Im Kreuz ist Heil - im Kreuz ist Leben

Die Liturgie des Karfreitag als ganzheitliche Feier

Die «Feier vom Leiden und Sterben Christi» am Karfreitag ist als Teil einer Drei-Tage-Feier von Ostern ein ungewöhnlicher und gleichzeitig tief berührender Gottesdienst. Verbale und nonverbale Elemente gehen hier eine besonders enge Verbindung ein.

Da ist zunächst die Proklamation der Johannespassion, in der Christus verkündet wird als das Pesachlamm, das als König auf seine Erhöhung am Kreuz zugeht. Keine andere Passionserzählung nimmt die Hörenden so direkt hinein in das Leiden Christi, das den Zeugnissen zufolge zur neunten Stunde seinen Höhepunkt nahm, also zu der Stunde, zu der sich die jetzt Versammelten zum Gedenken des Todes Jesu versammelt haben. Ein weiteres gewichtiges Wortelement dieses Gottesdienstes stellen die Grossen Fürbitten dar. Eindrucksvoll sind sie nicht nur durch die Breite der Anliegen, sondern insbesondere durch ihre Inszenierung. Hier wird deutlich, dass Gebet ein intensives Geschehen ist, an dem der Einzelne durch sein je persönliches flehentliches Gebet in kniender Gebetshaltung und die Gemeinschaft der Getauften in aufrechter Gebetshaltung zusammenwirken.

Doch sind es nicht nur diese Wortgestalten, die der Karfreitagsliturgie ihr besonderes Gepräge geben. Schon der Beginn des Gottesdienstes ist ungewöhnlich. Da strecken sich der Vorsteher und seine Assistenz vor Gott auf dem Boden aus – und kein Wort stört diese tiefe Geste der Hingabe. Leider hindern die Kirchenbänke daran, dass die ganze versammelte Gemeinde die Möglichkeit hat, diese Prostratio ebenfalls zu üben. Alle Mitfeiernden jedoch sind zur Verehrung dessen eingeladen, der am Kreuz Sünde und Tod besiegt hat. Diese Kreuzverehrung ist nicht beiläufig oder gar verzichtbar, denn sie ist direkte Reaktion auf die Begegnung mit der Heilsbotschaft der Passion. Prozession zum Kreuz, Kniebeuge oder Kuss als Verehrungsgesten lassen sinnenhaft erleben, dass der Tod Christi Heilsbedeutung hat im Hier und Jetzt. Die Verehrung des Kreuzes ist ein ohne Worte gesprochenes Glaubensbekenntnis und tiefer Ausdruck der Hoffnung, dass im Kreuz das Heil ist. Die Antiphon, die zur Kreuzverehrung gesungen wird, ist entsprechend Ausdruck der Freude, die «wegen des Kreuzes» die Welt erfüllt: «Dein Kreuz, o Herr, verehren wir, und deine Auferstehung preisen und rühmen wir. Denn siehe, wegen des Kreuzes ist Freude in die Welt gekommen.»

Die Karfreitagsliturgie und der jüdisch-christliche Dialog

Das Johannesevangelium betont die Freiwilligkeit, mit der sich Jesus in Gehorsam gegenüber dem Vater dem Tod übergab. Doch gleichzeitig schreibt es dem jüdischen Volk die Verantwortung für das Leiden und den Tod Jesu zu. Die Kirche rechtfertigte damit über viele Jahrhunderte die Verachtung gegenüber den Juden. Heute ist unbestritten, dass das jüdische Volk trotz seines Neins zu Jesus weiterhin von Gott geliebt und von ihm erwählt ist. Im Beten muss dies seinen Niederschlag finden.

Der zweite, fakultativ vorgesehene Gesang zur Kreuzverehrung, die sogenannten Improperien, rezitieren Vorwürfe und Anschuldigungen, die die Gemeinde in das Drama der Passion hineinstellen sollen. Mittels alttestamentlicher Zitate wird den Wohltaten Gottes der Ungehorsam des Volkes gegenübergestellt. In der Liturgie des Karfreitags werden diese Anschuldigungen Christus in den Mund gelegt, die, so war man sich über Jahrhunderte einig, gegen das Volk Israel gerichtet sind. Heute sollen die Anschuldigungen gehört werden als Erinnerung an die Schuld der Christen und ihre Verantwortung für Passion und Kreuzigung. Doch ist dies möglich, wenn es heisst: «Mein Volk, was habe ich dir getan? Oder wodurch habe ich dich betrübt? Antworte mir. Aus der Knechtschaft Ägyptens habe ich dich herausgeführt. Du aber bereitest das Kreuz deinem Erlöser.»

Kann man nach der Shoah heute noch verantwortlich so zur Kreuzverehrung singen? Stellt sich das erneuerte Verständnis bei den Mitfeiernden ein, wenn gesungen wird: «Vierzig Jahre habe ich dich geleitet durch die Wüste. Ich habe dich mit Manna gespeist und dich hineingeführt in das Land der Verheissung. Du aber bereitest das Kreuz deinem Erlöser?» Und weiter: «Was hätte ich dir mehr tun sollen und tat es nicht? Als meinen erlesenen Weinberg pflanzte ich dich, du aber brachtest mir bittere Trauben, du hast mich in meinem Durst mit Essig getränkt und mit der Lanze deinem Erlöser die Seite durchstossen.» Können diese Sätze gehört werden unter Absehung einer Schuldzuschreibung an das jüdische Volk?

Es seien keineswegs die Juden, denen die christliche Gemeinde in diesem Gesang zur Kreuzverehrung die Schuld am Kreuzestod Christi unterschiebt, sondern man müsse die liturgische Situation des «ego – tu» beachten: Da die Improperien im Gegenüber zur Gemeinde gesungen werden, sei es die Gemeinde selbst, die hier als Angeklagte vor ihrem Richter stehe. «Es sind nicht die Juden (von damals), sondern es ist die Sünde der Heutigen, die Sünde der zum Gottesdienst versammelten Gemeinde, die Christus in den Tod geführt hat», schreibt Reinhard Messner.1 Deshalb versteht er die Anschuldigungen als eindringlichen Ruf zur Umkehr.

Theologisch mag dies stringent sein. Doch können die Mitfeiernden der Karfreitagsliturgie dies ohne Erläuterung verstehen? Braucht es nicht eine Korrektur des Textes bei Wahrung der Tradition der Gerichtsrede zur Kreuzverehrung? Die Arbeitsgruppe «Fragen des Judentums» der Deutschen Bischofskonferenz hat im Jahr 2000 eine alternative, unmissverständliche Gestaltung der Improperien für die Karfreitagsliturgie vorgelegt (vgl. unten).

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Die Improperien für den Karfreitag

Die Liturgie des Karfreitag gibt den Gesang der Improperien als fakultativ an. Andere Gesänge sind also möglich.

Im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz wurde zum Heiligen Jahr im Jahr 2000 ein alternativer Text zu den Improperien erarbeitet:

Mein Volk, was habe ich dir getan,
womit nur habe ich dich betrübt?
Antworte mir!

Aus allen Völkern habe ich dich berufen.
Das Evangelium der Befreiung habe ich dir gebracht.
Du aber hast anderen Lasten auferlegt. Hagios …

Deinetwegen habe ich das Kreuz auf mich genommen,
auf meinen Schultern deine Schuld getragen.
Du aber hast mich vor den Menschen verleugnet. Hagios …

Die Liebe zu den Brüdern und Schwestern habe ich dir
vorgelebt, dich zu Gottes erwähltem Volk hinzuberufen.
Du aber hast mich mit ihm unterdrückt. Hagios …

Ich habe dich gesandt, den Völkern die frohe Botschaft zu verkünden,
den Gefangenen Freiheit, den Trauernden Trost.
Du aber hast meinen Namen missbraucht. Hagios …

Am Kreuz habe ich für meine Peiniger gebetet.
Ich habe dir aufgetragen, dem anderen zu vergeben.
Du aber hast deine Gegner verfolgt. Hagios …

Die gleiche Würde aller Menschen habe ich dich gelehrt.
Juden und Heiden, Sklave und Freie, Männer und Frauen sind eins in mir.
Du aber hast andere beherrscht. Hagios …

Die Barmherzigen habe ich selig gepriesen. Barmherzigkeit
will Gott, nicht Opfer. Du aber warst erbarmungslos
gegenüber denen, die anders denken. Hagios …

Quelle: Wiederentdeckung der Verbundenheit der Kirche mit dem Judentum. Arbeitshilfe. Hrsg. vom Beauftragten der Deutschen Bischofskonferenz für das Heilige Jahr 2000, Weihbischof Dr. Hans-Jochen Jaschke (= Das Heilige Jahr. Arbeitshilfe 15). Bonn, 2. erweiterte Auflage 2000, 188.

 

 

1 Reinhard Messner: Einführung in die Liturgiewissenschaft. Paderborn 22009, 351–355, hier 354.

 

Birgit Jeggle-Merz (Bild: unilu.ch)

Birgit Jeggle-Merz

Dr. theol. Birgit Jeggle-Merz ist Ordentliche Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Hochschule Chur und a. o. Professorin in derselben Disziplin an der Universität Luzern.