«Das erfordert viel Energie»

Am 5. März wurde in der Kathedrale in Genf zum ersten Mal seit der Reformation wieder eine katholische Messe gefeiert. Ein guter Grund, um einen Blick in die ehemalige Bischofsstadt zu werfen.

Abbé Pascal Desthieux (Jg. 1970) ist seit 2016 Bischofsvikar für den Kanton Genf. (Bild: zvg)

 

SKZ: Wenn Sie die Kirche in Genf mit einem Satz beschreiben müssten, wie würde er lauten?
Pascal Desthieux: Eine multikulturelle Gemeinschaft, bestehend aus Gläubigen, die aus der ganzen Welt kommen und sich gerne in Pfarreien und Sprachmissionen versammeln.

Wie wird in der ehemaligen Hochburg der Reformation die Ökumene gepflegt?
Tatsächlich war Genf seit der Reformation eine gemischte Region und später ein gemischter Kanton mit einer protestantischen Stadt und einem katholischen Land. Die Zahl der Katholikinnen und Katholiken ist in den letzten fünfzig Jahren aufgrund der starken Migration gestiegen. Aber wussten Sie, dass die Volkszählung von 1860 bereits mehr Katholikinnen und Katholiken (42'000) als Protestantinnen und Protestanten (40 000) im Kanton Genf ergab? Auch wenn die Beziehungen früher teilweise angespannt waren, wird die Ökumene heute auf allen Ebenen gelebt und praktiziert: von gemischt konfessionellen Paaren, über Schwesterpfarreien, die regelmässig zusammen feiern, allen Seelsorgestellen, die ökumenisch zusammenarbeiten, bis hin zu den kantonalen Verantwortlichen, die sich im Rahmen des «Trois-Bureaux» (mit unseren christkatholischen Schwestern und Brüdern) treffen. Wir achten auch darauf, gemeinsame Stellungnahmen abzugeben.

In Genf gibt es eine Trennung von Kirche und Staat und auch keine offiziellen Kirchensteuern. Welches sind die Vor- und Nachteile?
Zu den Vorteilen gehört, dass die Kirche im Vergleich zum Staat in ihrer Organisation und in ihren Stellungnahmen freier ist. Ich würde hinzufügen, dass sie, um Spenden zu sammeln, ihre Gläubigen und die breite Öffentlichkeit darüber informieren muss, was sie tut und was sie in die heutige Gesellschaft einbringt; diese Kampagnen sind auch eine Verkündigung der Guten Nachricht. Der Nachteil ist, dass die Kirche in Genf weniger Mittel und Möglichkeiten hat, Personal einzustellen. Sie muss selbst die Mittel aufbringen, um die Gehälter der Priester und Laienseelsorgenden zu bezahlen; das erfordert viel Energie und das Versenden zahlreicher Kampagnen mit Spendenaufrufen, die die Adressaten ermüden können. Die Pfarreien müssen auch nach Mitteln und Wegen suchen, um ihre Gebäude instand zu halten und die Seelsorge zu unterstützen. Glücklicherweise besitzen die meisten Pfarreien einige gut verwaltete Immobilien. Diejenigen, die keine besitzen, haben es schwer. Drei Pfarreien haben aktuell Immobilienprojekte, die einen Wiederaufbau ihrer Kirche beinhalten.

Wir wirkt sich die Multinationalität und Multi­kulturalität in Genf auf die Pastoral aus?
In Genf kommt die grosse Mehrheit der Katholikinnen und Katholiken «von anderswo». 60 Prozent der Genfer Katholikinnen und Katholiken sind ausländische Staatsangehörige, und unter den Schweizerinnen und Schweizern kommen viele aus anderen Kantonen oder sind eingebürgert. Man sagt, dass die Hälfte der Gläubigen, die zur Messe gehen, die Sprachmissionen besuchen. Diese sind lebendig und dynamisch, wobei Katholikinnen und Katholiken mit ausländischen Wurzeln tendenziell praktizierender sind. Um zwei Beispiele zu nennen: Rund 1200 Kinder und Jugendliche besuchen die Katechesen der portugiesischsprachigen Mission, und die englischsprachige Mission erneuert sich jedes Jahr um ein Drittel.

Was könnte die Kirche der deutschsprachigen Schweiz von der Kirche in Genf lernen?
Die Unentgeltlichkeit des Engagements und die Freiwilligenarbeit. Da es wenig bezahlte Stellen gibt, sind wir sehr auf das freiwillige Engagement angewiesen.

Genf war früher Bischofssitz. Wäre ein eigener Bischof heute wieder eine Option?
Im Jahr 2014 eröffnete der Bischof der Diözese, Charles Morerod, die Diskussion über dieses Thema und führte eine Umfrage bei den Laienseelsorgenden durch. Er stellte fest, dass es keinen starken Enthusiasmus für einen eigenen Bischof und zudem zahlreiche Nachteile für eine Neuaufteilung der Diözese gibt. Die Frage ist heute nicht mehr aktuell. Dafür gibt es eine andere wichtige Veränderung: Am 1. September wird Fabienne Gigon als neue Vertreterin des Bischofs für die Diözesanregion Genf ihre Stelle antreten, somit entfällt das Amt des Bischofsvikars.

Interview: Rosmarie Schärer

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