Handeln aus der Kraft der Solidarität

Frieder Furler: Diakonie – eine praktische Perspektive. Vom Wesensmerkmal zum sichtbaren Zeichen der Kirche. TVZ-Verlag, Zürich 2012. 192 Seiten, Fr. 34.–.

Ein neues Grundlagenwerk zum Thema Diakonie. Was bedeutet diakonisches Handeln, wie kommt es zum Einsatz, und warum ist es eine Grundlage der Kirche? Das vorliegende Buch gibt Auskunft.

Das neue Buch von Frieder Furler ist nach der 2011 von Rüegger/Sigrist veröffentlichten Publikation das neuste Grundlagenwerk zum Thema Diakonie. Es enthält die Grundlagen zum neuen Diakoniekonzept der evangelisch-reformierten Zürcher Landeskirche. Dem Autor gelingt die Quadratur des Kreises: Einerseits wird Diakonie als solidarisches Handeln ohne spezifisch religiöses Profil verstanden, und andererseits ist es ihm ein Anliegen, die Diakonie vom Abendmahl her spirituell «aufzuladen». Sein Definitionsvorschlag: «Diakonie ist soziales Handeln aus evangelischen Wurzeln in der Kraft der Solidarität. Diakonie ist Wesensmerkmal und sichtbares Zeichen der Kirche» (17). Diakonie solle zu ihren biblisch- christlichen Wurzeln und ihrer kirchlichen Geschichte stehen.

Das Buch ist allen gewidmet, «die sich helfen lassen». Es richtet sich an Behördenmitglieder, Freiwillige, Sozialdiakone und Pfarrerinnen. Für Klientinnen und Klienten ist es vermutlich weniger lesenswert.

Das Buch lässt sich nicht voraussetzungslos lesen, einschlägige Grundkenntnisse sind für eine gewinnbringende Lektüre hilfreich. Der Band ist in sieben Teile gegliedert: Teil A handelt von den Werten, die der Diakonie zugrunde liegen, und den Zielen. Jesu Mahlgemeinschaft wird als spirituelle Grundlage der Diakonie gedeutet. So wie die Gaben von Brot und Wein in der Eucharistie gewandelt würden, werden durch Diakonie die menschlichen Herzen und die gesellschaftlichen Verhältnisse verwandelt. Das Abendmahl sei eine Stärkung für die, welche sich aus Verstrickungen befreien möchten. Diakonie sei «Komm-Union».

Teil B deutet die wichtigsten Etappen der Diakoniegeschichte als eine Erfolgsgeschichte der Kirche. Diese verfüge über die Ansatzpunkte, um die Kirche auch heute unter die Menschen zu bringen. Teil C nennt Individualisierung, Globalisierung und Differenzierung als die wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit. Auf diese gelte es mit diakonischen Projekten einzutreten. Teil D leitet davon die Kernthemen ab: Individualisierung habe Konsequenzen auf «Gesundheit und Wohlergehen» der Menschen (50), Globalisierung auf deren Existenzsicherung – «Existenz und Arbeit» (62) – und Differenzierung auf «Zugehörigkeit und Teilhabe».

Basisressource Freiwillige

Teil E stellt die Zwölffeldertafel als wichtigstes Analyse- und Positionierungsinstrument vor, das die genannten Kernthemen mit den vier Schwerpunkten in Beziehung setzt. Es geht um Menschen in vielfältigen Lebensformen, Jugendliche und junge Erwachsene, ältere und alte Menschen sowie weltweite Diakonie. Teil F bestimmt die Akteurinnen und Akteure der Diakonie und ihre spezifischen Arbeitsweisen: Die Freiwilligen gelten als Basisressource, Pfarrerinnen und Sozialdiakone als professionelle Akteure. Bei den Kirchenpflegen liege die strategische Leitung. Teil G denkt die Unsetzung der diakonischen Arbeit unter dem Stichwort «Mittel und Wege» an. Die Kirche solle darauf achten, dass die Ressourcen für Spiritualität und Diakonie sich in einer guten Balance befänden, was bedeutet, dass die Kirche sich nie nur auf ihre spirituelle Aufgabe beschränken dürfe, weil Diakonie genauso deren Wesensmerkmal darstelle.

Allgemeines Priestertum

Das Diakoniebuch von Frieder Furler ist übersichtlich aufgebaut und besticht durch kreative Sprachschöpfungen. Herausragend sind die Überlegungen zur professionellen Seite der Diakonie und zu deren Bezogenheit auf die Freiwilligenarbeit. Letztere wird als Ausdruck des allgemeinen Priestertums gedeutet (188). Erstmals wird darauf aufmerksam gemacht, dass sowohl Sozialdiakoninnen als auch Pfarrpersonen Schlüsselkompetenzen für die Diakonie einbringen können: Jene von Pfarrpersonen liege eher im Bereich Spiritualität und Seelsorge, jene der Sozialdiakoninnen in sozialer Sorge. Es ist anzumerken, dass diese manchmal eher schwierig voneinander abzugrenzen sind.

Die Publikation ist eine qualitativ hochstehende Kompilation von aktuellem Wissen der Praktischen Theologie und der Sozialwissenschaften (insbesondere Soziologie, Sozialarbeit und Gerontologie). Der Autor ist Pfarrer und Leiter der Abteilung Diakonie und Katechetik der Evangelisch- reformierten Landeskirche des Kantons Zürich und hat in dieser Funktion ein hervorragendes Team von sozialwissenschaftlichen Fachleuten um sich, womit vermutlich auch die sozialwissenschaftliche Qualität der Publikation zusammenhängt. Allerdings stehen die einzelnen Inhalte recht unverbunden nebeneinander.

Interessant finde ich die Ausweitung des Begriffs Ökumene auf Ökologie und Ökonomie: «Diakonie kann angesichts der Globalisierung zwischen Ökologie und Ökonomie vermitteln» (188). Nur schade, dass dabei die konfessionelle Ökumene auf der Strecke bleibt, offenbar weil sie in der Basisarbeit vor Ort so selbstverständlich ist. Sie wäre es jedoch wert, als spezifischer Trumpf der Diakonie auch genannt zu werden. «Diakonie ist eine Dimension reformatorischer und protestantischer Kirche . . . In der Tradition des ‹Pro›-Testierens› – ‹Zeugnis ablegen für› – gilt es die zivile und politische Diakonie zu stärken» (187). Als ob dies nur für die reformierte Diakonie gälte! In einem Beispiel hat Frieder Furler aus ökumenischer Perspektive leider recht: «Alle Menschen sind – allein aus Gnade – würdig, daran [am Abendmahl; der Verfasser] teilzunehmen» (189). Dies entspricht nicht unbedingt dem katholischen Eucharistieverständnis. Hier ist das Busssakrament nötig, um sich zuerst immer wieder neu in den Stand der Gnade zu versetzen.

 

Daniel Wiederkehr (Bild: kirche-heute.ch)

Daniel Wiederkehr

Dr. theol. Daniel Wiederkehr, Jahrgang 1960, leitete bis vor kurzem die Fachstellen Diakonie und Soziale Arbeit der kath. Kirche Basel-Stadt und Baselland. Heute ist er Pfarrer der evangelisch-reformierten Kirche von Dietikon.