Happy Birthday CPT-Seelsorgeausbildung!

Foto: Sibylle Schär

Von Gott im Skianzug, Seelsorgeausbildung im afrikanischen Kongo und richtungsweisenden Zukunftsgedanken – Streiflichter von der CPT-Jubiläumsfachtagung mit dem Thema «Weil da Menschen sind» vom 24. März 2017 in Lenzburg.

Stellen Sie sich vor, dass Gott neben Ihnen auf Ihrer Lebenspiste steht. Er begleitet Sie bei den Stolpersteinen und an den schmalen gefährlichen Stellen Ihres Lebens und nimmt Sie irgendwann am Lebensziel freudig in Empfang und umarmt Sie liebevoll.» Nachdem sich die Patientin, die eine begeisterte Skifahrerin war, als Erstes gefragt hatte, welchen Skianzug Gott wohl trage, meinte sie als zweite Reaktion: «Tolles Gefühl! Vor solch einem Gott habe ich keine Angst.» Heutzutage sind solche Seelsorgegespräche möglich und für manche vielleicht sogar selbstverständlich. Dass dem so ist, verdankt sich der Clinical Pastoral Training – Seelsorgebewegung (CPT), die in den 70er-Jahren aus den USA über Holland in der Schweiz kam.1

Pionierarbeit

CPT leistete in der Schweiz Pionierarbeit. Es war die Initialzündung, um die empirische Wende in der Praktischen Theologie einzuleiten. Die Theologie wurde nun erfahrungsbezogen und hatte sich existenziell am Leben zu bewähren. Als logische Folge mutierte die Psychologie zu einer Partnerwissenschaft, die bis dahin als Hilfswissenschaft galt. Aus der Kritik an einer rein theologischen Buchtheologie entwickelte sich prozessorientiertes Lernen, in dem die eigene Biografie, persönliche und theologische Authentizität eine entscheidende Rolle spielten. Die seelsorgliche Beziehung sollte das Gegenüber erleben lassen, dass er oder sie bedingungslos angenommen sei. Paul Tillich meinte dementsprechend, dass Seelsorge das erfahrbar mache, was die Predigt predige.

Von Anfang an kennzeichneten drei Merkmale die Ausbildung in der Schweiz: die selbstverständliche ökumenische Ausrichtung, die internationale Vernetzung und die hohe Qualitätssicherung, die eine intensive Ausbildung bedingt. Darüber hinaus ist die Schweiz vor den USA und Deutschland wegweisend darin, dass es möglich ist, CPT als Studiengang mit universitärerem Abschluss zu machen. CPT hat seither über den Seelsorgebereich hinaus das gesamte kirchliche Denken verändert und somit eine grosse Wirkungsgeschichte gezeigt. Über 30 Jahre lang wurde Seelsorge zur leitenden Disziplin für alles kirchliche Handeln: von seelsorglich predigen bis zum therapeutischen Unterricht und – neben den Gottesdiensten – zu einer der Kernaufgaben der Kirche.

Markenzeichen der Kirche weiter öffnen

Seelsorge ist zu einem Markenzeichen der Kirche geworden. Zudem bringt die Gesellschaft der Spitalseelsorge hohe Wertschätzung entgegen. Das darf als Erfolg von CPT gewertet werden. CPT ermöglicht diejenige Perspektive aufzusuchen, die für den Klienten tragend ist. Es geht darum, dem anderen zu helfen, seine eigene Sinnfindung zu erschliessen. So wie die Seelsorgenden Menschen im Spital begegnen, so müsste man Menschen insgesamt in der Kirche begegnen, meint dementsprechend Prof. Arnd Bünker, Leiter des Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) in St. Gallen, auf der Tagung.

Die zeitlich und finanziell anspruchsvolle Ausbildung bringt Lernende dazu, unter Stress in Krisen den Umgang mit den eigenen Grenzen zu lernen, eine Kommunikation an der Grenze zu entwickeln und entwickelt eine Ambiguitätstoleranz. Seelsorgesituationen sind nicht berechenbar und daher auch nicht standardisierbar. Das tiefe Gefühl von «wir sind begrenzt» ist zutiefst theologisch. Oder wie Prof. Kerstin Lammer von der Evangelischen Hochschule in Freiburg, Deutschland, sich ausdrückte: CPT lehrt «Inkompetenzkompensationskompetenz».

Seelsorge war über Jahrzehnte die unangefochtene Aufgabe der Kirche. Dieser exklusive Zugang der Kirche im Bereich Seelsorge verändert sich zunehmend. Zum einen gewinnt Spiritual Care an Bedeutung, was auch andere Professionen im Gesundheitsbereich ausüben können wie z. B. Pflegende und Ärzte und Ärztinnen. Zum anderen liegt es an den sich wandelnden Bedürfnissen der Kirchenmitglieder der beiden grossen Kirchen, zu denen 62 Prozent der schweizerischen Bevölkerung gehören. Meistens gibt es bei ihnen nur ein geringes Interesse an einer spezifisch konfessionell ausgerichteten Seelsorge, wie es sich z. B. im Wunsch nach Kommunion äussern würde. Stattdessen zeigt sich ein allgemeineres Bedürfnis nach religiöser und spiritueller Begleitung. Deshalb hebt Bünker die Wichtigkeit hervor, eine Berufsgruppe der Seelsorge im Gesundheitsbereich zu schaffen. So würde Seelsorge zu einem Label. Diese Professionsentwicklung würde eine wiedererkennbare Vereinheitlichung der Qualitätsstandards, Kontrollmöglichkeiten und wissenschaftliche Reflexion ermöglichen. Eine so gedachte vertiefte Berufsbildung der Profession Seelsorge in der gesamten Schweiz würde die bisher bikonfessionelle Ausrichtung von CPT und die auf Volltheologen reduzierte Ausbildung weiten und die Qualität sichern. Ebenso wies Lammer daraufhin, wie bedeutsam es für die Zukunft sei, die CPT-Ausbildung durchlässiger bezüglich anderer Vorqualifikationen zu gestalten, individuelle Lerncurricula zu ermöglichen und die Zielgruppe von bisher Volltheologen für andere Seelsorger und Seelsorgerinnen zu öffnen. In den USA zum Beispiel, in denen jedes Jahr 9000 Seelsorgende in CPT ausgebildet werden, ist die Ausbildung selbstverständlich interreligiös ausgerichtet.

Workshops

Fünf Workshops gingen unterschiedlichsten Fragestellungen nach: Spannend das Gespräch über die Entwicklung von CPT-Kursen in Kongo, wo ab 2009 die Pfarrer Klaus Voellin und Jean-Claude Schwab über mehrere Jahre sechswöchige CPT-Kurse in dem krisengeschüttelten Land anboten und die lokalen Seelsorgenden so weit ausbilden konnten, dass nun afrikanische Geistliche die Kurse leiten. Für kongolesische Pfarrer war es neu, sich aufs Zuhören einzulassen statt kerygmatische Inhalte vermitteln zu wollen. Sie erlebten das Heilsame daran für sich selber, als ihre traumatisierenden Erfahrungen von Krieg, Gefängnis und Bedrohungen während der Ausbildung Raum bekamen.

Der männerorientierten Seelsorge widmete sich der Workshop «Gnade erleben inmitten der Ohnmacht». Da Handlungsorientierung, Unabhängigkeit und Humor als Stärken von Männern gelten, sei in Krisen häufig der erste Impuls, das eigene Selbstbild zu wahren und die Situation zu beschönigen: «Selbst ist der Mann.» und «Es ist nicht so schlimm.» seien typische Äusserungen. Statt von Ohnmacht ins Machen zu kommen, kann es hilfreich sein, das eigene Handlungsrepertoire zu erweitern, ohne das Gesicht zu verlieren. Eine Situation aus einem neuen Blickwinkel zu sehen, ermöglicht es, einer schwierigen Situation einen neuen Bezugsrahmen zu geben. Die Geschichte von der Jakobsleiter gewinnt an Bedeutung, wenn es um Karriereleitern geht, und das Bedürfnis nach Unabhängigkeit spiegelt sich in der Geschichte vom verlorenen Sohn wider.

Den besonderen Umständen in einer Psychiatrie trug der Workshop «Möglichkeitsraum der Seelsorge in der Psychiatrie» Rechnung. Eine Entstigmatisierung für Menschen mit Burn-out finde statt, jedoch kaum für Betroffene mit Substanzabhängigkeiten, Psychosen und Schizophrenien. Es ginge darum, die persönliche Lebensgeschichte zu verstehen und zugleich anzuerkennen, dass das Ich mehr ist als die eigene Geschichte. Der Glaube kann dabei ein anderes Licht auf einen selbst werfen, und es wird möglich, sich vor aller Leistung angenommen zu wissen.

Ein weiterer Workshop behandelte die Frage nach Gott in der Seelsorgeausbildung, da CPT immer auch biografisches Lernen ist und danach fragt, ob der eigene Gott auch der Gott des Gegenübers ist.

Ganz praktisch machte der Bibliodramaworkshop die Geschichte von den hebräischen Hebammen Schifra und Pua erlebbar. Die Teilnehmenden konnten erfahren, wie viel Energie entsteht, wenn im Widerstand Bündnisse über scheinbare Grenzen hinweg eingegangen werden. Gemäss dem Motto der Tagung ist die Motivation dazu, weil da Menschen sind – hier also ganz vulnerable Neugeborene. Mit dieser Energie kann auch das Wagnis der Konfrontation mit dem Bösen eingegangen werden.

Engagierte Diskussion

Beim Podiumsgespräch unter dem Thema «Zukunftsfähige Seelsorgeausbildung verlangt?» gab es eine engagierte Diskussion unter der Leitung von Dr. Claudia Mennen.2 Die Diskussion stellte sich u. a. den Fragen: Welche Bedeutung hat CPT in Zeiten von Spiritual Care und Psychoonkologie? Muss sich die derzeit bikonfessionelle Ausbildung angesichts der religionssoziologischen Erhebungen auf weitere Anbieter hin öffnen? In welcher Verantwortung stehen die Landeskirchen und die theologischen Ausbildungsstätten? Braucht es nur akademisch Ausgebildete in der Seelsorge? Wie können weitere Personenkreise durch eine CPT-Ausbildung für die Mitarbeit in der Seelsorge gestärkt werden? Es wurde deutlich, dass CPT unbestreitbar einen gewichtigen Platz in den sich verändernden Seelsorgesituationen hat. Das gemeinsame Singen von Taizé-Liedern rundete die Jubiläumstagung ab, denn «wer singt, betet doppelt» (Augustin). Mit anderen Sinnen wurde erfahrbar, was der theologische Grund des Zusammenkommens war – mit einem Gedicht von Kurt Marti formuliert: Am Anfang also: Beziehung. / Am Anfang: Rhythmus. / Am Anfang: Geselligkeit. / Und weil Geselligkeit: Wort. / Und im Werk, das sie schuf, / suchte die gesellige Gottheit sich neue Geselligkeiten. / Weder Berührungsängste noch hierarchische Attitüden. / Eine Gottheit, die vibriert / vor Lust, vor Leben. / Die überspringen will / auf alles, auf alle.

 

 

1 Dies war der gute Grund, 45 Jahre CPT in der Schweiz und 10 Jahre den Verein CPT, der Seelsorgekurse und Supervision organisiert, mit einer Fachtagung in Lenzburg zu feiern.

2 Pfr. Dr. Christoph Weber- Berg, Kirchenratspräsident der Reformierten Landeskirche Aargau, Monika Hungerbühler, Co-Dekanatsleiterin römisch-katholische Kirche Basel Stadt und katholische Seelsorgerin in der Offenen Kirche Elisabethen, und Prof. Dr. Birgit Jeggle-Merz, Liturgiewissenschaftlerin an der Theologischen Hochschule Chur und an der Universität Luzern, nahmen die Impulse der Referate auf.