«Ich will eine Fragende bleiben»

Die Zeitschrift «Melchior»1 ist jung und wird von jungen Katholikinnen und Katholiken aus der Schweiz und Österreich publiziert. Was ist ihre Motivation? Die SKZ sprach mit der Redaktorin Magdalena Hegglin.

Magdalena Hegglin studierte Philosophie und Germanistik. Sie ist Buchhändlerin und leitet in Kooperation das christliche Orientierungsjahr «oasis». (Bild: zvg)

 

«Melchior» – die Zeitschrift mit den reichhaltigen Beiträgen, tiefschürfenden Gesprächen, schönen und eindrucksvollen Bildern, berührenden und motivierenden Lebensgeschichten – ist eine Ausnahme. «Melchior» steht quer zum Trend in der gegenwärtigen Medienlandschaft. Diese steht unter einem starken Digitalisierungsdruck. Die Printmedien wie auch ihre Abonnentenzahlen sind rückläufig. Junge Leserinnen und Leser sind digital unterwegs. Ich treffe mich mit der Redaktorin Magdalena Hegglin im Kloster Maria Opferung in Zug zum Gespräch. Sie ist seit Anfang dabei und leitet mittlerweile die Redaktion dieses jungen und erfrischenden Magazins.

SKZ: Frau Hegglin, Sie setzten zusammen mit anderen Redaktorinnen und Redaktoren vor acht Jahren mit «Melchior» auf ein Printmedium. Weshalb?
Magdalena Hegglin: Als wir das Projekt starteten, meinten einige Stimmen, ein Printmedium könne heute nicht bestehen, es sei von Anfang an zum Scheitern verurteilt. «Melchior» gibt es immer noch. Es funktioniert. Wir fragten uns: Was lesen wir selbst gerne? Ich halte lieber eine Zeitschrift in den Händen, als dass ich Texte digital lese. Es braucht das Sinnliche, Haptische und Konkrete, gerade in einer mehr und mehr digitalisierten Welt. Ich mache ein grosses Bedürfnis nach Sinnlichem unter jungen Menschen aus. Natürlich sind wir ergänzend zum Printmedium auch digital unterwegs. Wir sind auf Instagram und veröffentlichen jeweils drei Texte einer Ausgabe auf unserer Webseite. Auch für unsere internationale Zusammenarbeit nutzen wir mit Gewinn die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation.

Welche Kriterien sind leitend, wenn Sie eine Ausgabe inhaltlich planen?
Eine wichtige Leitlinie bei der Themenwahl sind die Zeichen der Zeit. Was liegt in der Luft? Beispielsweise leben wir in einer sehr materialistischen Welt. Aber zum «Material», das wir selber sind, zur eigenen Leiblichkeit beobachte ich eher einen abstrakten Zugang. Als eine weitere Zeitenstimme nehme ich die Effizienz wahr. Vieles dreht sich um Erfolg und reinen Nutzen. Daraus ist das Thema der Fruchtbarkeit entstanden. Fruchtbarkeit ist eine ganz andere Kategorie als Effizienz. Was bedeutet es, dass ich Leben hervorbringen kann? In Kürze könnte man sagen, dass uns die grossen existenziellen Themen des Lebens beschäftigen. Bisweilen finden auch kirchliche Themen eine Art Echo im Heft. Papst Franziskus rückte im letzten Jahr den hl. Josef ins Zentrum. Das führte zu einer vertieften Beschäftigung mit dem Thema «Vaterschaft». Aber auch wenn wir Redaktorinnen und Redaktoren einen katholischen Hintergrund haben, ist «Melchior» kein Kirchenblatt, das sich mit kircheninternen Themen befasst. Im vierköpfigen Redaktionsteam war übrigens auch noch nie ein Theologe vertreten. Das ist eine Gratwanderung. Wir haben den Weg jedes Mal neu zu finden. Eine wichtige Leitschnur ist die Sehnsucht. Wir wollen die Sehnsucht wecken nach dem Schönen, Wahren und Guten. Die Beiträge sollen Fenster öffnen und Fragen auslösen. Ich mache selber die Erfahrung: Je mehr ich mich mit einem Thema befasse, desto mehr beginne ich zu staunen. Das will ich weitergeben. Wenn mir eine Leserin schreibt, sie habe durch einen Beitrag neu staunen gelernt, ist für mich dies das schönste Lob. Ich will die Menschen mitnehmen auf unserem tastenden Weg nach mehr an Leben, an Schönem, Wahrem und Gutem. Dabei bildet das Hauptkriterium die Wirklichkeit. Bei unserer Arbeit ist die Frage leitend: Was kommt uns entgegen? Das erfahre ich in persönlichen Gesprächen und Begegnungen. Das Persönliche ist zentral, die Mitte unserer Arbeit oder mit einem anderen Bild gesprochen: der goldene Faden, der sich durch alle unsere Arbeit zieht. Wenn wir die Zeitschrift gestalten, haben wir vor allem die 20- bis 40-Jährigen im Fokus: Was ist ihre Lebenssituation? Wie können wir das Thema der nächsten Ausgabe noch mehr auf ihre Situation hin angehen? Und zu guter Letzt legen wir ein besonderes Augenmerk auf die grafische Gestaltung und die Papierqualität. Das Magazin soll schön sein.

Wie gehen Sie eine Ausgabe praktisch an?
Kurze Zeit nach dem Erscheinen einer Ausgabe treffen wir uns im Redaktionsteam zu zwei Tagen intensiver inhaltlicher Arbeit für die nächste Ausgabe. Wir treffen uns entweder hier in Zug oder in Wien. Wir tragen die gesammelten Ideen zusammen. Wir schreiben sie auf Zettel auf, sortieren die Themen und entwickeln sie weiter. Wir hören einen philosophischen Impuls zum gewählten Schwerpunkthema. Das hilft, in die Tiefe zu gehen und das inhaltliche Profil zu schärfen. Am Schluss dieses Prozesses planen wir die nächste Ausgabe Seite um Seite auf einem grossen Tisch. Wir bestimmen, was auf jeder der 92 Seiten zu stehen kommt. Da spielt die Dramaturgie eine wichtige Rolle; es braucht eine gute Mischung und Abwechslung zwischen inhaltlich leichten und schwereren Themen; es braucht Bilder und Illustrationen. Die Aufgaben werden verteilt, aber erst Monate später, nach vielen Begegnungen, Zoomsitzungen und langem Feilen kommen die Kartonkisten aus der Druckerei.

Sie haben ein besonderes Finanzierungskonzept: Sie geben einen Richtpreis an. Der Leser zahlt den Betrag, der ihm «Melchior» wert ist.
Wir haben dieses Finanzierungskonzept gewählt, damit wir mehr Menschen erreichen können. Jene, die mehr als den Richtpreis geben, ermöglichen uns, das Magazin für junge Menschen gratis aufzulegen. Inspiriert hierfür hat uns Maximilian Kolbe mit seinem Presseapostolat. Uns ist wichtig, dass der Leser nicht einfach ein Konsument ist, sondern das Mass bestimmt, in welchem er unsere Arbeit unterstützen will. Das Magazin ist aus demselben Grund auch komplett werbefrei. Natürlich heisst das auch: je mehr Spenden eingehen, desto grösser werden unsere redaktionellen Möglichkeiten.

Was schätzen die Leserinnen und Leser an Ihrem Magazin?
Das Hoffnungsvolle, das «Melchior» ausstrahlt. Sie schätzen, dass wir die existenziellen Themen des Lebens in einem hoffnungsvollen Grundton angehen, auch Schuld, Leid und Tod. Diese tragische Trias, um Viktor Frankls Worte zu leihen, wird oft verdrängt oder schöngeredet. Wir versuchen, selbst das Leiden, den Tod und die Schuld zu kontrollieren. Für die Ausgabe «Im Angesicht des Todes» von Herbst 2021 fragten wir deshalb bewusst: «Was bedeutet es für mich, dass ich sterbe?» Wir suchten das persönliche Gespräch. Bei diesem Thema musste ich bei den Anfragen Angst überwinden. Darf ich bei einem Schwerkranken anklopfen und übers Sterben reden?

Wenn ich «Melchior» lese, nehme ich ganz viel Herzblut wahr. Was ist Ihre Motivation?
In der Kinderzeitschrift «Spick» gab es früher eine Rubrik «Leben und Leute». Bei meinen vielen Berufswünschen war auch der der Journalistin. Ich wollte solche Texte schreiben wie jene, die ich mit Begeisterung unter «Leben und Leute» las. Mich interessieren die Menschen und die Sprache. Ich liebe Begegnungen. Begegnungen öffnen Türen, ich erlebe Überraschendes, was ich bei aller sorgfältigen Gesprächsvorbereitung nicht erwartet habe. Die Überraschungen sind wie gute Störungen, die mich aufmerken lassen. Stets habe ich nachher mehr Fragen als vorher. Ich will eine Fragende bleiben. Ich frage, suche und finde und frage neu. Mir ist es sehr wichtig, dass wir im Redaktionsteam zu einer gemeinsamen Haltung finden. Ich hörte 2019 die Antrittsvorlesung des Regisseurs Wim Wenders anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an der Universität Freiburg i. Ü. Er sprach vom liebevollen Blick. Damit sprach er mir aus dem Herzen. «Dieser liebevolle Blick sah das Wesen der Menschen, auch der Stadt und der Dinge vor ihm, so daß davon irgendwie mehr ‹sichtbar› wurde, daß im Licht dieses Blicks alles ‹haltbarer› und dauerhafter erschien, und damit […] tatsächlich ‹wirklicher›.» Das wünsche ich mir. Ich möchte mit einem liebevollen Blick in die Begegnung gehen, mit einem Blick, der das Gegenüber sieht. Das kann auch kritische Fragen beinhalten. Mein Herzensanliegen ist, dass das Thema am Persönlichen sichtbar wird, am persönlichen Leben ganz unterschiedlicher Menschen.

Interview: Maria Hässig

 

1 Mehr Informationen zum Melchior Magazin unter: https://melchiormagazin.com