Himmel und Bilder aufgetan

Wie schaffen es eine illustrierte Bibel, ein Stundenbuch oder ein Bibelbilderwerk in die Sammlung von Thomas Markus Meier? Hier erzählt er davon und wie er dabei auf eine Preziose, das Stundenbuch von Louis de Laval, stiess.

Bild oben: Abrahams Beschneidung (mit Finger zum Grössenvergelich). Bild Mitte: Getäuscht durch blutrotes Wasser. Bild unten: Flucht der Aramäer, und die Aussätzigen suchen Proviant vor der Stadt.

 

Die in der SKZ 01/2021 vorgestellte Bibel von Moutier-Grandval kam abenteuerlicher auf Irr- und Umwegen aus dem Kloster in die British Library als das Faksimile zu mir. Bei Führungen durch meine Sammlung frage ich die Besucherinnen und Besucher oft als Erstes, ob sie eine Bibel mit eigenem Namen kennen würden. Eine Bibel also, die einen definierten Titel hat. Wenn überhaupt, kommt als Antwort vielleicht der Name «Gutenbergbibel». Hier ist die Sache allerdings verzwickt: Es gibt die berühmte Erstausgabe (42-zeilig), aber bereits auch einen Nachdruck von Gutenberg (36-zeilig). Ausserdem: Die Gutenbergbibel gibt es nicht; jede ist ein Unikat. Denn die andersfarbigen Zierbuchstaben, mit denen neue Kapitel markiert werden, wurden in jeder Ausgabe eigenhändig eingemalt. Die berühmte erstgedruckte Gutenbergbibel ist also eine Mischform von wenig Handgeschriebenem und viel Druckerschwärze … Manchmal wurden auch die Ränder verziert, sodass kaum mehr ein Unterschied zu einem handgeschriebenen Buch sichtbar ist. Das vielleicht prächtigste Exemplar, die Berliner Gutenbergbibel, kann in meiner Sammlung mit jener aus Göttingen oder der schlichten Fassung, angefertigt für Kardinal Mazarin, verglichen werden.

Die Gutenbergbibel markiert also den Übergang vom handgeschriebenen Buch zum (Massen-)Druck, selbst ist sie noch eine Mischform. Was auch lange nach der Erfindung des Buchdrucks noch handgeschrieben und -gemalt wurde, sind Stundenbücher. Denn oft wurden diese spezifisch für deren Eigentümer gestaltet: von der Auswahl der Gebete bis hin zur Auswahl der Heiligen. Landläufig benutzen wir die Begriffe «Stundenbuch» und «Brevier» synonym. Historisch jedoch steht das Stundenbuch für eine eigene, spezifische Laienfrömmigkeit. Wer lesen konnte, wollte − wie der Klerus – ebenfalls die Psalmen beten.

Zu meinen Favoriten unter den Stundenbüchern gehört jenes von Louis de Laval, gemalt um 1420. Es gilt als das am reichsten illuminierte (leuchtend illustrierte) Stundenbuch überhaupt. Aber darauf musste ich auch erst stossen ... Und diese Entdeckung verdankte ich der SKZ, respektive meiner redaktionellen Mitarbeit dort. In der SKZ 12/2019 ging es um «Gottes Namen». Die Front wollte ich mit einem Bild illustrieren, das Adam, dem Schöpfer
wie aus dem Gesicht geschnitten, darstellt. Irgendwo in meiner Bibliothek musste diese Abbildung zu finden sein, Christus und Adam wie Zwillingsbrüder. Aber stundenlanges Durchblättern und Suchen halfen nichts, und so behalf ich mir mit einer Collage. Monate später stiess ich auf eine Schöpfungsdarstellung mit verblauendem Himmel (Luftperspektive), die mich an das gesuchte Bild erinnerte. Eine E-Mail ans Antiquariat ergab, dass das gesuchte Bild nicht in besagtem Stundenbuch sei. Aber gefunden (entdeckt) wurde das Stundenbuch des Louis de Laval!

Kunstgeschichtlich interessant ist, wie gekonnt Naturphänomene in diesem Buch dargestellt werden: Fische unter der Wasseroberfläche oder wie sich die Sonne im Wasser spiegelt, sodass dieses wie Blut erscheint (2 Kön 3,22: Dieses Phänomen täuscht die Moabiter, und sie werden von Israel geschlagen). Ikonographisch bietet das Stundenbuch von Laval ausserdem eine Fülle von Szenen, die sehr selten oder hier beinahe einmalig dargestellt werden. Etwa wie Abraham seinen Sohn Ismael und alle im Haus geborenen Männer beschneidet und auch selber beschnitten wird. Im besprochenen Stundenbuch legt er gar Hand an sich selber an …

Aber auch theologisch gibt es Interessantes: In 2 Kön 7 fragt der Adjudant des Königs des belagerten Samarias, ob es etwas brächte, wenn Gott die Schleusen des Himmels öffnete. Die Hungersnot wegen der Belagerung sei zu gross. Wegen eines Lärmphänomens aber brachen die Aramäer die Belagerung Samarias ab und flohen. Aussätzige, die nichts mehr zu verlieren hatten, entdeckten das verlassene Lager und konnten sich am zurückgelassenen Proviant gütlich tun. Es ist also doch, wie wenn der Himmel die Schleusen geöffnet hätte. Im Bild ist der Himmel tatsächlich offen – es rumpelt, «was es runter mag». Was zur Flucht führen wird und zur Entdeckung des Lebensnotwendigen.

Thomas Markus Meier

 

Die Bibelsammlung von Thomas Markus Meier bildet einen Querschnitt ab durch die Geschichte der Bibelillustrationen. Es hat darunter hochwertige Faksimiles (originaltreue Nachbildungen) spätantiker Purpurhandschriften, mit denen die Geschichte christlicher Bibelbebilderungen beginnt. Noch mehr Bibelillustrationen finden sich in theologischen Werken des Mittelalters: Biblia pauperum, Bible moralisée und ähnliches. Beim Blättern darin merken wir, dass es eine oft nachgebete Mär ist, die Bilderbibeln seien für Leseunkundige. Auch Bilder müssen lesen gelernt werden. Weitere Informationen: www.kath-frauenfeldplus.ch/Bibelsammlung


Thomas Markus Meier

Dr. theol. Thomas Markus Meier (Jg 1965) arbeitet als Pastoralraumleiter der Pfarrei St. Anna Frauenfeld und ist Mitglied der Redaktionskommission der SKZ. Auf Facebook betreibt er die Seite Biblioblog. Dort bespricht er Beobachtungen zur Bibel und kommentiert auch die Übersetzungsänderungen der revidierten Einheitsübersetzung – es fehlen nur noch die Samuelbücher, Teile von Jesaja und Ezechiel sowie das ganze Jeremiabuch. www.facebook.com/Nutzernamenfrei