Die Katholische Kirche verfügt in der Stadt St. Gallen über eine grosse Anzahl Kirchen, Kapellen, Pfarreiheime und Pfarrhäuser. Diese Infrastruktur wird künftig nicht mehr den pastoralen Bedürfnissen und den finanziellen Möglichkeiten entsprechen. Sie soll im Rahmen einer neuen Gebäudestrategie überdacht und angepasst werden.
SKZ: Herr Bossart, die Katholische Kirche in der Stadt St. Gallen führt eine breite Diskussion rund um ihre Räume und Infrastruktur. Warum?
Armin Bossart: Nach einem mehrjährigen Zukunftsprozess sind die pastoralen und staatskirchenrechtlichen Verantwortungsträger in der Stadt St. Gallen gemeinsam zum Schluss gelangt, dass zwei Fragen zu klären sind: Welche räumliche Infrastruktur braucht die nächste Generation? Und welche räumliche Infrastruktur kann die nächste Generation finanziell noch tragen? Gestützt darauf wurde ein Positionspapier erarbeitet, das eine Auslegeordnung vornimmt, verschiedene Überlegungen anstellt und zum Teil provokative Massnahmen vorschlägt.
Entspricht die heutige Infrastruktur nicht den Bedürfnissen der nächsten Generation?
Nein. Wir erleben eine «Verkernung» der Pfarreien, d. h. wir haben immer kleinere Gottesdienstgemeinden, immer weniger Menschen erleben die Kirche im Quartier als ihre Heimat. Dagegen erleben wir immer mehr Mobilität in der Auswahl der Angebote und mehr Bereitschaft, sich an individuelleren Orten, Zeiten und Formen spirituell auszuleben. Unsere räumliche Infrastruktur ist aber unverändert auf das zunehmend schwindende volkskirchliche Modell ausgerichtet. Dies gilt es gestützt auf ein gesamtstädtisches Seelsorgekonzept anzupassen.
Und welche Infrastruktur kann sich die nächste Generation leisten?
Wenn ich das wüsste. Die Kirchgemeinde St. Gallen hat in den letzten zehn Jahren rund 12 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Allein in den letzten vier Jahren ist eine Reduktion um 2400 Mitglieder zu verzeichnen, was an vielen anderen Orten eine ganze Pfarrei ist. Die Stadt St. Gallen ist in den letzten Jahrzehnten mangels Bauland weit unterdurchschnittlich gewachsen. Somit haben wir auch nicht von der Migration profitiert, die an vielen Orten in der Schweiz den Mitgliederrückgang hat auffangen können. Und es ist klar: Weniger Mitglieder bedeutet über kurz oder lang weniger Steuereingänge. Diese Aussichten sensibilisieren für die Frage, ob die zur Verfügung stehenden Ressourcen richtig eingesetzt werden.
Die kürzlich erschienene Ecoplanstudie «Zukunft der Kirchenfinanzen» weist den Handlungsbedarf aus. Ist Eile geboten?
Sorgen bereitet uns nicht das Heute oder das Morgen. Sorgen bereitet uns das Übermorgen. Sinnvoll ist, aus einer Position der Stärke zu agieren. Dann, wenn wir noch genügend Kraft und Finanzmittel haben, aktiv zu gestalten und unsere Infrastruktur mit dem nötigen Spielraum und mit Kreativität auf die kirchlichen Bedürfnisse der nächsten Generation anzupassen. Das ist jetzt noch der Fall.
Was ist der Inhalt der neuen Gebäudestrategie?
Über die Gebäudestrategie ist noch nicht entschieden. Das von der pastoralen und der staatskirchenrechtlichen Seite gemeinsam erarbeitete Positionspapier wurde im Februar 2022 zur Vernehmlassung gestellt. Wir erhoffen uns eine breit geführte Diskussion, gestützt darauf die Weichen gestellt und Entscheidungen gefällt werden können.
Welche Massnahmen werden im Positionspapier konkret vorgeschlagen?
Eine der zur Diskussion gestellten Stossrichtungen ist, künftig auf drei Hauptstandorte zu fokussieren. An diesen Orten wollen wir am Vollausbau festhalten, d. h. an maximalem liturgischem Raum für die grossen Feiern, an einem reichhaltigen Angebot an Versammlungsräumen, an Büros und Sitzungsräumen, an Sälen für Veranstaltungen, die über die Bedürfnisse der Pfarrei hinausgehen.
Heisst das auch, dass die anderen Standorte aufgehoben werden?
Nein, wir wollen an der Präsenz in den Quartieren festhalten. Wir wollen keinen einzigen Standort gänzlich aufgeben. Die Nähe bei den Menschen ist die grosse Stärke der Kirche. Bei vier Standorten wollen wir aber klären, ob die heutige Infrastruktur anzupassen ist. Konkret haben wir zur Debatte gestellt, ob und wie diese im Sinne der nächsten Generation redimensioniert und umgestaltet werden können. Bei weiteren zwei Standorten haben wir die Frage aufgeworfen, ob mit der evangelisch-reformierten Kirche das Gespräch gesucht werden soll, um eine «räumliche Ökumene», also die gemeinsame Nutzung eines der bestehenden Standorte für beide Konfessionen, zu prüfen. Bei weiteren drei Standorten drängen sich aus unserer Sicht derzeit keine Änderungen auf.
Angedacht wird eine Redimensionierung an gewissen Standorten. Ist auch die Schliessung von Kirchen geplant?
Umnutzungen von Kirchen sind äusserst anspruchsvoll. Zum einen emotional, weil Kirchen wichtige Orte mit starker Symbolkraft sind, die nur wohlüberlegt und in Absprache mit den zuständigen Stellen angetastet werden dürfen. Zum anderen aber auch technisch, weil mit Denkmalpflege, Zonenzugehörigkeit usw. herausfordernde Rahmenbedingungen bestehen. Dennoch wollen wir die Diskussionen im Moment ohne Denkverbote und ohne Tabuthemen führen.
Wer Kirchenräume hinterfragt, weckt Emotionen. Schlägt Ihnen keine Opposition entgegen?
Die ersten Reaktionen auf unser Positionspapier habe ich sehr konstruktiv und sachlich erlebt. Im Innersten weiss jede und jeder, dass Handlungsbedarf besteht und wir die Augen vor der Realität nicht einfach verschliessen dürfen. Aber es ist klar: Veränderungen lösen bei Direktbetroffenen immer Emotionen aus und sehr häufig auch Ablehnung als erste Reaktion. Ich kann das bestens nachvollziehen. Menschen, die sich mit Herzblut in der Kirche engagieren, wollen bewahren und schützen. Die zum weit überwiegenden Teil positiven und ermutigenden Rückmeldungen zeigen aber, dass wir den richtigen Weg gehen, indem wir diese Diskussionen führen.
Sollte man sich die Diskussion rund um die Infrastruktur nicht besser sparen und stattdessen die Kirchen durch bessere Seelsorgekonzepte wieder füllen?
Die gesellschaftlichen Entwicklungen, die zu den veränderten seelsorgerlichen Bedürfnissen und zum Mitgliederrückgang führen, dürften ein Megatrend sein, gegen den wir uns kaum erfolgsversprechend stemmen können. Dass sich immer weniger Menschen an die Kirche anbinden lassen wollen, gilt es anzunehmen. Es gilt auch hier das Bonmot: Wir müssen die Menschen nicht anbinden, wir müssen sie fesseln. Fesseln mit gelebter Spiritualität, mit überzeugender Begleitung an den wichtigen Schnittstellen des Lebens, mit authentischem, sozialdiakonischem Engagement. Dies gelingt nicht, wenn wir in unseren Kirchgebäuden auf Gläubige warten. Wir müssen hinaus zu den Menschen. Und was ist die Folge davon? Wir brauchen weniger und kleinere bauliche Infrastruktur.
Was sind die Erfolgsfaktoren, dass der angestossene Prozess erfolgreich abgeschlossen werden kann?
Ich habe auf eindrückliche Weise erleben dürfen, wie die pastorale und die staatskirchenrechtliche Seite dieses schwierige Thema Hand in Hand angegangen sind und aufgegleist haben. Dieses enge Zusammenwirken beider dualer Partner erachte ist als wichtigste Grundvoraussetzung für das Gelingen eines solchen Prozesses. Entscheidend wird letztlich sein, ob die Kirchenbasis für die Veränderungen sensibilisiert werden kann. Diesbezüglich mache ich mir keine Sorgen. Wer sich kirchlich engagiert, dem liegt die Kirche am Herzen. Und wem die Kirche am Herzen liegt, der will die Kirche in die Zukunft führen und der nächsten Generation eine kirchliche Infrastruktur hinterlassen, die deren Bedürfnissen entspricht und die von ihr auch finanziell getragen werden kann.
Interview: Antonia Zahner*