«Sie verkündigen das Evangelium von Jesus, dem Christus» (Apg 5,42)

 

Immer zu benennen
den Baum, den Vogel im Flug,
den rötlichen Fels, wo der Strom
zieht, grün, und den Fisch
im weissen Rauch, wenn es dunkelt
über die Wälder herab.

Zeichen, Farben, es ist
ein Spiel, ich bin bedenklich,
es möchte nicht enden
gerecht.

Und wer lehrt mich,
was ich vergass: der Steine
Schlaf, den Schlaf
der Vögel im Flug, der Bäume
Schlaf, im Dunkel
geht ihre Rede –?

Wär da ein Gott
Und im Fleisch,
und könnte mich rufen, ich würd
umhergehen, ich würd
warten ein wenig.

(Johannes Bobrowski)

 

Weihnachten – das ist ein Dogma. Was sollte es anderes sein? Weihnachten feiert den Glauben der Christenheit, Gott sei selbst Mensch geworden in seinem «Wort», seinem «Sohn». Ohne Glauben an die Menschwerdung gibt es keinen christlichen Glauben. Gleiches gilt für die Auferstehung. Doch obwohl Weihnachten und Ostern selbstverständlich gefeiert werden, ist vermehrt auch aus theologischen Kreisen zu hören, man sollte doch mehr von Jesus erzählen und nicht mehr von «den Dogmen». Es wird warnend prophezeit, dass sich immer weniger Menschen für die Kirche und ihre Botschaft interessieren würden, wenn diese weiterhin an ihrem «dogmatischen» Glauben festhalte.

Religionspädagogische Studien bestätigen den zweifelhaften Ruf des Dogmas, indem sie zeigen, dass in der Katechese oft «Jesulogie» stattfindet, während christologische Inhalte kaum vorkommen. Christologische Aussagen sind naturgemäss schwer verständlich, da paradox: wahrer Mensch und wahrer Gott – gestorben, aber auferstanden – nicht hier, und doch gegenwärtig. Ausserdem scheinen die mit dem christologischen Bekenntnis verbundenen Wahrheitsansprüche vielen nicht mehr legitim zu sein. Nicht nur in der Katechese verbleibt die Verkündigung manchmal auf der Ebene des vorbildhaften Lebens und Wirkens Jesu und seiner Botschaft des Gottesreiches. Die Gottesreichverkündigung ist selbstverständlich der Boden, auf dem das Ganze steht – aber die Heilsansage des Evangeliums damit noch nicht hinreichend eingelöst.

«Lässt sich das Dogma überhaupt noch vermitteln?», fragen heute selbst Fachleute. Die Frage ist nicht rhetorisch gemeint. Gleichzeitig wird auf sinnstiftende Erzählungen und Rituale des Glaubens verwiesen, die durchaus noch als zukunftsfähig erachtet werden. Was kann dies anderes bedeuten, als dass das Verständnis für den inneren Zusammenhang von Glaubenslehre und Glaubensvollzug verloren gegangen ist? Oder hat sich der Glaube vermeintlich aufgelöst in einen Humanismus, der sich aus traditionellen, ja nostalgischen Gründen dann doch noch religiöser Symbolsprache und Feierlichkeit bedienen mag? «Dogmen abschaffen» jedenfalls würde in letzter Konsequenz bedeuten, nicht mehr Weihnachten zu feiern, und auch nicht Ostern.

Wenn wahr ist, was wir als Christinnen und Christen sagen und feiern, dann nur, weil die personale Begegnung mit Jesus, dem Christus, dies selbst verbürgt. Es ist die Erfahrung seiner Gegenwart, welche christliche Verkündigung legitimiert. Und dies macht sie dringlich. Denn es gibt sie, die Menschen, die «warten ein wenig». Die letzte Strophe des Gedichts von Johannes Bobrowski spricht von einer Hoffnung, die wir nicht enttäuschen dürfen. Es ist mit nichts weniger getan, als mit einem Gott im Fleisch. Ihn zu verkündigen, ist unsere Aufgabe.

Nicola Ottiger*

 

* Dr. Nicola Ottiger (Jg. 1970) ist Dozentin am Religionspädagogischen Institut Luzern (RPI) für Dogmatik, Fundamentaltheologie und Liturgiewissenschaft sowie Mitherausgeberin des neuen Firmbuchs. (Bild: Othmar Wüest)