«Ihm seid gehörig»

Verklärung des Herrn: Mt 17, 1–9; Heinrich Bullingers Leseart

Heinrich Bullinger, der Nachfolger von Huldrych Zwingli als Antistes in Zürich, kannte selbstredend dessen Gepflogenheit, den eigenen Werken den Vers Mt 11,28 als Motto voranzustellen (SKZ 26/2017 S. 347). Bullinger führte diese «Tradition» Zwinglis mit einem anderen Schriftwort weiter, nämlich mit Mt 17,5 (z. B. 1,111): «Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören» (Einheitsübersetzung 1980 / Evangelium zum Fest der Verklärung). Beide Schriftworte unterstützen die Zürcher Reformatoren in demselben Anliegen: christliches Leben allein an Jesus Christus zu orientieren und an ihn zu binden.

So, wie Zwingli mit seinem Motto dazu anleitet, zu Jesus Christus und zu niemandem anders zu kommen, so mahnt Bullingers Leitvers dazu, auf Jesus Christus und auf niemanden anders zu hören. In seinem 1546 veröffentlichten Kommentar zum Matthäusevangelium unterstreicht Bullinger zu dieser Stelle, dass die Glaubenden nur von einem Mund abhängen: Jesus Christus ist Lehrer der himmlischen Wahrheit. Deswegen hebt Bullinger aus den verschiedenartigen Hintergründen für das Motiv der Wolke vornehmlich Lev 16 bzw. die Tradition vom Offenbarungszelt hervor. Jesus nimmt den Ort der Bundeslade ein. «Von diesem Aufsatz der Bundeslade herab wurden auch die Weissagungen verkündet. […] Mose ging ins Zelt, empfing die Antworten Gottes und trug sie vor das Volk. Nun ist es aber Christus, durch den der himmlische Vater zu uns spricht und den allein zu hören er uns befohlen hat, indem er sagte: Dies ist mein geliebter Sohn, durch den meine Seele versöhnt worden ist; auf ihn hört!» (3,608).

Allein auf Jesus Christus hören

Wie Bullinger dieses Hören versteht, lässt sich interessanterweise daran ablesen, wie er den Schriftvers im Zitat eines Briefes von Cyprian von Karthago aufnimmt. Voll und ganz stimmt er dem Kirchenvater zu, wenn dieser schreibt: «Dass man allein Christus hören soll, bezeugt auch der Vater vom Himmel herab, indem er sagt [Mt 17,5]: ‹Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; auf den hört. Wenn man also allein auf Christus hören soll, so dürfen wir nicht darauf achten, was ein anderer vor uns zu tun für nötig hielt, sondern darauf, was Christus als Erster getan hat, der vor allen anderen ist. Denn man soll nicht der Gewohnheit eines Menschen folgen, sondern der Wahrheit Gottes» (1,323; vgl. 2,103). Im Kontext von Ausführungen über das Abendmahl wendet Bullinger dieses Zitat jedoch gegen Cyprian selbst. Denn dieser sei inkonsequent: Gegen Kreise, die in seiner Zeit das Abendmahl lediglich mit Wasser feierten, mahne er zum Hören auf Jesus Christus, wolle seinerseits aber dem Wein Wasser beigemischt sehen. Damit geht er, wie Bullinger anprangert, ebenfalls über das einfache Zeugnis der Schrift hinaus. Cyprians richtige Mahnung, dass das Abendmahl «nach dem Wort des Evangeliums gefeiert werden soll», richtet sich gegen den Urheber selbst (vgl. Dekade 5,9: 5,453–456) und wird für Bullinger in den zeitgenössischen Abendmahlskontroversen relevant.

Dieser Umgang mit Cyprian ist charakteristisch für den theologischen Ansatz Bullingers. Wie andere Reformatoren hat er eine profunde Kenntnis der theologischen Tradition. Auch die altkirchliche Bekenntnistradition ist Bullinger bedeutsam. Es wird ihn bestärkt haben, dass eines der Glaubensbekenntnisse, die er den Dekaden voranstellt, auf Mt 17,5 verweist (Glaubensbekenntnis des ersten Konzils von Toledo, 400: 3,46). Weil aber Mt 17,5 gilt, ist der Tradition nur insoweit zu folgen, als sie der Schrift nicht entgegensteht. Bereits Zwingli hatte dies in Artikel 14 der Thesen zur Ersten Zürcher Disputation 1523 nachdrücklich betont: «Er sagt nicht: ‹Hört auf einen anderen, hört auf die Kirchenväter, hört auf die Philosophen!›, sondern: ‹Hört auf den!›. Darum soll nur das Evangelium gepredigt werden.»2

Besonderheiten der Übersetzung

Zwei Besonderheiten fallen in der Übersetzung der Zürcher Reformatoren auf. Bullinger übersetzt ins Lateinische «in quo placata est anima mea», ins Deutsche: «durch den meine Seele versöhnt worden ist» (1,11.57) bzw. «durch den ich versöhnt worden bin» (1,475). Der Vater bezeugt demnach bei der Taufe (vgl. Mt 3,17) ebenso wie bei der Verklärung, dass er – so Zwingli – «durch seinen Sohn gnädig gestimmt und versöhnt werde».3 Ähnlich formuliert Bullinger: «Mit dieser gottlosen Welt ist der himmlische Vater versöhnt worden durch seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus» (4,290). Solche Aussagen stehen im Rahmen damals geläufiger Theologien, reiben sich in dieser Formulierung jedoch mit dem biblischen Verständnis von Versöhnung, demzufolge nicht Gott versöhnt wird, sondern wir mit Gott versöhnt werden. Ohnehin dürfte die Aussage vom «Wohlgefallen» Gottes im Evangelientext christologisch und nicht soteriologisch zu verstehen sein.

Umso bedeutsamer ist eine zweite Besonderheit, die sich aus der frühneuhochdeutschen Version von Mt 17,5 ergibt. In der Froschauer Bibel (1531) heisst der Nachsatz: «dem soellend ir gehoerig sein», «ihm seid gehörig». Peter Opitz sieht die Ambivalenz der Formulierung als gewollt an: «Christus ist der Lehrer, auf dessen Wort es zu hören gilt, und er ist dies, weil er der Versöhner ist, der ‹Bräutigam› der Kirche, dem es ‹anzugehören› gilt. Indem Ersteres geschieht – und nur so –, realisiert sich das Letztere.»4 Die christologisch begründete Einladung zum Hören beinhaltet einen existenziellen Heilsaspekt: Das Hören geht mit Verbundenheit und Zugehörigkeit einher.

 

 

 

1 Seitenzahlen verweisen auf Heinrich Bullinger: Schriften. 7 Bde. Hrsg. im Auftrag des Zwinglivereins von Emidio Campi, Detlef Roth und Peter Stotz. Zürich 2004–2007.

2 Huldrych Zwingli: Schriften. Hrsg. im Auftrag des Zwinglivereins von Thomas Brunnschweiler und Samuel Lutz. Zürich 1995, 1,84.

3 Zwingli, Schriften 1,198.

4 Peter Opitz: Eine Theologie der Gemeinschaft im Zeitalter der Glaubensspaltung. In: Zwingliana 31 (2004) 199–214, 213.

Eva-Maria Faber

Eva-Maria Faber

Prof. Dr. Eva-Maria Faber ist Ordentliche Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Theologischen Hochschule Chur