Hostie mit personaler Zeichenwirkung

Kommunionerfahrung. Tuschbild von Sr. Maria Hedwig (Silja Walter)

Rituale aus jüdischer Wurzel ebenso auf, wie sie aufgrund der Mahlgemeinschaften, zu denen Jesus von Nazareth einlud, dann zum «Herrenmahl» wurde. Hier soll besonders vom Brotbrechen die Rede sein, welches in der Eucharistie als der grossen Danksagung personale Zeichenwirkung entfaltet.

Ein Brot wie kein anderes. Könnte es auch einfaches Brot sein? Jedenfalls ungesäuert sollte es sein. Die Rede ist vom kleinen runden Stück, der Hostie, die kaum mehr an ein Brot erinnert. Brot und Wein müssen dabei sein, wo im Gedächtnis an Jesus Mahl gehalten wird. Es ist ein Dankes-Mahl par excellence, wie der andere Begriff «Eucharistie» lautet und bis ins moderne griechische Dankeschön «Vielen Dank» (efcharisto polí / Ευχαριστώ Πολύ) mitschwingt dort, wo einem Brot und Wein kredenzt werden. Eine «echte, deutlichere Brotgestalt» war angezielt – durch die «Erneuerung des Gottesdienstes, die um eine bessere Zeichenhaftigkeit bemüht» war, bilanzierte das pastoralliturgische Handlexikon.1 Die Hostie in runder Form wurde als Messhostie im 12. Jhd. und bald auch «in kleinen runden Brotscheiben gebacken, … immer dünner, heller und mit reicheren Bildprägungen». Ins Abseits geriet über die Jahrhunderte das Brotbrechen als frühchristliches Herrenmahl (1 Kor 11,23f) und verkam bis weit ins 20. Jahrhundert zur Privatfeier von Priestern ohne Austeilen des eucharistischen Brotes und Weines unter die versammelten Gläubigen.

Hostia – ut sumatur

Die «hostia» bezeichnete metaphorisch die Hingabe Jesu am Kreuz, wo dieser zum Opferlamm (Eph 5,2) wurde. Im 9. Jhd. ist in der lateinischen Kirche das ausgewählte Opferbrot zu finden.2 Die ersten Jahrhunderte kannten ungesäuerte Brote, die als solche in den Feiern ersichtlich waren. Wie später das Tridentinum feststellte, ist die Messfeier darauf ausgerichtet, dass das geteilte Brot gegessen wird (ut sumatur). Auch hatte der «Urvater der Transsubstantiationslehre» überdeutlich gemacht, dass Christus «auf keine Weise (nullo modo) … im Sakrament wie an einem Ort (localiter)» ist. Dieses Missverständnis auszuräumen, ist jederzeit aufgegeben, da sich das Feiern der Eucharistie wie auch anderer Sakramente nicht «handfest» verstehen lassen, vielmehr im gemeinsamen Feiern personale Zeichenwirkungen entfalten.3

Hostie und Brotbrechen in der Eucharistie

Die runden Hostien prägen bis heute das römisch-katholische Ritual des Brotbrechens im Rahmen der Eucharistie. Sie haben ihren eigenen Wert als Brotgestalt, sofern die Geste des Teilens schlicht und ohne falsches Pathos vollzogen wird. Den versammelten Gläubigen wird nämlich bei ihrem Mitfeiern unmittelbar vor der Kommunion die Geste dieses Brotbrechens sichtbar. Die vorgängig im Hochgebet erbetene Kraft des Geistes, die über den Gaben von Brot und Wein in der Epiklese angerufen wird, eint bereits die Versammelten auf der Ebene ihrer Zugehörigkeit zum Leib Christi. Diesen stellen sie selber dar, weil in ihm untereinander verbunden. Das ist der Sinn des Aufrufs von Augustinus: «Seid, was ihr seht, und empfangt, was ihr seid: Leib Christi» (Sermo 272). Mit dem Brotbrechen über dem Kelch will in rituell äusserst karger Form an die Gegenwart Jesu Christi erinnert werden. Darüber hinaus ist im Vollzug der Geste des Brotbrechens die Gabe des Brotes und des Weines nicht einfach sinnbildlich als Gegenwart Jesu dargestellt. Ein Priester zentriert den Zuspruch des Augustinus wie folgt: «Euer Geheimnis selbst ist auf den Altar gelegt: Seid, was ihr seht, und empfangt, was ihr seid. Empfangt den Leib Christi und seid der Leib Christi» (Rolf Stöcklin).

Die Versammelten feiern nicht sich selbst

Darum feiern im Brotbrechen die Mitfeiernden nicht sich selbst. Sonst käme der Sinn der ihnen ausgeteilten Hostie und dem weitergereichten Wein abhanden. Gegessen und getrunken bleiben Brot und Wein substanziell echt karge Nahrung, bekommen jedoch im Geschehen ihren tieferen Sinn. Für alle, die sie essen und trinken, wird sie zum Zeichen ihrer Verbundenheit mit dem auferstandenen Christus und untereinander. Davon zehrte in kargsten Stunden Niklaus von Flüe in geistiger Kommunion. Das ist mit Verlaub gesagt Glauben pur und mit keiner Persiflage vom Tisch zu wischen. Gegenüber Heranwachsenden und ihren Fragen konnte darum Theo Stieger 2006 verständlich erläutern: «Das innere Wesen des Brotes ist es, den Menschen zu seiner körperlichen Stärkung zu nähren. Das innere Wesen des Weines ist es, den Menschen zu erfreuen und ihm den Durst zu stillen. Durch die Wandlungsworte wird das Wesen von Brot und Wein gewandelt: Sie werden zum Träger der Gegenwart Christi, der sich als geistige Nahrung schenkt und Menschen erfreuen will in ihrem Leben und ihren geistigen Durst nach Sinn und Erfüllung stillen will.»4

Im rituellen Vollzug entsteht aus dem intimen Mahl der Raum einer Anbindung an Christus, der man ebenfalls den Sinn jedes Kirche-Seins ansehen kann. Die Rituale können je nach Konfession recht unterschiedlich sein. Sieht man diesem Geschehen an, dass sich die Versammelten auf Christus mitten unter ihnen ausrichten, wird vergegenwärtigt, was das Ziel der Aufforderung ist: «Tut dies zu meinem Gedächtnis!» Kirche ist damit aus dem Brotbrechen der Menschen zu verstehen, die sich dazu versammeln. Wie der Theologe Alois Müller dies ausdrückte, ist Kirche die «soziale Subsistenz des historisch fortdauernden Christusereignisses». Christus ereignet sich im Brotbrechen weiter! Dies sprengt die Vorstellung davon, dass das Abendmahl bzw. die Eucharistie niemanden mehr interessieren. Die Gegenwart Jesu Christi im Brotbrechen setzt die Gemeinschaft fort, der er seinen Geist versprochen hat. Nichts von hoc-est-enim-corpus-meum, das verballhornt wurde zum Hokuspokus.

Mit ökumenischer Zeichenwirkung?

Frank Jehle hat sich als Gesprächspartner in Begegnungen zwischen evangelisch-reformierten Kirchen und der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz öfters zu Wort gemeldet. Am 4. Juni 1999 äusserte er sich als evangelisch-reformierter Pfarrer an der Hochschule St. Gallen in einem persönlichen Votum vor der reformierten Kirchenpflege in Zürich-Witikon. Vorgängig erlebte die Gemeinde die Absage des römisch-katholischen Bischofs Henrici, an einer gemeinsamen Abendmahlsfeier anlässlich der in Witikon seit einigen Jahren ökumenisch gestalteten Osternacht teilzunehmen. Die Erwägungen Jehles sind bis heute bemerkenswert: «Im Anschluss an den nach Zwingli wichtigsten ‹Vater› der evangelisch-reformierten Kirchen, Johannes Calvin, betont die moderne reformierte Theologie, dass Jesus Christus im Abendmahl real gegenwärtig ist – auch wenn in geheimnisvoller Weise, die sich gegen allzu zupackende theologische Definitionsversuche sträubt. Emil Brunner, der die evangelisch-reformierten Schweizer Kirchen wie wenige im 20. Jahrhundert prägte, sagte: Gott tut etwas im Abendmahl, nicht bloss der Pfarrer und die Zudiener. Christus ist gegenwärtig im Abendmahl, nicht bloss Brot und Wein. … Es geht wirklich um ein Wunder …» Eine wichtige Wegmarke sei auch die «Leuenberger Konkordie» von 1973 gewesen, «als Reformierte und Lutheraner offiziell Frieden miteinander schlossen, nachdem sie sich im 16. Jahrhundert in der Abendmahlsfrage zerstritten hatten und auseinandergegangen waren».5

Heilig-Abend gemeinschaftsstiftend

Gestützt auf ökumenische Vereinbarungen hat sich in den letzten Jahrzehnten viel an gegenseitiger Gastfreundschaft unter den christlichen Kirchen entwickelt. Zumindest in konfessionsverbindenden Familien ist die Praxis nicht unüblich und die Öffnung zur gemeinsamen Erfahrung des Brotbrechens in Gang gebracht. Dies ist aus Warte der Seelsorge nicht rückgängig zu machen und weist auf ein ehrliches Zeichen gegenseitiger Dankbarkeit vor Gottes Geheimnis, Geberin aller Gaben. Das Zeichen setzen bedeutet ebenfalls, sich nicht aus der Hand nehmen zu lassen, was einem sowohl in der Feier von Eucharistie wie des Abendmahls geschenkt wird. Denn wie eine Erzählung verdeutlicht, die Otto Hermann Pesch weiterreichte, geht kein Weg vorbei an gemeinschaftsstiftenden Zeichen: «Ein Walberberger Kollege war im Spätherbst in Polen. In der Weihnachtsfeier der Studenten berichtete er, in Polen sei es Sitte, befreundeten und bekannten Familien zu Weihnachten ein kleines Stück Brot zu schicken, das am Heiligen Abend zum Zeichen der Gemeinschaft gegessen werde. Erzählte es und – packte Brotstücke aus, die ihm polnische Freunde mitgegeben hatten, brach sie und verteilte sie. Wir assen unter atemberaubendem Schweigen. Die Brotstücke hatten die Form von Hostien. Nie habe ich dichter erlebt, was Transsignifikation und Transfinalisation ist. Nie habe ich eindeutiger erfahren, was – man verzeihe! – Realpräsenz ist, wirkliche, gemeinschaftsstiftende Gegenwart entfernter und sogar unbekannter Menschen. Solche Erfahrung im Glauben in Bezug auf Christus durch die Eucharistiefeier möglich machen – das hiesse, die urkirchliche Intensität der Herrenmahlserfahrung zu neuem Leben erwecken. Utopisches Leitbild? Immerhin Leitbild.»6 

112.

1 Rupert Berger: Pastoralliturgisches Handlexikon, Freiburg, Sonderband 2005 (576 S.) 212.

2 Charles Caspers: Art. Hostie, in LThK, Sonderausgabe 2006, Bd. 5, Sp. 289.

3 Vgl. Otto Hermann Pesch: Eucharistie heute. Ehrlicher Versuch eines Rückwegs nach vorn, in: Bibel und Kirche 31 (1976) 102–112, 108 und 104 und die Diskussion aufnehmend Georg Hintzen: Sakramentale und personale Zeichenwirkung. Neue Deutungsversuche der eucharistischen Wandlung, in: Bibel und Kirche 32 (1977) 112–119.

4 Theo Stieger: Wenn Heranwachsende Fragen stellen … Eucharistie heute, Fragen – Einsichten – Vertiefungen. Den Katechetinnen und Katecheten im Bistum St. Gallen gewidmet, Egg, Reihe ars theologica Thesis Verlag, 2006, 20 f.

5 Frank Jehle: Eucharistische Gastfreundschaft I, in ders.: Von Johannes auf Patmos bis zu Karl Barth. Theologische Arbeiten aus zwei Jahrzehnten. Hrsg. Adrian Schenker, Marianne Jehle-Wildberger, Zürich 2015, 285–295, 285.

6 Vgl. Anm. 3: O. H. Pesch,


Stephan Schmid-Keiser

Dr. theol. Stephan Schmid-Keiser promovierte in Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie. Nach seiner Pensionierung war er bis Ende 2017 teilzeitlich Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung. (Bild: zvg)