Pauline Jaricot: eine Frau, ihrer Zeit voraus

Am 22. Mai wird Pauline Jaricot in Lyon seliggesprochen. Die wenig bekannte Frau aus Lyon hat vor 200 Jahren das «Werk der Glaubensverbreitung» ins Leben gerufen.

Es war eine turbulente Zeit, in der Pauline Marie Jaricot in Lyon gross wurde und als Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft und Kirche ein heute weltumspannendes Werk ins Leben rief: Das «Werk der Glaubensverbreitung», das heute als «Päpstliches Werk der Glaubensverbreitung», in der Schweiz kurz Missio Weltkirche genannt, bekannt und wirksam ist. Nun wird sie an ihrem Wirkungsort Lyon am 22. Mai 2022 seliggesprochen.

Pauline Jaricot erblickte am 22. Juli 1799 als jüngstes von acht Kindern in Lyon das Licht der Welt. Von ihren Eltern Antoine Jaricot und Jeanne Lattier erhielt sie Marie als zweiten Vornamen. Der Vater erarbeitete sich als Seidenfabrikant ein ansehnliches Vermögen. Die Mutter Jeanne sorgte für die religiöse Erziehung und war gegenüber Angestellten und Hilfesuchenden sehr grosszügig. Schon früh interessierte sich Pauline für die Missionserzählungen ihrer Eltern und träumte davon, zusammen mit ihrem Lieblingsbruder Philéas nach China in die Mission zu gehen. Ein Traum, der damals für Frauen – wenn sie nicht einem Frauenorden angehörten – nie in Erfüllung gehen konnte. Sie fand dann ihren eigenen Weg der Mission. «Mein Kloster ist die Welt», erklärte sie später und war fest entschlossen, ihren zwei Jahre älteren Bruder Philéas, der als Priester in die Mission nach China gehen wollte, finanziell zu unterstützen. Aber nichts deutete darauf hin, dass sie dem angenehmen Leben in der gehobenen Gesellschaft Lyons den Rücken kehren würde, bis sie von einer Predigt des Lyoner Abbé Jean-Wendel Würtz so getroffen war, dass sie mit ihrem bisherigen Leben radikal brach.

Ein revolutionäres System

Die religiöse Erziehung und das Vorbild ihrer früh verstorbenen Mutter machten sie auf die soziale Misere und Hoffnungslosigkeit besonders der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Seidenfabriken Lyons aufmerksam. In der Fabrik ihres Schwagers machte sie die ersten Versuche ihres sozialen Engagements. Die teils sehr jungen Arbeiterinnen, die unter erbärmlichen Bedingungen arbeiten und leben mussten, bekamen auf die Initiative der erst siebzehnjährigen Pauline eine würdige Unterkunft. Sie spürte auch, dass das soziale Engagement allein nicht reichte, um die spirituelle Not zu lindern. Deshalb kümmerte sie sich auch um eine sinnvolle Freizeitgestaltung und gewann erste Freundinnen. Es half ihr, dass sie sich dabei wie eine gewöhnliche Arbeiterin kleidete und nicht als junge Frau aus reichem Haus auftrat.

Von ihrem Bruder Philéas, der in Paris Theologie studierte, erfuhr sie, in welch desolatem finanziellen Zustand die Missionsarbeit der französischen Ordensgemeinschaften nach der Revolution war. Hier wollte sie sich engagieren, um die Evangelisierung, das Werk der Glaubensverbreitung, zu unterstützen. Sie organisierte in ihrem Umfeld Zehnergruppen, die täglich ein Gebet beteten – ein Pater Noster und ein Ave Maria auf die Fürbitte des Missionspatrons Franz Xaver – und wöchentlich einen «Sou» spendeten. Nach dem Schneeballsystem, bei dem jedes Mitglied der Zehnergruppe wieder zehn Personen um sich sammelte, organisierte sie ein einfaches, aber hoch effizientes System, um die Mission mit Gebet und Geld, dem berühmten «Sou», zu unterstützen. Es war revolutionär, wie sie die Laien-Mission startete und in gewisser Weise demokratisierte.

Für Pauline Jaricot war von Anfang an klar: «Wir helfen nicht dieser oder jener Mission, wir helfen allen ohne Unterschied. Wir unterstützen die universale Sendung der Kirche.» Damit war der Solidaritätsfonds der Weltkirche geboren, der heute mit den Spenden der Kollekte vom Sonntag der Weltmission gefüllt wird. In Lyon wurden diese Spenden gesammelt und nicht mehr an nationale «Missionen» weitergeleitet, sondern nach den Bedürfnissen in den «Missionsländern» verteilt.

Widerstand und Verbündete

Der Widerstand gegen das rasch bekannte und gut funktionierende Werk liess nicht lange auf sich warten. Es waren Teile des Lyoner Klerus, dem das aufstrebende Werk ein Dorn im Auge war. Am 3. Mai 1822 kam es dann doch zur offiziellen Gründung des «Werkes der Glaubensverbreitung», zu der Pauline Jaricot als Frau nicht eingeladen worden war. An dieser Gründungsveranstaltung wurde die weltweite Orientierung des Werkes ins Zentrum gestellt, das ihm zu seiner weiteren Verbreitung half. «Ich war nur das Streichholz, welches das Feuer entfacht hat»1, sagte sie später. Sinn und Zweck der Gründung war es, die missionarische Arbeit und die Bedürfnisse in den «Missionsländern» durch das tägliche Gebet und einen regelmässigen finanziellen Beitrag zu unterstützen. Das Werk war mehr als ein soziales Hilfswerk, denn es stand unter dem Anspruch, eine persönliche Begegnung mit Christus zu ermöglichen. «Wir versammeln uns, um zu beten und die Berichte der Missionare zu lesen, Zeugnisse, die aus der ganzen Welt gekommen sind. In dieser Epoche der Spaltung sind die Versammlungen eine Gelegenheit, uns auszutauschen und Verbindungen herzustellen.» Pauline Jaricot war sich bewusst, dass die Menschen eher bereit sind, für das etwas zu geben, was sie kennen. Sie sammelte deshalb die Berichte aus den Missionen, die sie von ihrem Bruder Philéas und anderen Missionaren zugeschickt bekam, und verbreitete sie in den «Annalen». Die missionarische Bewusstseinsbildung war damit garantiert und das Werk florierte. Pauline Jaricot war es auch ein Anliegen, dass sich Menschen aus unterschiedlichsten Schichten der Gesellschaft trafen, austauschten, sich für das Thema Mission interessierten und als eigenen Auftrag erkannten. Sie suchte und fand Verbündete für ihr Anliegen, nicht nur Geldgeberinnen und -geber.

Pauline Jaricot scharte Gleichgesinnte um sich und gründet den «Lebendigen Rosenkranz». Es ist ihre zweite grosse Gründung, die weltweite Verbreitung gefunden hat. Aber nicht mit allen ihren Initiativen war sie erfolgreich. Als sie eine stillgelegte Fabrik kaufte, um damit günstige Arbeitsbedingungen für die Arbeiterinnen und Arbeiter zu schaffen, wurde sie von den beteiligten Männern gnadenlos hinters Licht geführt, um all ihr Vermögen gebracht und in den wirtschaftlichen
Ruin getrieben. Nur mit Mühe konnte sie bis zu ihrem Lebensende die Schulden zurückzahlen.

Eine «Erfolgsgeschichte» wird päpstlich anerkannt

In den folgenden Jahren ging die Leitung des missionarischen Werkes immer mehr in die Hände von Klerikern über, parallel zur kirchlichen Anerkennung, die schliesslich in die Ernennung als «Päpstliches Missionswerk» 1922 mündete. Mit der päpstlichen Anerkennung wurde der Sitz auch von Lyon nach Rom verlegt. Das Konzept des Werkes der Glaubensverbreitung war so einfach und überzeugend, dass es sich in kurzer Zeit in ganz Frankreich verbreitete und bald schon in vielen europäischen Ländern und in Nordamerika Fuss fassen konnte.

Nur vier Jahre nach der Gründung trafen 1828 erste Beiträge aus der Schweiz für das Werk der Glaubensverbreitung in Lyon ein! 1830 übernahm das Kloster Einsiedeln die Sammlung und sah sich dem Werk in Lyon verbunden. Im Vorwort zum ersten Band ihrer «Annalen der Gesellschaft zur Verbreitung des Glaubens» heisst es dazu: «Es ist wichtig, dass wir die Sache noch unter einem anderen Gesichtspunkt betrachten, und wohl bedenken, dass die Gesellschaft zur Verbreitung des Glaubens … kein eigentlich Nationaler Verein ist.»2

Lebensende

Pauline Jaricot starb 1862 in Lyon, verarmt und einsam. In der Blüte ihrer Schaffenskraft war sie über die Kirche von Lyon hinaus bekannt und korrespondierte sogar mit den damaligen Päpsten. Als Tragik der Geschichte wollte die Lyoner Kirche am Ende ihres Lebens fast nichts mehr von ihr wissen. Die einst so reiche Frau hatte Vermögen und Ansehen verloren.

Ihr Werk lebt aber weiter und ist weltweit verbreitet und trägt als das Hilfswerk der katholischen Kirche grosse Verantwortung für den gerechten Austausch an Gütern, für die Gebetsgemeinschaft und als Lerngemeinschaft. So wichtig für Pauline Jaricot auch die finanzielle Unterstützung der Missionen war, so hatte doch das Gebet und das stetige Bemühen, den Menschen die Begegnung mit Gott zu ermöglichen, den Vorrang vor allem Aktivismus. Und darin besteht die Aktualität des Charismas der Seligen Pauline Jaricot, der Gründerin von Missio.

Siegfried Ostermann

 

1 «Je n’ai été que l’allumette qui allume le feu». Maurin, Julia, Vie nouvelle de Pauline Jaricot, 2 Bände, Paris 1892.

2 Annalen der Gesellschaft zur Verbreitung des Glaubens Bd. I, Einsiedeln 1830, XIII.

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Siegfried Ostermann

Siegfried Ostermann (Jg. 1970) ist Theologe und arbeitet bei Missio in den Bereichen Kommunikation, Weltkirche und Aktion Sternsingen.