Pilgerreisen auf den Spuren der verfolgten Christen

Das Leid der Christen in Nahost wird in Europa und den USA leider immer öfter für andere politische Zwecke missbraucht und dadurch noch verstärkt.

Am 24. Mai 1250 hatte König Ludwig IX. in einer Charta an den maronitischen Patriarchen versprochen, im Namen Frankreichs für alle Zeiten den Maroniten im Libanon einen speziellen Schutz zu gewähren. Diese Schutzzusage wollte Marine Le Pen bei ihrem Libanon-Besuch am 21. Februar wieder erneuern. In einem Interview mit der libanesischen Zeitung «L’Orient Le Jour» hatte die Präsidentin des Front national die besondere Rolle Frankreichs zum Schutz der orientalischen Christen betont. Diese Verantwortung ihnen gegenüber hätte Frankreich seit der Präsidentschaft von Nicolas Sarkozy vernachlässigt, sagte sie. Sarkozy habe nichts verstanden von den Erwartungen dieser Christen Frankreich gegenüber, als er ihnen vorschlug, nach Frankreich zu kommen, um Schutz und Aufnahme zu erhalten. Marine Le Pen dagegen kämpfte für ein Bleiberecht der Christen in ihrer Urheimat, was seit Ludwig IX. bis Napoleon III. gewesen sei, der 1860 sogar militärisch intervenierte, um die Massaker an den Christen im Libanon und in Damaskus zu beenden. Bereits 2015 hatte Marine Le Pen bei einem Besuch in Ägypten dem koptisch katholischen Patriarchen ihre Bereitschaf versichert, Frankreichs Rolle als Schutzmacht der Christen des Nahen Ostens zu erneuern.

Älteste Tochter der Kirche

Solche Rhetorik birgt jedoch gewisse Widersprüche. Frankreich hatte nämlich seine Rolle als Schutzmacht der orientalischen Christen überhaupt nur auf sich genommen, weil es sich als «Älteste Tochter der Kirche» angesehen hat.

Das hatte auch Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Frankreich in den 1990er-Jahren bestätigt. Seit einigen Jahren passt dieses Bild nicht mehr zu Frankreich, das immer mehr Zeichen einer Distanzierung zur Kirche zeigt. Auch Marine Le Pen betont neben den christlichen Wurzeln Frankreichs den nationalen Wert der Laizität, wie es 1905 in den sogenannten «Combes-Gesetzen» wenn auch nur mit einer knappen Mehrheit im Parlament verabschiedet wurde. Wie man sich im eigenen Land für eine strikte Trennung der Konfessionen und Religionen vom Staat einsetzen will und sich dann in einem fremden Land für den besonderen Schutz einer Konfession gegenüber dem Staat starkmacht, birgt dies einen gewissen Widerspruch. Aber auch diese Widersprüchlichkeit hat eine gewisse Tradition in Frankeich, brauchte man doch auch während der Trennungskämpfen zwischen 1880 und 1920 in den Kolonialgebieten die Kirche weiterhin zur Durchsetzung der französischen Kultur und des Herrschaftsanspruches, vor allem in Algerien – damals schon keine Kolonie, sondern bereits Teil des Mutterlandes. In diesen Regionen Frankreichs galten die Combes-Gesetze nicht.

Auch der russische Präsident Putin bedient eine ähnliche Rhetorik, wenn er die Rolle des christlichen Russlands beim Schutz der orientalischen Christenheit immer wieder betont, vor allem seit der russischen Militärintervention 2015 in Syrien. Für Putin dient diese Schutzfunktion für die Christen sogar als Grund für die Intervention, um diese in Russland einer zunehmend skeptischen Bevölkerung attraktiv zu machen. Der russisch-orthodoxe Patriarch Kirill ist auf diese Rhetorik reingefallen, als er die Präsidentschaft Putins als «Wunder» bezeichnet hat. Schwer vorstellbar, dass auch der Papst auf ähnliche Angebote eingehen würde, obwohl sich auch der Papst als Beschützer der Christen, insbesondere der Bedrängten, weltweit versteht.

Man könnte vielleicht noch anfügen, dass sogar der Gottesstaat Iran, der im eigenen Land sicher nicht bekannt ist für eine freie Religionsausübung, seit einiger Zeit versucht, sich im Nahen Osten als Beschützer der Christen anzudienen. Auch die Schiiten sind im Islam nur eine Minderheit von 20 Prozent, deshalb brauchen sie in einigen Ländern, wie im einst mehrheitlich christlichen Libanon, die Christen, um das Land zu regieren. Papst Benedikt konnte den Libanon 2012 nur besuchen, weil die Schiiten dies zuliessen und für seine Sicherheit garantierten.

Assad beschützt nicht die Christen, nur sein eigenes Regime

Der grösste Widerspruch politischer Reden zur Solidarität besteht jedoch in der Rolle, die der syrische Präsident Baschar Al Assad in dieser rhetorischen Agenda spielt. Le Pen wie Putin sehen in Assad ein Bollwerk gegen den radikalen gewaltbereiten Islamismus und deshalb auch den einzigen Beschützer der Minderheiten in Syrien. Noch im Dezember 2016 twitterte Le Pen, dass die syrischen Christen nicht von Assad verfolgt würden, sondern vom Islamischen Staat. Es mag zwar stimmen, dass eine Mehrheit der syrischen Christen nicht den Sturz Assads unterstützt und eine Machtergreifung der Islamisten fürchten, aber der Assad-Clan hat aus dem Schutz der christlichen Minderheit kein Element seiner Politik gemacht. Im Gegenteil, auch als es noch keinen Bürgerkrieg in Syrien gab, hatte dieser Clan in Syrien und im Libanon jegliche Form von Opposition massiv unterdrückt. Dabei hat er nicht zwischen Christen, Drusen, Sunniten und Alawiten unterschieden, er hat sogar religiöse Spannungen benutzt, um seine Herrschaft zu stärken, was mit ein Grund des derzeitigen Bürgerkrieges war.

Die kirchlichen Würdenträger in Syrien sind bis heute davon überzeugt, dass sie die richtige Entscheidung getroffen haben, auf der Seite des Machthabers Assad zu bleiben und sich nicht auf die Seite der immer mehr islamistisch geprägten Rebellion zu stellen. Viele syrische Christen hatten keine andere Wahl, als im Lande zu bleiben. Sie sind heute von Assad nur geduldet, sofern sie sich dem Regime unterwerfen, wo dieses noch die Macht hat. Vielleicht ist es auch in dieser Funktion, als Geiseln einer Diktatur, die den Islamismus braucht, um sich an der Macht zu halten – darum auch Marine Le Pen die orientalischen Christen aufforderte, im Lande zu bleiben?

Vielen Politikern anderer Couleur in ganz Europa fordern die Christen immer wieder auf, im Lande zu bleiben. Allein im Irak sind seit der US-geführten Intervention 2003 mehr als die Hälfte der Christen geflohen, die meisten vor dem Aufkommen des IS 2014. Die Bischöfe des Iraks, die sich im letzten Jahr mit dem Papst in Georgien getroffen haben, haben nie eine ähnliche Nähe wie ihre syrischen Mitbrüder zur allerdings demokratisch gewählten irakischen Regierung.

Fast alle im Irak verbliebenen Bischöfe leben mittlerweile wie ihre Gläubigen im kurdischen Herrschaftsbereich im Nordirak, wo (noch) eine sehr enge Kooperation mit westlichen Organisationen herrscht. Dennoch sind es gerade die irakischen Bischöfe unter Leitung des chaldäischen Patriarchen Sako, die mit der Aufforderung an die Christen zum Bleiben auch eine Forderung nach Demokratie und friedlichem Zusammenleben aller Religions- und Volksgemeinschaften der Region einfordern.

Eine solche Botschaft sollte kein Zugeständnis weder an den Islamismus noch an irgendwelche Diktaturen machen, die sich gegenseitig hochzüchten. Bislang hat diese ausgewogene Position den Christen jedoch auch nichts genutzt, weil sie bis heute für die westlichen Interventionen 2003 im Irak mitverantwortlich gemacht werden.

Fragwürdige Solidarität mit verfolgten Christen

Seit der Vertreibung der Christen aus den Gebieten des IS im Irak und in Syrien hat es in vielen europäischen Ländern Solidaritätsaktionen mit den verfolgten Christen gegeben. Solche Initiativen waren oft von wirklicher Solidarität und Mitleid mit der schwierigen Lage der orientalischen Christen getragen. Manchmal jedoch waren die Initiativen auch vom Wunsch getragen, die christliche Identität hierzulande zu stärken. Hierzu sollte das Leid der Christen im Nahen Osten nicht missbraucht werden. Dies betonte auch der Vorsitzende des französischen Orientwerks, der ältesten französischen, von Laien gegründeten Solidaritätsaktion, Monseigneur Pascal Gollnisch. Das französische Orientwerk wurde 1856 gegründet, als sich die ersten Massaker an den Christen der Neuzeit abgezeichnet haben. Gollnisch forderte, dass «die Hilfe für orientalische Christen keiner Partei oder Bewegung zugutekommen sollte». Allzu lange hätten die Christen des Orients die Rolle einer fünften Kolonne für den Westen gespielt. Das beste Beispiel hierfür waren die Armenier, die in ihrer Geschichte seit der Zeit der Kreuzzüge, als es ein gemeinsames französisch-armenisches Königreich in Kilikien gab, allzu oft die Wankelmütigkeit ihrer westlichen Freunde erfahren mussten und im Stich gelassen wurden, nicht nur beim Völkermord 1915–1922. Viele orientalische Christen fühlen sich verraten und haben deshalb bereits das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der westlichen Christen fast verloren.

Msgr. Gollnisch forderte, dass die Solidaritätsbekundungen mit den verfolgten Christen mit sehr viel Einfühlungsvermögen mit deren Situationen vor Ort verbunden sein sollten. Bevor die orientalischen Christen nämlich Christen sind, sind sie zuerst einmal Bürger ihrer jeweiligen Staaten, wo sich ihr Schicksal entscheidet.

Der Jesuit Ziad Hilal, Ansprechpartner für das Hilfswerk «Kirche in Not» in Syrien, hatte die Besuche französischer und amerikanischer Politiker in Syrien und ihre Treffen mit Assad scharf kritisiert. Solche Besuche würden die orientalischen Christen einschüchtern, weil sie nur auf die Wähler in den europäischen Ländern abzielen. Sie hätten nichts mit der Verbesserung der Lage der Christen vor Ort zu tun.

In Frankreich gibt es seit 2015 sogar spezielle «Pilgerreisen auf den Spuren der verfolgten Christen» in Syrien und dem Irak, die von Solidaritätsaktionen wie «SOS Chrétiens d’Orient» organisiert werden. Auch diese Organisation steht dem Front national nahe. Msgr. Gollnisch hält Tourismus in Kriegsgebieten für unverantwortlich. Nach Syrien zu fahren, sei jedoch an sich nicht eine schlechte Sache, sagt auch Msgr Gollnisch.

Man sollte dorthin fahren, indem man zunächst an die denkt, denen man helfen will, und nicht die orientalischen Christen noch zusätzlich in Bedrängnis bringen.

 


Bodo Bost

Bodo Bost studierte Theologie in Strassburg und Islamkunde in Saarbrücken. Seit 1999 ist er Pastoralreferent im Erzbistum Luxemburg und seit 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Public Responsibility an der kircheneigenen Hochschule «Luxembourg School of Religion & Society».