Auf dass Neues aufkeimt

Mission ist kein Spezialprogramm der Kirche, sondern eine Haltung. Missionarische Seelsorge hört hin, teilt die Begeisterung für Gott, weckt Leben und ist pastoral eine Entlastung, so in der Pfarrei in Hünenberg.

Nach der Matura machte ich eine Banklehre. Ich hatte einen guten Job. Aber das reichte mir nicht. Ich wollte nicht einfach einen Job. Ich suchte meine Berufung. So habe ich Theologie studiert und mein Leben diesem Gott verschrieben, der mir bis heute das wichtigste und das wertvollste im Leben ist. Warum beginne ich damit? Weil so alles anfängt. Mission ist Leidenschaft. Das, wofür mein Herz schlägt, möchte ich weitererzählen. Was meinem Leben Wert gibt, möchte ich weiterempfehlen. Wenn ich ein gutes Restaurant entdeckt habe, gebe ich den Tipp doch auch gerne weiter. Das ist Mission: das Glück mit anderen teilen. Das treibt mein Team und mich täglich an: Wir möchten möglichst vielen Menschen von unserer Begeisterung für Gott erzählen. Um gleich einem Missverständnis vorzubeugen, Mission ist nicht ein bestimmtes Programm. Mission heisst für eine Pfarrei nicht, sich zusätzlich zu engagieren oder alles ganz anders zu machen. Mission ist keine Belastung. Mission ist zuerst eine Haltung, mit der ich meinen Alltag lebe. Ich empfinde Mission sogar als Entlastung und so als Bereicherung. Es gilt dabei ganz konkrete Haltungen einzuüben, darin immer besser zu werden und nicht zu verzagen, wenn ich einmal zurückfalle in alte Muster. Überhaupt geht es viel ums Lernen. Und wer ist der erste und beste Lehrmeister? – Jesus Christus höchstpersönlich.

Nimm die eigene Sendung an

So lehrt Jesus mein Team und mich zuallererst, die eigene Sendung anzunehmen. Das heisst: Hingehen zu den Menschen. Gott hat sich in Jesus selbst ausgesandt. Und dieser Jesus sendet wiederum uns: «Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung» (Mk 16,15). Das ist unsere Richtung. Gott möchte durch uns seine Mission fortsetzen. Wo würde Jesus hingehen, wenn er in unser Dorf käme? In die Kirche? Wahrscheinlich. Sicher aber käme er auch auf den Dorfplatz und ins Restaurant. Jesus ginge ins Altersheim und in die Schule. Wir träfen ihn vor dem Supermarkt und auf dem Sportplatz. Also gehen wir auch dort hin. An all diesen Orten lernen wir Menschen kennen. Und wenn ich Kennenlernen sage, dann meine ich auch kennen-lernen. Mission ist zuerst einmal ein echtes Interesse am anderen. Wer bist du? Wie lebst du? Was ist dir wichtig? Woran glaubst du? Was treibt dich um, sorgt dich, freut dich? Hauptamtliche in der Kirche sollten sehr gute Zuhörer sein. Bei unserer Dialoginitiative «wOrtwechsel» gehen wir absichtlich in die Wohnzimmer der Menschen. Wir bringen einen speziellen Gast mit und ein Thema. Wer Gastgeber sein möchte, bewirbt sich und lädt zum Talk Freunde und Nachbarn ein. Das einander Zuhören wird so zur aktiven und vielstimmigen Verkündigung. Menschen lernen einander kennen, mit den Themen, die in ihrem Leben wichtig und wertvoll sind.

Setze dich aus

Nach dem Hingehen lautet eine zweite Haltung: Setze dich aus! Lerne Demut! In den Dialog mit anderen einzutreten, ist immer auch ein Risiko. Wer am Valentinstag vor dem Supermarkt und an der Bushaltestelle Liebesbriefe von Gott verteilt, setzt sich aus und macht sich verletzlich. Schnell merke ich, die Menschen erwarten von der Kirche nicht viel. Auf der Strasse bekomme ich das zu spüren und zu hören. Da stehst du mittellos (Lk 9,3), hast nicht mehr zu bieten als das Evangelium Christi und wirst plötzlich und unerwartet beschenkt. Was für eine Erfahrung! Wenn wir als Kirche den gewohnten Raum verlassen, uns «wehrlos» aussetzen, nur mit unserer Botschaft, dann passiert oft Grosses! Nicht nur wir schenken. Wir werden auch beschenkt. Menschen werden positiv überrascht und erleben, dass der Glaube frisch sein kann und relevant. Sie geben der Kirche wieder eine Chance. Der Valentinsabend endet bei uns in Hünenberg mit einem offenen Segensgottesdienst. Es ist ein Rendezvous mit Gott. Und so viele sind plötzlich da – unerwartet, wunderbar. Gott lässt mehr entstehen, als wir erwartet hätten.

Gott ist vor dir da

Das ist eine dritte wichtige Haltung: Ich darf Gott glauben, dass er in der Welt ist und wirkt. Ich muss ihn nicht zu den Menschen bringen. Er ist doch längst der «Ich-bin-da». Gott ist schon vor mir da! Wenn ich davon ausgehe, dass er bei meinen Gegenüber schon lange wirkt, dann ändert das alles. Das entlastet und macht pastorales Handeln ungeheuer spannend. Wie will Gott in diesem Menschen wirken? Zu was möchte er ihn führen? Christoph Theobald nennt das eine «zeugende Pastoral». Es gilt etwas zu wecken, was still schon vorhanden, mir aber noch verborgen ist. So steigen wir als Team aus dem Defizitdenken aus. Es entfällt die innere Not, den Firmlingen vor dem Fest noch rasch einen Crashkurs in Sachen Gott und Kirche halten zu müssen. Wir können stattdessen in grosser Gelassenheit miteinander auf eine Entdeckungsreise im Glauben gehen, deren Steuerleute die Firmlinge selbst sind. Seit ein paar Jahren designen sie bei uns ihre Vorbereitung selbst. Sie bestimmen Inhalt, Umfang und Tempo der Treffen. Wir sind ihnen Coach und Begleiter. Wir gehen ihren Weg mit. Es erinnert ein bisschen an den Weg nach Emmaus. Wir sind unterwegs, tauschen aus, suchen den nächsten Schritt, führen einander und finden wieder viel mehr, als wir für möglich halten.

Denke gross, sage Gutes

Daraus resultiert eine vierte innere Haltung: Ich nenne sie gross denken! Die Welt ist voll von Gott (Alfred Delp)! Es liegt an mir, wenn ich ihn nicht wahrnehme. Er ist bei den Menschen. In Mt 5,1–12 nennt Jesus alle Suchenden und Hungernden Töchter und Söhne Gottes. Philippe Baqc prägte den Begriff von «Frauen und Männern der Seligpreisungen». Und davon gibt es in unserer Zeit unzählbar viele. Sie alle werden zu Gotteskindern allein durch die Art, wie sie leben. Viele Ehrenamtliche engagieren sich nicht aus frommen Motiven. Und doch tun sie nichts anderes als das Evangelium (Mt 25,31–40). Sagen wir Hauptamtlichen ihnen – der Frauengemeinschaft, Asylgruppe, Wegbegleitung, JuBla usw.: «Durch euer Wirken wird Gottes Plan, wird sein Reich unter uns sichtbar.» Das ist keine Vereinnahmung. Das ist Gutes sagen. Das wirkt Segen.    

Diene absichtslos

Die fünfte Haltung von Mission ist der absichtslose und individuelle Dienst an den anderen. «Was soll ich dir tun?» fragte Jesus in Lk 18,41. Er hatte kein Pastoralkonzept und kannte kein «so haben wir es immer gemacht». Er richtete sein Handeln an den Bedürfnissen der Menschen aus, denen er begegnete. Bleiben wir als Team also beweglich und agil. Unsere Zeit charakterisiert sich durch rasanten Wandel. Das sollten wir einrechnen, wenn wir Menschen wirklich erreichen wollen. Wer seit Jahren die gleiche Erstkommunionvorbereitung macht, bleibt vielleicht unter seinen Möglichkeiten. Die Menschen, ihre Erfahrungen, ihre Fragen, Nöte und Freuden verändern sich dauernd. Kirchliches Handeln, will es missionarisch sein, muss sich an dem orientieren, was die Menschen brauchen. «Was muss am Tag nach der Erstkommunion passiert sein, damit Sie als Familie sagen können: Wir sind im Glauben gewachsen?» Wer so fragt, braucht kein ausgeklügeltes und aufwendiges Erstkommunionprogramm. Wer so fragt, möchte zuhören und verstehen. Wer so fragt, wird Diener der (Glaubens-)Freude (2 Kor 1,24) und kann den Menschen in aller Freiheit helfen, einen Schritt weiter auf Gott zu zu machen. Gerade weil die pastoralen Einheiten im Bistum dauernd grösser werden, braucht es sehr flexible und fluide Strukturen, will die Kirche den Menschen dienen und nicht ihrer Struktur.

Sei Hebamme

Die sechste Haltung nenne ich Hebammendienst. Ich bin mit den Menschen eine Weile unterwegs und helfe, dass in ihnen etwas geboren wird. Es ist ja schon lange da und es will ihnen Leben in Fülle (Joh 10,10) schenken. Es ist für mich kein Etwas. Es ist ein DU: Gott, der Dreifaltige und Viel-Gestaltige. Wie eine Hebamme darf ich vorbereiten und gebären helfen. Ich kann ein wenig Nachsorgen. Danach darf ich die Menschen aber auch wieder gehen lassen. Glaube führt immer in Freiheit. Jesus ging es nicht vorwiegend um Eingliederung. Wer Mission braucht, um die Kirche zu füllen, wird schnell an Grenzen stossen. Glaube lebt von Freiheit. «Geh!», sagt Jesus dem Geheilten, «Dein Glaube hat dich gerettet» (Mk 10,52). Für uns in der Pfarrei heisst das: Die Familie nach der Erstkommunion, der Jugendliche nach der Firmung, die Witwe nach der Beerdigung. Wir müssen nicht jammern, sie nicht mehr zu sehen. Wir dürfen sie in aller Freiheit und in vollem Vertrauen gehen lassen.

Mission als Haltung nimmt Gott und die Menschen neu ernst. Kirche als Institution tritt in den Hintergrund. Jüngerschaft gewinnt an Bedeutung. Missionarische Seelsorge ermöglicht Neuanfang im Glauben oder Heimkehr. Sie weckt Leben und ist täglich spannend und herausfordernd. Missionarische Kirche gebiert mündige Christen. Sie wird wieder zu dem, was sie eigentlich sein soll: Ein Werkzeug für Gottes Heilsplan – lebendig und äusserst vielgestaltig, einfach und unkompliziert, nie perfekt, aber immer erlöst.

Christian Kelter


Christian Kelter

Christian Kelter (Jg. 1969) liess sich zum Bankkaufmann ausbilden, studierte anschliessend Theologie und Philosophie in Bonn und Innsbruck. Er arbeitete bei der Caritas und beim Familienbund der Katholiken in Berlin und ist seit 2000 im pastoralen Dienst. Seit 2005 ist er als ständiger Diakon Leiter der Pfarrei Heilig Geist in Hünenberg.