In der Nacht ist der Himmel offen

Weihbischof Marian Eleganti widmet sich in seinem Text dem Advent und der Ankunft des Herrn. Für ihn ist es ein Gehen in die Stille voller Mystik, das Leben verheissend.



«Schaffen wir in uns eine Stille, die sich zur Ewigkeit hin öffnet!»

(Romano Guardini).

 

Die deutschen Mystiker sprachen von Innerlichkeit und Abgeschiedenheit. Wir brauchen sie, «um die kleinen Dinge in grossen Zusammenhängen» (Edith Stein) zu sehen. Für manche kommt diese Abgeschiedenheit (Confinement) ungefragt und gegen ihren Willen. Für manche bedeutet sie den Ruin ihrer Geschäfte. Wieder andere begreifen sie als Chance und als Unterbrechung. In jedem Fall gilt es, «aus der Not eine Tugend» – also das Beste – zu machen, wie das Sprichwort sagt. Das entlastet nicht jene, die für diese Massnahmen und für ihre Verhältnismässigkeit wie für ihre Konsequenzen bzw. Unverhältnismässigkeit verantwortlich sind. Wir müssen beten. Denn die Lösung kommt von GOTT und von jenen, die auf IHN hören. Diese Haltung lässt uns nach innen gehen und bei uns selbst sein, damit das Wort Gottes in uns hineingesprochen werden kann. Davon hängt alles ab.

Gottesgeburt in uns

Die Mystiker sprechen von der Gottesgeburt in unserer Seele. Anzeichen dafür, dass diese Geburt in uns geschieht, ist die Tatsache, dass uns alle Dinge zu Gott weisen und nicht mehr von Gott trennen. Nun ist es so, dass wir uns beim Beten einer Übung unterziehen, die Dunkelheit und Tiefe enthält (Francisco de Osuna; 16. Jh.). Dunkelheit, weil wir Gott nicht unmittelbar erfahren und erkennen können in unserem Beten; Tiefe, weil wir unser Leben vor Gott nicht verlängern, nur vertiefen können. Wir müssen hinabsteigen. Mit anderen Worten: Demütig werden. Wir gleichen dem Wächter in der Nacht.

Mitten in der Nacht

Die Nacht hat in der christlichen Mystik eine grosse Bedeutung. Jesus ist in der Mitte der Nacht geboren worden und an ihrem Ende auferstanden! Der hl. Anselm von Canterbury beschreibt im Jahr 1077/78 diese Nacht des Geistes so: «Wie fern bist Du meinen Blicken, wo ich Deinen Augen doch unmittelbar gegenwärtig bin! Du bist überall, und doch sehe ich Dich nicht. In Dir bewege ich mich und in Dir bin ich, und doch kann ich nicht zu Dir kommen! Du bist in mir und um mich, und doch, ich fühle dich nicht!» (Proslogion). Auch in uns ist es Nacht, wenn Jesus in uns hineingeboren wird: Nacht des Glaubens, des Geistes und der Sinne. Wir werden dabei unseres menschlichen Wissens beraubt und unseres Bedürfnisses nach der erfahrbaren Nähe Gottes entkleidet. Aber genau in diese Nacht hinein wird das göttliche Wort Fleisch kraft des Hl. Geistes, der uns gegeben ist, und der in uns wirkt. Wir dürfen also nicht aufhören zu beten. Auf geheimnisvolle Weise steht der Himmel offen und neigt er sich uns zu bei jedem Seufzer, den wir an GOTT richten.

+ Marian Eleganti

Marian Eleganti

Marian Eleganti

Marian Eleganti (Jg. 1955) ist Weihbischof des Bistums Chur und in der Schweizer Bischofskonferenz hauptverantwortlich für das Gesundheitswesen.