischen Unabhängig- keiten der afrikanischen Nationen betrifft; die Forderung des Evangeliums für Gerechtigkeit und Frieden greift auch ins internationale Zusammenleben ein. So paart sich die Treue zu den Grundsätzen der Missionsgesellschaft mit der Offenheit gegenüber der Realität.

Im Jahr 2016 entschieden die Afrikamissionare und die Missionsschwestern, dass ihr Charisma nicht nur für Afrika, sondern für die «afrikanische Welt» gilt: Wie immer auch diese «Welt» aussieht und wo sie zu treffen ist, das missionarische Engagement soll nicht geografisch begrenzt sein. Denn eine gewisse Epoche der Geschichte ist beendet und eine neue hat begonnen: jene der Mobilität. Die Migration zahlreicher Menschen ist nur ein kleiner Teil dieser globalen Entwicklung.

Kardinal Lavigerie setzte sich im 19. Jahrhundert vehement gegen die Sklaverei und den Sklavenhandel in Afrika ein. Heute spricht man nicht mehr von Sklaverei, sondern von Menschenhandel und neuerdings auch von Migrantenhandel. Viele der «Weissen Schwestern» arbeiten zusammen mit den geschundenen Opfern der Gesellschaft: Waisen, unbegleiteten Kindern, vergewaltigten Frauen und Mädchen. Sie üben den Auftrag, der am Ursprung der Missionsgesellschaft in Algier stand, weiterhin aus. Sie versuchen, ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und geben gleichzeitig durch dieses Engagement Zeugnis für Christus.

Nochmals 150 Jahre? «Bleibt eurem Charisma treu!»

 

 

Anmerkung des Autors

Die «Weissen Väter» heissen offiziell «Afrikamissionare» und die «Weissen Schwestern»
«Missionsschwestern Unserer Lieben Frau von Afrika» oder «Afrikamissionarinnen».


Roman Stäger

Pater Roman Stäger (Jg. 1934)
 ist seit 1959 Afrikamissionar. 
Er war in Algerien, Nordjemen und im Südlibanon tätig und arbeitete von 1959 bis 2006 bei Caritas Internationalis und PISAI (Rome) mit. Er ist Mitglied der Kommission für den Dialog mit den Muslimen der Schweizer Bischofskonferenz.