«Ich hatte zum Glück Leitplanken»

Georg Schmucki* war während Jahren regelmässig im Gefängnis. «Freiwillig und bezahlt» wie er selbst anmerkt. Als Gefängnisseelsorger lernte er nicht nur viele Täter, sondern auch seine Grenzen kennen.

Georg Schmucki (1942) ist Priester der Diözese St. Gallen. Er war während fast 25 Jahren Gefängnisseelsorger in der offenen Vollzugsanstalt Saxerriet. Er war Initiator und von 2002 bis 2018 eine der Ansprechpersonen des Fachgremiums sexuelle Übergriffe im Bistum St. Gallen. (Bild: rs)

 

«Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs fasziniert mich, weil er aus dem brennenden Dornbusch heraus spricht. Gott ist in den Dornen dieser Welt, da wo Menschen mit Dornen gekrönt werden.» Wenn Schmucki von den Dornen dieser Welt spricht, weiss er, wovon er redet, war er doch fast 25 Jahre Gefängnisseelsorger im Saxerriet. Tatsächlich war sein erster Besuch in einem Gefängnis schon viel früher. Als Vikar in St. Gallen war er in der Jugendarbeit tätig. Einige seiner «Schützlinge» nahmen Drogen. Als sie wegen Drogenhandels im Gefängnis landeten, baten sie ihn um Gespräche. Bischof Otmar Mäder wurde auf seine Fähigkeiten aufmerksam und bat ihn – inzwischen Pfarrer in Rorschach –, die Seelsorge in der offenen Vollzugsanstalt Saxerriet zu übernehmen. Zunächst lehnte Schmucki ab, da das Gefängnis am «Ende der Welt» lag und Gefängnisse mit Ausschluss zu tun haben. «Jesus schloss die Menschen nicht aus, sondern ein; er nahm die schwierigen Menschen in die Mitte», hält er mit Nachdruck fest. Als der Bischof ein paar Jahre später wieder anfragte, sagte er zu.

Schattenseiten und Ohnmacht

Die Lebensgeschichten der Insassen waren ihm nicht fremd. Er wusste, dass auch er schon ähnliche Situationen erlebt hatte. «Ich hatte aber im Gegensatz zu ihnen zum Glück Leitplanken, deshalb bin ich nicht ins Schleudern geraten und vom Weg abgekommen.» Durch diese Lebensgeschichten lernte er seine eigenen Schattenseiten kennen. Gefühlsmässig konnte er vieles gut nachvollziehen, manche Delikte blieben ihm aber immer fremd: Zuhälterei, Waffenhandel, Sexualstraftaten usw.

Schmucki war es wichtig, jeweils den ersten Schritt zu machen. Er besuchte die Neuen in den Zellen, stellte sich vor und fragte, ob er reinkommen dürfe. Die meisten liessen ihn herein, auch wenn es nur für ein kurzes Hallo war. Manchmal war dies das erste und letzte Gespräch. Andere waren dankbar für das Angebot der Seelsorge und es ergaben sich tiefe Gespräche. Er erinnert sich besonders an einen Mann. Dieser hatte als Türsteher in einem Bordell gearbeitet. Ihm brachte er während Jahren einmal im Monat die Kommunion. «An der Wand hinter dem Tisch, auf den ich das eucharistische Brot stellte, waren Pornobilder aufgehängt. Aber ihm war der Kommunionempfang ein Bedürfnis.» Es sei nicht seine Aufgabe gewesen, die Menschen zu verurteilen. Sie hätten ihr Urteil bereits von einem menschlichen Gericht erhalten. «Meine Aufgabe war es, sie spüren zu lassen: Du bist wertvoll.» Wichtig war ihm dabei immer die Geschichte vom Zöllner Zachäus. «Jesus hat in ihm, der ja wirklich ein Zöllner war, zunächst den Gastgeber gesehen. In dieser urteilsfreien Annahme durch Jesus konnte sich Zachäus ändern.»

Schmucki sah sich nie nur als Seelsorger der Insassen. Als Gefängnisseelsorger galt seine Aufmerksamkeit auch den Angestellten, selbst dem Direktor. Deshalb ging er nachmittags so oft wie möglich bei den Arbeitsplätzen vorbei und suchte das Gespräch mit den Insassen, aber auch mit den Vorarbeitern. «Es interessierte mich, was sie arbeiten, wie sie arbeiten, wie die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsklima waren. Das half, im Gespräch Türen zu öffnen.»

Eine der wertvollsten Erfahrungen für ihn war die Begegnung mit seiner eigenen Ohnmacht. Er musste feststellen, dass Gott ihm weder Hände so gross wie Baggerschaufeln, noch nicht einmal so gross wie normale Schaufeln gegeben hatte. Nein, seine Hände waren nur so gross wie Sandkastenschaufeln. «Die Ohnmacht zu erkennen ist das eine, sie zu akzeptieren das andere», erinnert er sich nachdenklich, «… und dann immer wieder mit der ganzen eigenen Begrenztheit arbeiten.»

Inzwischen ist Schmucki pensioniert. Doch Langeweile kennt er nicht. «Ich habe eine gute Gesundheit und so ist mir diese Zeit geschenkt und ich habe die Aufgabe, etwas daraus zu machen.» Und mit einem Schmunzeln fügt er an: «Die Menschen, der Glaube und das Leben interessieren mich weiterhin und bewegen mich!»

Rosmarie Schärer

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