Gottes Liebe erfahrbar machen

Der Sendungsauftrag Jesu ist eine bleibende Herausforderung für Kirche und Pastoral. Wie kann Mission heute verstanden und gelebt werden? Eine systematische Reflexion.

Was ist deine Mission? Die Frage vom Postkartenflyer zum ausserordentlichen Monat der Weltmission kommt leicht und unschuldig daher. Doch sie hat es in sich. Und zwar aus drei Gründen:

  1. Die Verpflichtung gegenüber der Missionsgeschichte und ihren Opfern.
  2. Die Verunsicherung: Was kann Mission heute bedeuten?
  3. Der Anspruch, der mit dem Sendungsbewusstsein verbunden ist.

Nie wieder gewaltsame Bekehrung

Christen, die sich zu einem Gott bekennen, der sich am Kreuz wiederfand, denken von den Opfern her. Sie tun dies in der Nachfolge Jesu, der sich den Leidenden zuwandte, sie heilte und einen Gott verkündigte, dem es um das Wohl aller Menschen geht. Die Empfindlichkeit für das Leid der anderen, die J. B. Metz mit dem Begriff «Compassion» benennt, ist der Nährstoff der christlichen Botschaft. Dazu gehört auch die Erinnerung an vergangenes Leiden. Die Klage um die Opfer und das Wachhalten der Erinnerung an sie gehören untrennbar zur biblischen Gottesbotschaft. Und das gilt auch für das Leid derjenigen, die über Jahrhunderte hinweg zu Opfern eines imperialistischen Machtstrebens der Kirche geworden sind – unter dem Deckmantel eines biblisch begründeten und fehlinterpretierten Missionsauftrags. Das Erinnern an diese Menschen ist für katholische Christen brisant, weil sie Teil der Kirche sind – derselben Kirche, aus deren Reihen auch diejenigen stammen, die Schuld an diesem Leid tragen. Sie finden sich deshalb in der Verantwortung wieder, dieses Versagen klar zu benennen und gleichzeitig dafür einzutreten, dass sich solche Schuld nicht wiederholen darf.  

Christen können deshalb den Missionsbegriff heute nicht naiv verwenden. Immer wenn sie von Mission reden, wollen sie deutlich machen, dass sie eine Lektion aus der Geschichte gelernt haben. Nie soll es ihnen nur um sie selbst und ihren eigenen Einfluss oder die Macht ihrer kirchlichen Gemeinschaft gehen. Nie wollen sie die Wertschätzung für das Anderssein der anderen und die Bereitschaft, sich von ihnen verändern zu lassen, verlieren. Deshalb ist die Frage nach der christlichen Mission höchst anspruchsvoll.

Auf der Suche nach Wegen der Mission

Die katholische Kirche hat in ihrem Missionsverständnis einen Wandel durchlaufen. Ein wichtiger Meilenstein war hierbei das Zweite Vatikanische Konzil. Kennzeichen des Konzils ist die Öffnung der Kirche hin zur Welt und die Verpflichtung auf einen respektvollen Dialog mit allen Menschen. Dies wird auch deutlich in denjenigen Texten, die den missionarischen Charakter der Kirche behandeln (LG, GS, AG). Dort wird der Sendungsauftrag der Christen zwar als Wesensmerkmal der Kirche festgehalten. Zugleich sollen aber Würde und Autonomie der anderen immer geachtet bleiben. Diese Linie wird nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil weiterverfolgt, zuletzt vom jetzigen Papst Franziskus. Trotz dieses Wandels hat sich eine grosse Unsicherheit bei vielen Christen breitgemacht. Den allermeisten ist heute klar, dass sie andere nicht mit Gewalt zum Christentum bekehren sollten. Doch wozu sie stattdessen gesandt sind – darauf gibt es sehr unterschiedliche und sich zum Teil widersprechende Antworten.

Auf der einen Seite stehen diejenigen, die ihre Begeisterung über Jesus mit möglichst vielen teilen wollen. Sie berichten davon, wieviel Kraft und Mut sie aus ihrem Glauben zur Gestaltung ihres Alltags ziehen. Diese Erfahrung lasse ihnen gar keine andere Wahl, als anderen von ihr zu erzählen und ihnen den Glauben ebenfalls als rettendes Geschenk für ihr Leben anzubieten. Was aber, wenn eine solche Verkündigung für andere als leere Worthülse daherkommt und deshalb nichts bewirken kann? Dabei ist nicht nur an die Skeptischen zu denken. Es gibt Menschen, die gerne glauben würden und daran leiden, dass sie die Erfahrung von Gottes Nähe, von der ihnen andere erzählen, nicht machen. Ihnen selbst die Schuld an diesem Leid zu geben, wäre zynisch. Überhaupt ist es zynisch, das Evangelium zu verkünden, ohne dabei immer auch eine Sensibilität zu zeigen für das theologische Problem, dass die Ereignisse der Geschichte täglich dem widersprechen, was die Botschaft von der bedingungslosen Zusage Gottes an jeden einzelnen Menschen verheisst. Der Glaube entspringt der Freude über das göttliche Versprechen seiner ewigen Liebe und Treue zu uns Menschen, und es tut gut, diese Freude und die damit verbundene Hoffnung auf einen vollendeten Heilszustand miteinander zu teilen. Und doch bleibt die Hoffnung immer bedroht. Denn «das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riss in der Schöpfung von oben bis unten».1

Hellhörig werde ich jedenfalls, wenn sich eine allzu begeisterte Glaubensverkündigung, die sich gegen die Widersprüchlichkeit des Glaubens scheinbar immun gemacht hat, als Dienst an der Kirche verkauft. Wenn z. B. im ersten Satz der Präambel des 2018 lancierten Mission Manifests auf den hierzulande allgegenwärtig spürbaren Bedeutungsverlust der Kirche hingewiesen wird, um in der Konsequenz in zehn Thesen einen missionarischen Aufbruch zu fordern, dann scheint genau die oben beschriebene Lektion aus der Geschichte nicht gelernt worden zu sein.

Auf der anderen Seite stehen Christen, die ihre Aufgabe nicht darin sehen, anderen von sich aus aktiv die christliche Botschaft zu verkünden. Nach ihrer Mission gefragt, verweisen sie gerne auf den ersten Petrusbrief, wo Christen dazu aufgefordert werden, Rede und Antwort zu stehen über die Hoffnung, die sie erfüllt (1 Petr 3,15). Dabei entsteht nicht selten der Eindruck, dass auch für sie das Eigentliche der Verkündigung in der inhaltlichen Weitergabe des Glaubens besteht. Hier drängt sich dann von selbst die kritische Nachfrage auf, ob damit der Sendungsauftrag Jesu, möglichst vielen Menschen die Bot- schaft vom Reich Gottes zu bringen, auch tatsächlich erfüllt wird. Werden sie der Sendung als Getaufte gerecht, indem sie über ihren Glauben nur auf Nachfrage hin sprechen? Das ist die Frage vieler, die angesichts des gewandelten Missionsverständnisses unsicher geworden sind.

Diese Verunsicherung ist das Ergebnis eines Missverständnisses. In vielen christlichen Köpfen ist weiterhin die Vorstellung verhaftet, dass Menschen nur über den Glauben an Jesus Christus zum Heil finden können. Zwar lässt sich spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine strenge Auslegung des Satzes «Ausserhalb der Kirche gibt es kein Heil / Extra ecclesiam nulla salus» dogmatisch nicht mehr halten (vgl. AG 7 und LG 16). Doch viele gehen weiterhin davon aus, dass möglichst jeder Mensch die Chance haben muss, den christlichen Glauben kennenzulernen und für sich anzunehmen. Aber wird hier von Gott nicht zu klein gedacht? Wer den Inhalt der Offenbarung ernst nimmt, nämlich die unbedingte Liebe Gottes zu jedem einzelnen Menschen, der kann darauf vertrauen, dass Gottes Zuneigung zu einem Menschen nicht davon abhängt, ob dieser je von Gott gehört hat oder gar an ihn glaubt. Glaube ist «nicht die Bedingung für Gottes Liebe; Glaube ist vielmehr die Auskunft darüber, dass Gott alle Menschen bedingungslos liebt».2 Das bedeutet, dass Glaubende anderen Menschen die universale Heilszusage Gottes erfahrbar machen wollen. Damit kommt das Handeln in den Blick.

Ein anspruchsvolles Engagement

Die vielleicht grösste Herausforderung in der Frage nach der Mission liegt im hohen Anspruch, der mit einem solchen Sendungsbewusstsein verbunden ist. Wenn wir Christen ernstnehmen, dass die Botschaft vom Reich Gottes in erster Linie verkündigt wird, indem wir – wie Gott selbst in Jesus – konsequent von den anderen her denken, uns mit ihnen solidarisieren und uns mit all unseren Kräften für eine Verbesserung ihrer Situation einsetzen, dann ist damit ein hoher Anspruch gesetzt. Wenn wir einem Menschen zeigen wollen, dass er – ungeachtet seiner womöglich elenden Situation – in Gottes und damit in unseren Augen unendlich wertvoll ist, dann können wir es ihm nicht nur sagen. Wir müssen es ihm zeigen, damit diese Zusage für ihn Wirklichkeit werden kann. Und dann ist der Einsatz für das Evangelium ein anspruchsvoller Einsatz, der uns mit allen unseren körperlichen und geistigen Ressourcen fordert und auch an den Rand unserer Möglichkeiten bringt. Doch enthält der Glaube auch das von Gott selbst gegebene Versprechen, dass er «das Geglückte verewigen, das Scheitern versöhnen und da für Gerechtigkeit sorgen wird, wo dies menschlicher Praxis versagt ist».3 Der Erfolg der Mission wird dann nicht daran zu messen sein, dass eine mehr oder weniger grosse Anzahl von Menschen durch uns zum Glauben an Jesus Christus gefunden hat. Erfolgreich ist unsere Mission, wenn Menschen durch uns erfahren, dass sie wertvoll und geliebt sind.

Christiane Schubert

 

1 Büchner, Georg, Dantons Tod, Kap. 15.

2 Kiessling, Klaus, «Mission: Impossible»? in: SKZ 182/1–2 (2014), 4–8.

3 Striet, Magnus, Weltliche Welt. Eine fundamentaltheologische Grundlegung, in: Kirschner, Martin/Schmiedl, Joachim (Hg.), Diakonia. Der Dienst der Kirche in der Welt, Freiburg i. Br. 2013, 41–56, 55.

 


Christiane Schubert

Dr. Christiane Schubert studierte Theologie in Freiburg i. Br. und Jerusalem. Von 2013 bis 2017 war sie Referentin für den interreligiösen Dialog im Bistum Hildesheim. Seit 2018 ist sie Mitarbeiterin im Pastoralamt des bischöflichen Ordinariats des Bistums St. Gallen.

 

BONUS

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