Heidegger und kein Ende

Heidegger und kein Ende, könnte man seufzen. Doch ist Martin Heidegger der wirkmächtigste deutsche Philosoph des 20. Jahrhunderts, namentlich für die Theologie vermittelt über Bultmann und Welte.

Im Nachlass wurden die sogenannten Schwarzen Hefte gefunden, eine Art intellektuelles Tagebuch der späten 30er-Jahre, in denen der Denker explizit antisemitische Aussagen macht. Die ehemalige Vizepräsidentin der Heidegger-Gesellschaft hatte privilegierten Zugang zum Archiv und präsentiert ein wohlinformiertes Buch.1

Interessanterweise äussert Heidegger seinen Antisemitismus nicht 1933, wo er als Rektor der Universität Freiburg i. Br. der Nazibewegung nahesteht, sondern später, wo er enttäuscht sich zurückzieht. Es ist kein rassischer Antisemitismus, der in den Schwarzen Heften offenbar wird, vielmehr ein metaphysischer: Der Jude ist nicht nur entwurzelt, er entwurzelt selbst. In der Verfallsgeschichte, die die abendländische Geschichte für Heidegger seit der Verdunkelung des Seins durch das Seiende darstellt, sind die Juden Treiber eben jenes Verfalls.2 Selbstredend sind hier vulgäre antisemitische und nationalkonservative Vorstellungen auf die geschichtsphilosophische Ebene gehoben, dennoch sind die Schwarzen Hefte ein Novum, denn man kannte Heidegger so noch nicht.

Der Denker aus dem Schwarzwald war Philosoph und Antisemit zugleich. Er repräsentiert nicht die Ausnahme, sondern leider die Regel unter den deutschen Philosophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das wäre nicht so erschütternd, wäre Heidegger nicht Ideengeber für sehr viele Philosophen in Deutschland, Frankreich, Italien und überhaupt in der Welt. Auch politische Antipoden wie Jean-Paul Sartre zehren von ihm. Di Cesares These ist nun, dass Heidegger dem Judentum einiges verdankt, dieses jedoch konsequent verschweigt. Damit dreht sie den Verdunkelungstopos gegen seinen Erschaffer. Ja, das ganze Werk Heideggers ist nach der Verfasserin ein Messianismus ohne Messias: die Befreiung, wenn denn dieser Begriff hier überhaupt verwendet werden darf, würde von der Entbergung des Seins kommen. Es gibt aber niemanden, der dies bewerkstelligen könnte, Heidegger sah sich selbst höchstens als Künder, nicht als Erlöser. Der Mann, der wenige Tage im Jesuitenkolleg Feldkirch verbrachte und dann zeit seines Lebens ein höchst zwiespältiges Verhältnis zum Katholizismus gehabt hat, bleibt ein erratischer Block.

 

Francesco Papagni

Francesco Papagni

Francesco Papagni ist freier Journalist. Er lebt in Zürich.