SKZ: Frau Gut, Sie waren an der Katholischen Universitätsgemeinde (KUG) ehrenamtlich aktiv. Was gefiel Ihnen an diesem Engagement und inwieweit prägte dieses Engagement und die damit verbundenen Erfahrungen Ihr Kirchenbild?
Anna-Christina Gut: Mir gefiel die Breite an Themen, die wir einbringen durften. Wir veranstalteten Filmabende, Lyrikateliers und vieles mehr. Es waren Angebote weit über spezifische Glaubensthemen hinaus. Noch früher als die KUG Basel haben meine Kindheitserfahrungen in Taizé mein Kirchenbild geprägt. Jedes Jahr im Herbst fuhr meine Familie nach Taizé. Die Lieder und das gemeinsame, mehrstimmige Singen haben mir immer gefallen und tragen mich bis heute. Es stiftet Gemeinschaft. Die Verbundenheit untereinander ist für mich das Wesentliche von Kirche. Eine ähnliche Erfahrung von Gemeinschaft machte ich während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 an der KUG in Basel. Wir waren zwei Studierende und der Uni-Seelsorger, die sich regelmässig während der Osterzeit zum gemeinsamen Beten trafen. Diese regelmässigen Treffen stärkten und schufen ebenfalls Gemeinschaft. Ein weiterer Ort, an dem ich Heimat erfahre, ist im Sonntagsgottesdienst an meinem Herkunftsort im Kanton Zug. Einerseits gibt mir der Gottesdienst an sich sehr viel, andererseits kenne ich die Kirchenbesucherinnen und Kirchbesucher und nach dem Gottesdienst trifft man sich, hat Zeit und plaudert über die Woche.
Sie studieren Germanistik fürs Höhere Lehramt. Wenn Sie als Germanistin auf die Sprache der Kirche schauen, was wünschen Sie sich?
Ich liebe schöne Metaphern und die Bibel ist voll davon. Wichtiger als die Sprache der Bibel ist mir aber die Sprache der Menschen, die das Christentum vermitteln und ob diese Menschen eine Botschaft haben. Entscheidend ist für mich, ob ich aus der Predigt etwas für mich und mein Leben mitnehmen kann. Es gibt Prediger, die während der Predigt nur von sich und ihren Erfahrungen sprechen. Das kann ein gelungener Einstieg sein, aber danach erwarte ich, dass die Botschaft darüber hinausführt. Das Christentum verfügt über einen grossen spirituellen Schatz. Diesen haben wir neu zu heben. Spiritualität ist heutzutage sehr gefragt. Für mich ist das besondere an meinem Glauben: Wir Christinnen und Christen haben eine lebensbejahende Spiritualität. Es ist schade, dass dieser Schatz für viele Menschen verborgen ist. Im Blick auf die Sprache lehramtlicher Verkündigungen kann ich nichts sagen. Ich weiss, dass es sie gibt. Sie sind jedoch ausserhalb meiner Lebenswelt. Entscheidend ist für mich das, was vor Ort passiert.
Was hat Sie motiviert, einen Essay zum gestellten Thema zu schreiben?
Die Ausschreibung löste bei mir die Frage aus: Was habe ich für eine Vision von Kirche? Diese habe ich versucht in Worte zu fassen. Ich bin beeindruckt von Seelsorgerinnen in Altersheimen, von Menschen, die sich ehrenamtlich oder beruflich an unscheinbaren Orten für Menschen einsetzen. Ich kenne Gottesdienste für an Demenz erkrankte Personen. Die bekannten Rituale geben ihnen Halt. Dieses Engagement schreibt keine Schlagzeilen. Der Lohn ist Dankbarkeit der Angehörigen, das Lächeln einer dementen Frau, die leuchtenden Augen eines erkrankten Mannes. Es ist mir ein grosses Anliegen, diese unsichtbare Arbeit sichtbar zu machen und ihre Wichtigkeit aufzuzeigen. Hier sehe ich die Zukunft der Kirche. Sie wirkt im Kleinen und Verborgenen. Ein praktisches Beispiel aus meinem Alltag: Ich kann mir die Universitätsbibliothek als einen neuen Ort der Kirche vorstellen. Es wäre sehr wünschenswert, wenn eine Seelsorgerin oder ein Seelsorger dort präsent wäre und die Studierenden spontan anklopfen könnten, wenn ihnen beispielsweise die Prüfungen über den Kopf wachsen. Es braucht eine Präsenz der Kirche an den Orten, wo die Menschen sind. Kirche ist da und hat Zeit. Die Herausforderung wird sein, dieses einfache Da-Sein auszuhalten und nicht in Aktionismus zu verfallen oder fixe Gesprächszeiten anzubieten. Das erfordert, das eigene Ego runterzufahren und sich mehr als Dienerin Gottes zu verstehen.
Wenn ich Ihnen zuhöre, denke ich einerseits an die vielen Sitzungen und ans Pflichtenheft der Seelsorgenden, die solches verhindern. Und andererseits wäre es wünschenswert, dass Seelsorgende einen Zweitberuf haben, zum Beispiel als Lehrer oder in der Pflege.
Mir kommt die Spitex als möglichen weiteren Ort in den Sinn. Oder der Coiffeursalon! Warum nicht einen Tag in der Woche als Seelsorgerin Haare pflegen und dabei über Gott und die Welt, über Freud- und Leidvolles im Leben sprechen? Da, wo Menschen gerne reden möchten, entsteht Verbundenheit.
Interview: SKZ