Heimat

Donata Bricci, Kanzlerin und Mitglied des Bischofsrats im Bistum Chur, macht sich Gedanken über den Ort, wo wir uns zu Hause fühlen, Herzenswärme spüren und von Zuneigung umgeben sind. Doch was, wenn Heimat fehlt?

Heimat – eine wichtige oder gar lebensnotwendige Grundlage für den Menschen. Sie ist es, in welcher wir uns geborgen fühlen, aus welcher wir die Realität erfahren, die unsere Mentalität, unseren Charakter, unsere Identität mitprägt. Sich fremd fühlen, kein Zuhause haben, keine Heimat haben – das macht einsam, unsicher, und es macht Angst. Unsere Antwort als Kirche: Geborgenheit schenken.

Eine Heimat zu haben ist uns Menschen – zurecht – wichtig, einen Ort, an dem wir uns geborgen fühlen, verstanden, akzeptiert, zugehörig, «richtig», an welchen wir immer wieder zurückkehren können. Mit dieser Voraussetzung sind wir gerne bereit, fremde Länder zu bereisen, andere Kulturen und andere Sitten kennenzulernen. Wenn wir aufgrund von Kriegen, Hunger oder Gewalt diese Heimat verlassen müssen, zeigt sich noch deutlicher, was für ein tiefes Bedürfnis wir nach Geborgenheit und Heimat haben.

Da ich als Tochter eines Italieners und einer Liechtensteinerin in zwei doch recht unterschiedlichen Kulturen aufgewachsen bin – zudem in Italien, Liechtenstein und Österreich gelebt habe und seit nun 15 Jahren in der Schweiz wirke –, habe ich selbst erfahren, dass es unterschiedliche Ausdrucksformen der gleichen Wirklichkeiten gibt, ohne dass dies beängstigend sein muss: «Anders» bedeutet nicht automatisch «gefährlich». Von Kind an habe ich das Wesentliche, das «für alle und überall Gültige» gesucht und mich nicht gewundert, dass gleiche Inhalte in den verschiedenen Kulturen verschiedene Ausdrucksformen haben. Gleichzeitig gab es verschiedene Schwerpunkte, Nuancen, die je nach Kultur variieren konnten – das war bereichernd, spannend und interessant, manchmal auch herausfordernd, nie aber völlig furchterregend, da doch überall auch Heimat war.

Im kirchlichen Leben ist es nicht anders. Man kann auch dort erfahren, wieviele unterschiedliche Ausdrucksformen und Charismen es gibt und doch teilen wir den gleichen Glauben. Diese Erfahrung durfte ich ganz besonders als Mitarbeiterin beim Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) machen. Ganz gleich wo wir gerade ein Treffen organisierten – immer war auch Heimat da: die Kirche, jene Heimat, die unsere Sehnsucht nach jener tieferen Geborgenheit zu stillen vermag, noch über unsere vergängliche Heimat auf Erden hinaus. Als Mittlerin der ewigen Heimat bei Gott sind wir in der Kirche Kinder Gottes und Brüder und Schwestern untereinander. Bei den Gesprächsrunden der Vertreter der europäischen Bischofskonferenzen zeigten sich zwar die verschiedenen Schwerpunkte, Problematiken, die je nach Ursprungsland sehr unterschiedlich sein konnten (was die Probleme im eigenen Land manchmal auch relativierte und sehr wohltuend sein konnte), doch bei der gemeinsamen Liturgiefeier war diese Geborgenheit der ewigen Heimat deutlich zu spüren. Die verbale und nonverbale Sprache, die Lieder konnten zwar variieren, das Wesentliche war jedoch einheitlich, liess also die Einheit erkennen: gemeinsam auf Gott gerichtet, um auf ihn zu hören und uns von ihm beschenken zu lassen. Und dort gemeinsam eine andere Art von Heimat zu erleben, jene Geborgenheit der ewigen Heimat, die wir sehnsuchtsvoll erwarten und schon jetzt erahnend, herantastend erfahren können.

Donata Bricci


Donata Bricci

Donata Bricci (Jg. 1971) absolvierte ein Studium als Übersetzerin an der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck (A) und hat ein Diplom als Theaterpädagogin BuT der Theaterwerkstatt Heidelberg (D). Sie arbeitete als Fremdsprachenlehrerin, Jugendarbeiterin, Theaterpädagogin, Katechetin, Radiomoderatorin, Übersetzerin und Dolmetscherin. Von 2005 bis 2013 war sie Assistentin beim Rat der Europäischen Bischofskonferenzen mit Sitz in St. Gallen. Seit 2013 ist sie im Bischöflichen Ordinariat in Chur tätig. Im Jahr 2017 wurde sie zur Kanzlerin ernannt und von Bischof Joseph Maria Bonnemain im Jahr 2021 als Bischofsratsmitglied in den Bischofsrat berufen.