«Hier wird es ethisch extrem schwierig»

CRISPR/Cas (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) ist eine Technik, die die Veränderung des Erbgutes ermöglicht. Wie weit ist die Forschung? Und soll damit der Mensch nach Belieben verändert werden? Die SKZ hat nachgefragt.

Prof. Dr. med. Brigitte Leeners ist Klinikdirektorin der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie am Universitätsspital Zürich. (Bild: zvg)

 

SKZ: Könnten Sie das Verfahren CRISPR/Cas kurz beschreiben?
Brigitte Leeners: Es gibt heute die Möglichkeit, Gene von Organismen zu verändern, d. h. fehlerhafte Sequenzen zu reparieren. Die menschlichen Gene sind in zwei spiegelbildliche Stränge organisiert. Die Genschere CRISPR/Cas dockt an bestimmten Sequenzen, die von diesem Molekül erkannt werden, an und schneidet ein definiertes Stück heraus. Bei der ersten Generation dieser Technologie war unklar, was genau verändert wurde. Da beide Stränge durchtrennt wurden, gab es kein Muster, an dem sich die Reparatur orientieren konnte. Mittlerweile sind wir in der dritten Generation dieser Techniken und diese sind viel präziser. Das Prinzip, dass dieses Molekül an einer Stelle andockt und eine bestimmte Sequenz erkennt, ist das gleiche, doch mittlerweile wird nur noch ein Strang aufgespalten und man kann an dieses Molekül (CRISPR/Cas-Schere) gezielt kleine Programme anhängen, die dann vorgeben, wie die Reparatur aussehen soll. Die Technik ist aber aktuell nicht ausgereift.

Wie sicher ist die Anwendung von CRISPR/Cas derzeit?
Diese Technik wird bei Pflanzen und teilweise auch bei Tieren eingesetzt. Es ist jetzt die Frage, ob sie irgendwann auch beim Menschen einsetzbar ist. Durch sie hätte man z. B. die Möglichkeit, die Gene von Embryonen, die von einer Erbkrankheit betroffen sind, zu «reparieren», d. h. das fehlerhafte Molekül gezielt auszutauschen. Das Problem an der Technik ist, dass sie ganz am Anfang steht. Es fehlt noch die Sicherheit, dass nur die gewünschte Stelle verändert wird; es könnte auch zu Veränderungen kommen, die man gar nicht möchte. Auch gibt es noch keine Sicherheit, dass die angestrebte Veränderung komplett gelingt. Dazu kommt, dass sich beim Embryo die Zellen teilen und es müsste gelingen, alle betroffenen Zellen zu korrigieren. Das sind nur ein paar Beispiele. Aus diesem Grund verurteilen wir die Geschichte aus China1 aufs Strengste. Wir sind der Meinung, dass die Technik noch nicht ausgereift und deshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht einsetzbar ist. Es ist jedoch ein sehr dynamisches Feld. Von daher kann es sein, dass man überraschend entscheidende Schritte in puncto Sicherheit nach vorne macht. Aber es kann auch sein, dass wir an bestimmten Stellen an Grenzen stossen und nicht weiterkommen.

Welche ethischen Aspekte gilt es zu beachten?
Es gibt unzählige Aspekte zu bedenken. Die CRISPR/Cas-Methode wird aktuell bei speziell gezüchteten Mäusen angewandt. Wenn der Versuch scheitert, wird die Maus entsorgt. Das wäre natürlich bei Menschen ethisch völlig undenkbar. Die Genveränderung bei schweren Erbkrankheiten ist eine Sache. Es stellt sich gleichzeitig die Frage, wann die Methode auch noch angewandt werden dürfte. Angelina Jolie ist da ein gutes Beispiel.2 Bei ihr wusste man aufgrund der genetischen Disposition, dass sie mit fast 100-prozentiger Sicherheit an Brustkrebs erkranken würde. Würde da nicht jede Frau sagen «Wenn ich das meiner Tochter ersparen kann, dann begrüsse ich die Veränderung der Gene»? Aber rechtfertigt dies ethisch diese Methode? Oder z. B. ein bestimmter Volksstamm in Alaska hat eine Prädisposition, die bei Angehörigen, die ausserhalb von Alaska leben, aufgrund der ungewohnten Nahrung zu massivem Übergewicht und entsprechenden Folgeerkrankungen führt. Sollte man diesem Volksstamm anbieten, diese genetische Verankerung zu korrigieren? Hier wird es ethisch extrem schwierig. Was ist mit anderen Menschen, die vorbelastet sind? Was ist mit den Folgegenerationen? Da sind viele Punkte, die man sehr sorgfältig bedenken muss.

Ist es denkbar, dass CRISPR/Cas in Kombination mit der Präimplantationsdiagnostik angewendet wird?
Langfristig wäre dies das Ziel. Dazu müsste ich in einem ersten Schritt wissen, ob ein Embryo eine Auffälligkeit hat. Hier haben wir das Problem mit dem Zeitfenster. Seit dem Gesetz aus dem 2017 darf eine Blastozyste erst am Tag fünf untersucht werden – da erst zu diesem Zeitpunkt eine verlässliche Diagnose möglich ist. Dann hat diese Blastozyste aber schon mehrere Hundert Zellen. Der ideale Zeitpunkt, um CRISPR/Cas anzuwenden – ich verwende lieber das Wort Gene Editing –, wäre aber Tag eins. Das ist eines der ungelösten Probleme. Ich würde es sehr begrüssen – unter der Voraussetzung, dass eine absolute Sicherheit der Methode besteht –, wenn wir nicht wegen eines kleinen Fehlers unter Tausenden von Genen einen Embryo nicht zurückgeben würden. Im Moment erhalten wir bei einer künstlichen Befruchtung eine Liste mit Angaben darüber, welche Embryonen von einer schweren Erberkrankung betroffen sind und welche nicht. Die nicht Betroffenen setzen wir Schritt für Schritt in die Gebärmutter ein. Über Gene Editing hätte man theoretisch die Möglichkeit, die betroffenen Stellen zu «reparieren». Oder wir haben Patientinnen für eine Kinderwunschbehandlung, die durch eine Erkrankung eine eingeschränkte Eizellenreserve haben. Wenn jetzt ein solches Paar eine genetische Erkrankung hat, aufgrund derer kein lebensfähiger Embryo entsteht, dann habe ich aufgrund der ungünstigen Ausgangsbedingungen oftmals nur wenige befruchtete Eizellen. Für die Diagnostik müssen wir wie bereits gesagt bis Tag fünf warten, das schaffen nicht alle und manchmal gar kein Embryo. Mit viel Aufwand und finanzieller Belastung für das Paar entstehen z. B. ein oder zwei Embryonen. Wenn diese dann als betroffen getestet werden, ist das Paar verzweifelt. Hier könnten wir mit Gene Editing viel Not ersparen. Es gibt dafür aber noch keinen Zeithorizont.

Was wären die Bedingungen, dass Gene Editing eingesetzt werden dürfte?
Dies ist genau der Punkt, der noch intensiv und unter Einbezug von verschiedenen Fachdisziplinen diskutiert und entwickelt werden müsste. Es wäre z. B. denkbar, Gene Editing bei bekannten Erbkrankheiten wie z. B. Muskelerkrankungen, bei denen man weiss, dass ein Kind nur wenige Jahre alt wird, einsetzt. Bei der seit 2017 erlaubten Präimplantationsdiagnostik (PID) muss eine ausgeprägte Erkrankung vorliegen, die vor dem 50. Lebensjahr auftritt, nicht behandelbar ist und eine massive Einschränkung der Lebensqualität bringt. Gene Editing ist nicht für Auffälligkeiten wie z. B. Trisomie 21 gedacht. Auch Designerbabys wären für mich kein Thema. Und eine absolute Voraussetzung wären natürlich eine hohe Sicherheit und Zuverlässigkeit der Technik ohne negative Auswirkungen auf die Folgegenerationen.

Es gibt aktuell den Forschungsschwerpunkt «Human Reproduction Reloaded» an der Universität Zürich.
Wir wollen dabei nicht Gene Editing anwenden, sondern zur Klärung beitragen, ob und unter welchen Bedingungen es denkbar ist, diese Technik in Zukunft beim Menschen anzuwenden. In diesen Forschungsschwerpunkt sind auch Rechtswissenschaftlerinnen, Theologen, Ethikerinnen, Soziologen, Psychologinnen und viele weitere Fachdisziplinen eingebunden; die naturwissenschaftliche Forschung wird immer im Spiegel mit den anderen diskutiert. Diese Interdisziplinarität ist eine grosse Stärke von Zürich. Von ihr erhoffe ich mir, dass wir ein umfassendes Regelwerk erstellen können, das als Grundlage für die weitere Diskussion auch in anderen Ländern dienen kann. Es gibt weltweit dazu viel Forschung und z. T. wird Gene Editing auch bereits einfach eingesetzt, wie das erwähnte Beispiel aus China zeigt. Wir werden die Technik nicht aufhalten können. Es ist deshalb besser, wir haben klare und fundierte Vorstellungen, wie wir mit dieser Technologie in der Schweiz umgehen.

Wo liegt Ihre persönliche Motivation?
Mein Anliegen ist das Erstellen des erwähnten Regelwerks. Wir brauchen klare Bedingungen, die auf die naturwissenschaftlichen Entwicklungen abgestützt sind. Durch Gene Editing könnte Menschen viel Leid erspart werden. Man muss aber sehr sorgfältig abwägen, wie hoch der Preis dafür ist und welche Bedingungen man stellt.

Interview: Rosmarie Schärer

 

1 2018 wurden in China zwei mithilfe der Genschere CRISPR/Cas genetisch veränderte Kinder geboren.

2 Die amerikanische Schauspielerin Angelina Jolie liess sich 2013 vorsorglich beide Brüste amputieren.

Am universitären Forschungsschwerpunkt Human Reproduction Reloaded H2R zur menschlichen Fortpflanzung der Universität Zürich beteiligen sich die Juristische Fakultät, die Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften, die Medizinische Fakultät, die Naturwissenschaftliche Fakultät, die Theologische Fakultät und die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Informatik.