Hochzeitsfest und Jobeljahr: Ein doppelter Auftakt des öffentlichen Wirkens Jesu

2. und 3. Sonntag im Jahreskreis: Joh 2,1–11 und Lk 1,1–4; 4,14–21

Die Leseordnung für den 2. und 3. Sonntag im Jahreskreis weist in allen drei Lesejahren eine Besonderheit auf. Am 2. Sonntag wird jeweils aus dem Beginn des Johannesevangeliums gelesen, und zwar, über die Lesejahre hinweg betrachtet, in fortlaufender Folge (A: 1,29–34; B: 1,35–42; C: 2,1–11 – unter Auslassung von 1,43–51). Am 3. Sonntag beginnt in allen drei Lesejahren die Lesung des Jahreskreis-Evangeliums mit der Erzählung vom jeweils ersten öffentlichen Auftreten Jesu nach seiner Taufe: Mt 4,12–23 (A), Mk 1,14–20 (B) und Lk 1,1–4; 4,14–21 (C). Das führt im aktuellen Lesejahr C dazu, dass an zwei Sonntagen hintereinander zwei herausragende Anfangstexte gelesen werden: Die Hochzeit in Kana (2. Sonntag im Jahreskreis) ist das erste «Zeichen» Jesu im Joh. Die sog. «Antrittspredigt» Jesu (3. Sonntag) bildet den ersten ausführlich erzählten öffentlichen Auftritt Jesu im Lk, den Lukas im Unterschied zu Mk und Mt nicht in Kafarnaum und am See Genezareth stattfinden lässt, sondern in Nazaret. Dazu verlegt Lukas den im Mt und Lk erst später erzählten Besuch Jesu in seiner Heimatstadt an den Anfang seines öffentlichen Wirkens.

Aus historischer Perspektive wird daran exemplarisch deutlich, wie stark die Evangelisten aus den ihnen vorliegenden Überlieferungen ein je eigenes narrativ-theologisches Gesamtkonzept gestaltet haben und demgegenüber nur wenig an einer «historisch korrekten» Reihenfolge der erzählten Ereignisse interessiert waren. Solche Zusammenhänge sollten in Predigt und Katechese angesprochen werden. Wichtiger noch ist es jedoch, die jeweils spezifische narrativ-theologische Perspektive in ihrer Bedeutung für das jeweilige Evangelium herauszuarbeiten: Wie lassen die Evangelisten Jesus zum ersten Mal öffentlich, mit grossem Publikum sozusagen auf der «Bühne» ihres Evangeliums «auftreten»?

Johannes: Jesus ermöglicht das Hochzeitsfest

Das Evangelium des 2. Sonntags im Jahreskreis erzählt vom ersten der sieben herausragenden Zeichen (gr. semeía) Jesu im Joh, dem Weinwunder bei einer Hochzeit in Kana (2,1–11). Die Wirkung des Zeichens ist zwar enorm und ermöglicht die ungetrübte Fortsetzung des Hochzeitsfestes. Doch der Ursprung der Fülle und damit auch das Offenbarwerden des «Glanzes»/der «Herrlichkeit» Jesu (gr. dóxa, 2,11) bleibt ganz wenigen Menschen vorbehalten, vor allem seinen Jüngerinnen und Jüngern. Frei nach Karl Rahner könnte man sagen: Im Joh tritt den «anonymen Christinnen und Christen» zunächst ein «anonymer Christus» gegenüber.

Das Weinwunder setzt somit das narrative Spiel zwischen Bekanntwerden und Verborgenbleiben Jesu fort, das schon die Dialoge in Joh 1 beim geheimnisvoll-schrittweise Suchen und Finden Jesu und seiner Jünger im Umfeld des Täufers Johannes geprägt hatte. Erst im weiteren Verlauf des Evangeliums wird sich Jesus in privaten Gesprächen und öffentlichen Reden Schritt für Schritt tiefer offenbaren.

Doch das Weinwunder signalisiert von Anfang an: Jesus ist gekommen, um Leben in Fülle zu schenken (vgl. Joh 10,10). Von Beginn seines Wirkens an ermöglicht er ein lebendiges, fröhliches Fest. Die Hochzeit in Kana ist auch eine symbolische Aktualisierung der metaphorischen Hochzeit JHWHs mit seinem Volk Israel. Gott und Mensch finden zusammen, das Gottesreich bricht an, und viele Menschen feiern mit. Dabei ist es im Joh zunächst unerheblich, ob die Mitfeiernden den tieferen Grund des Festes bemerken oder nicht. Im weiteren Verlauf des Evangeliums kommt es dann jedoch sehr wohl zur nachdrücklichen Einladung, Jesus als Licht der Welt und Offenbarer des Vaters zu entdecken und zu bekennen (z. B. Joh 12,37–50).

Lukas: Jesus lädt ein zum Jobeljahr

Ganz anders Lukas: Er lässt Jesus zu Beginn seines Wirkens mit einer «Antrittspredigt» in Nazaret in aller Öffentlichkeit sich selber vorstellen. Dabei erklingt jedoch ein ähnlicher christologischer Grundton wie beim Weinwunder in Kana: Das Kommen Jesu eröffnet Leben in Fülle, das Lukas mit Aktualisierungen der ersttestamentlichen Jobeljahr-Theologie zum Ausdruck bringt. Das Mischzitat aus Jes 61,1 f. und 42,7 wirkt wie eine Vorwegnahme des späteren Wirkens Jesu. Die Menschen reagieren freudig und positiv: Sie «legten Zeugnis ab» für seine Worte, wie es wörtlich in Lk 4,22 heisst, d. h. sie bestätigen ihre Gegenwart als messianische Heilszeit im Lichte des Jobeljahres (EÜ: «Seine Rede fand bei allen Beifall»).

Konflikthafte Fortsetzungen

Der hoffnungsvolle Auftakt des öffentlichen Wirkens Jesu findet seine Fortsetzung in beiden Evangelien jedoch in scharfen Konflikten. Im Joh folgt auf das geschenkte Fest die Vertreibung der Opfertier-Händler und Geldwechsler aus dem Tempel. Johannes erzählt diese prophetische Zeichenhandlung anders als Mt, Mk und Lk nicht als Auftakt der Konflikte in Jerusalem (und historisch wahrscheinlichen Anlass für die Passion), sondern verlegt sie an den Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu. Und im Lk schlägt die Stimmung überraschend um – bis hin zum Mordversuch an Jesus. Auslöser für den Konflikt ist jedoch eine Provokation Jesu selbst: Die Beispiele aus den Elija-Elischa-Erzählungen, die Jesus nach Lukas ohne in der erzählten Handlung erkennbaren Anlass anführt, versetzen die Jüdinnen und Juden in der Synagoge unerwartet in die Lage von Zaungästen. Die messianische Zuwendung Gottes und das Jobeljahr gelten nach den Worten Jesu nicht primär ihnen, sondern sie wird – wie schon bei Elija und Elischa – vor allem Nicht-Israeliten zukommen. Eine derartige Rede Jesu ist, erst recht als «Antrittspredigt», aus historischer Perspektive eher unwahrscheinlich. Sie wurzelt wohl in der nachösterlichen Erfahrung der frühchristlichen Gemeinden mit dem Zustrom vieler heidnischer Menschen zum Messias Jesus bei gleichzeitig wachsenden Konflikte mit dem Mehrheitsjudentum.

Die Evangelien des 2. und 3. Sonntags im Jahreskreis laden damit zu der Frage ein, wo unser Glaube heute tatsächlich zum Fest wird. Die Konfliktszenarien hingegen – Lk 4,21–30 ist Evangelium des 4. Sonntags im Jahreskreis – bedürfen einer sorgfältigen Kontextualisierung und Auslegung, damit sie nicht zur Fortschreibung christlich-jüdischer Konfliktgeschichte beitragen.

 


Detlef Hecking

Detlef Hecking (Jg. 1967) ist Theologe, Bibliodrama- und Bibliologleiter. Nach Tätigkeiten als Pfarreiseelsorger, Leiter der Bibelpastoralen Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks und Dozent an der Universität Luzern (RPI) ist er seit 2021 Pastoralverantwortlicher im Bistum Basel.