Der lächelnde Papst

Am 4. September wurde Papst Johannes Paul I. seliggesprochen. Aufgrund seiner kurzen Amtszeit von nur 33 Tagen bleibt er vor allem durch seine liebenswürdige und bescheidene Art in Erinnerung.

Papst Johannes Paul I. ging als der lächelnde Papst in die Geschichte ein. (Bild: CNS photo/L’Osservatore Romano)

 

Es gibt Personen des öffentlichen Lebens, die man nicht nur kennt, sondern mit denen man vertraut zu sein scheint. Menschen auf der ganzen Welt haben am Schicksal von Prinzessin Diana Anteil genommen, ohne ihr jemals begegnet zu sein. Viele Amerikanerinnen und Amerikaner sehen in dem ehemaligen Präsidenten Jimmy Carter einen «good fellow», ohne ihn getroffen zu haben. Zu dieser Kategorie von Persönlich-
keiten gehört wohl auch Johannes Paul I., der am 4. September in Rom seliggesprochen wurde. Die Bilder des «lächelnden Papstes» sind unzähligen Katholikinnen und Katholiken nicht nur bekannt, sondern vertraut – eine wehmütige Erinnerung an einen Mann, der in den kurzen 33 Tagen seines Pontifikates die Welt verzaubert hat.

Volksnaher Bischof

Dass er einmal Karriere machen würde, war Albino Luciani nicht in die Wiege gelegt. Er wurde 1912 in einem Bergdorf in der Diözese Belluno geboren. Der Vater arbeitete als Maurer, und da es zu Hause nicht genug Arbeit gab, war er jedes Jahr als Saisonarbeiter unterwegs. In der Schönheit und Feierlichkeit der Liturgie erlebte Albino als Ministrant eine andere Welt, die sich von den ärmlichen Verhältnissen des Elternhauses abhob. Als der Pfarrer des Ortes vorschlug, sein Sohn solle in das Kleine Seminar eintreten, gab der sozialistisch gesinnte Vater nur zögerlich seine Zustimmung. Nach der Priesterweihe im Jahr 1935 folgte eine klassische kirchliche Laufbahn: Luciani wurde Vizedirektor und Dozent im Priesterseminar, er schrieb eine Doktorarbeit über den italienischen Philosophen Antonio Rosmini, wurde Leiter des Katechetischen Amtes und schliesslich Generalvikar.

Dass er 1958 zum Bischof der benachbarten Diözese Vittorio Veneto ernannt wurde, war keine Selbstverständlichkeit, da er gesundheitlich beeinträchtigt war; zweimal hatte er eine schwere Lungenentzündung gehabt. Er wurde ein volkstümlicher Bischof, der viel Wert auf die religiöse Unterweisung der Kinder und Jugendlichen sowie auf die Predigt in der Kathedrale legte. Durch Visitationen machte er sich ein Bild vom Zustand der Pfarreien.

Paul VI. schätzte den liebenswürdigen Kirchenmann und entzog ihm auch dann nicht das Vertrauen, als er im Namen der Bischöfe seiner Kirchenprovinz eine Denkschrift verfasste, in der er sich für eine Zulassung künstlicher Empfängnisverhütungsmittel aussprach. Das Verbot durch die Enzyklika «Humanae vitae» vom 25. Juli 1968 konnte er damit nicht verhindern. Luciani nahm die Entscheidung loyal an und rief auch seine Diözesanen auf, sich an die päpstliche Weisung zu halten. 1969 ernannte ihn der Papst zum Patriarchen von Venedig. Als er drei Jahre später zum Pastoralbesuch in die Lagunenstadt kam, legte er dem völlig überraschten Patriarchen die Papststola um.

Der spätere Pontifex war ein belesener Mann. Davon zeugen die schönen fiktiven Briefe, die er an grosse Personen der Weltgeschichte verfasste: an Charles Dickens, Kaiserin Maria Theresia, Goethe, König David … Sie erschienen zunächst in einer Kirchenzeitung und später gesammelt als Buch.1

Der lächelnde Papst

Am 6. August 1978 starb Paul VI. Das zentrale Anliegen seines Pontifikates war die Umsetzung der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils. Lucianis zügige Wahl zum Nachfolger muss man als Option für die Fortsetzung dieses Programms verstehen. Darauf deutet auch die Festlegung des Papstnamens hin, zum ersten Mal in der Kirchengeschichte ein Doppelname. Bescheiden, wie er war, bekannte er über seine beiden Vorgänger: «Ich habe weder Johannes‘ Weisheit des Herzens noch Pauls profunde Bildung – aber nun stehe ich an ihrer Stelle.»

Als erster Papst seit dem Mittelalter verzichtete er auf eine Krönung und liess sich im Rahmen einer heiligen Messe, in der ihm das Pallium angelegt wurde und die Kardinäle ihm die Treue schworen, in sein Amt einführen. Paul VI. hatte während des Konzils auf den traditionellen päpstlichen Tragsessel verzichtet, ihn zuletzt aber wegen seiner Arthrose wieder eingeführt. Die Mitarbeiter konnten den neuen Papst nun überzeugen, dass er auf der Sänfte besser gesehen werde (er war nicht sehr gross). Die Journalisten hatten bald schon einen Beinamen für ihn: «Il Papa del sorriso» – der lächelnde Papst. Schaut man sich noch einmal die Fernsehaufnahmen seiner vier Auftritte in der Audienzhalle an, wo er über die drei theologischen Tugenden und über die Demut sprach, so fällt in der Tat seine grosse Liebenswürdigkeit und Heiterkeit auf. Zweimal rief er Kinder zu sich heran und führte über die Armlehne seines Thronsessels hinweg ein Zwiegespräch mit ihnen, zum Erstaunen der Menge. Übrigens sprach er zumeist nicht vom Blatt, sondern formulierte frei, mit einer hohen, etwas belegt wirkenden Stimme.

Es ist schwer zu sagen, welche Schwerpunkte er als Papst gesetzt hätte, wenn ihm mehr an Zeit verblieben wäre. Ein «Theologenpapst» wäre er vermutlich nicht geworden. Die Doktorarbeit hatte er aus karrieretechnischen Gründen geschrieben. Seine Hirtenbriefe und Predigten kreisten um Fragen der Pfarrgemeinde, des christlichen Lebens und der religiösen Erziehung. Noch in Belluno hatte er einen kleinen Katechismus veröffentlicht, der den Glauben sehr anschaulich nahebrachte. Wahrscheinlich hätte es also eines starken Präfekten der Glaubenskongregation an seiner Seite bedurft, der ihn theologisch begleitet hätte. Auf einem weiteren Feld war er nicht versiert: Im Jahrhundert vor seiner Wahl waren fast alle Päpste diplomatisch ausgebildet worden, hatten als Nuntien oder im vatikanischen Staatssekretariat gewirkt. Diese Erfahrung konnte Luciani nicht vorweisen. Auch hier hätte er mit der Wahl eines starken Kardinalstaatssekretärs einen wichtigen Akzent setzen müssen.

Plötzlicher Tod und Spekulationen

Sein Pontifikat währte nur 33 Tage bis zu seinem plötzlichen Tod in der Nacht vom 28. auf den 29. September 1978. Beim Abendessen hatte er über Brustschmerzen geklagt, die Sorgen seiner Haushaltsangehörigen aber zerstreut. Spätabends zog er sich in sein Schlafzimmer zurück, um noch etwas zu lesen. Kurz darauf muss er einen Herzinfarkt erlitten haben, der unmittelbar zum Tode führte. Dass bald nach seinem Tod Gerüchte über dessen Ursache aufkamen, daran war der Vatikan selbst nicht ganz unschuldig. So hatte der Pressesaal zunächst bekannt gegeben, der Pontifex sei von seinem Sekretär tot aufgefunden worden. Wenig später musste man sich korrigieren: Eine der Ordensschwestern seines Haushalts hatte den Leichnam entdeckt, als sie Johannes Paul I. den Morgenkaffee bringen wollte. Offenbar hatte man es nicht für passend gehalten, dass eine Frau Zugang zum Schlafgemach des Pontifex hatte. Zunächst war mitgeteilt worden, der Papst habe ein frommes Buch, die «Nachfolge Christi», in seinen Händen gehabt. Man musste auch das korrigieren: Es waren ältere Predigtnotizen, mit denen er sich auf die kommenden Ansprachen vorbereitete. Sein plötzlicher Tod und diese mysteriösen Umstände führten dazu, dass bald schon Verschwörungstheorien in Umlauf kamen. Der britische Autor David A. Yallop veröffentlichte 1984 das Buch «In Gottes Namen», in dem er die These vertrat, der Papst sei vergiftet worden. Im Hintergrund sollten die geheimen Machenschaften der Vatikanbank stehen, die Hauptanteilseigner einer anderen Bank, der «Banco Ambrosiano», war. Letztere sollte wenig später kollabieren. Die Umstände seines Todes wurden im Rahmen des Seligsprechungsverfahrens gründlich rekonstruiert. Der Befund ist eindeutig: Johannes Paul I. starb eines natürlichen Todes.

Die unerfreulichen Gerüchte um seinen Tod konnten das Bild des bescheidenen und freundlichen Papstes jedoch nicht verdunkeln. Er wird nicht nur den Katholikinnen und Katholiken als lächelnder Pontifex im Gedächtnis bleiben.

Jörg Ernesti

 

1 Luciani, Albino, Ihr ergebener Albino Luciani. Briefe an Persönlichkeiten. München, 1978.

 


Jörg Ernesti

Jörg Ernesti (Jg. 1966) studierte Philosophie und Theologie in Paderborn (D), Wien und Rom. Zunächst arbeitete er als Professor für Kirchengeschichte in Brixen (I). Seit 2013 ist er Professor für Kirchgeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Augsburg und seit 2019 Dekan.