Gott schmecken

In einer Zeit, in der Essen eine so überaus wichtig Rolle spielt, ist es umso erstaunlicher, dass sich die Theologie bislang wenig mit ihm als tägliche, existenzielle Handlung und symbolgeladenes Ereignis beschäftigte.

Bei einem zentralen christlichen Ritual geht es ums Essen. Die Eucharistie ist im Kern eine Mahlzeit, mit der an das Abschiedsessen Jesu vor seinem Tod erinnert wird. Das gemeinsame Mahl soll das damalige Geschehen für die heutige Gemeinde sinnlich erlebbar machen. Die Erinnerung an das Heilsmysterium von Tod und Auferstehung soll nicht nur eine Sache des Kopfes, sondern des ganzen Körpers werden. Darum wird sogar der Leib Christi einverleibt.

Es ist schmerzhaft, wenn immer weniger Christen «Geschmack» an der Eucharistie finden. Könnte dies auch damit zusammenhängen, dass viele Aspekte des gemeinsamen Mahlhaltens im durchschnittlichen Gottesdienst fehlen? Das wäre eine fatale Entwicklung in einer Zeit, in der das Kochen und Essen für viele Menschen eine wichtige Rolle spielt. Essen ist mehr als Sattwerden. Es ist in der Spätmoderne zum kulinarischen Identitätsmarker geworden, das heisst, jemand kann sich damit von anderen unterscheiden. Man ist, was man isst. Das gilt zumindest für bestimmte soziale Milieus. Denn natürlich gibt es auch das pampige Essen aus der Schulkantine, das Fastfood und die Essstörung. Und sogar in Westeuropa gibt es Hunger.

Gottesrede von unten

Es ist erstaunlich, wie wenig sich die Theologie mit einem so existenziellen Phänomen wie dem Essen beschäftigt. Die Niederländerin Maaike de Haardt, die auch für den Titel dieser Überlegungen Patin stand, ist eine Ausnahme.1 Es ist wohl kein Zufall, dass gerade eine Theologin über das Essen nachdenkt. In vielen Kulturen und Religionen sind die Nahrungszubereitung und die Gestaltung einer Mahlzeit eine weibliche Angelegenheit. Dem steht öfters die Geringschätzung der Frau im öffentlichen Leben gegenüber.

De Haardt widmete ihre Antrittsvorlesung auf dem Catharina-Halkes-Lehrstuhl «Feminismus und Christentum» an der Universität Nimwegen dem Essen. Das ist Teil ihrer induktiven Theologie, einer Gottesrede von unten. Es geht um den Versuch, das Göttliche im Alltäglichen zu entdecken. In Formen der Mystik ist dies eigentlich nichts Neues im Christentum. Auch die Praktische Theologie untersucht schon seit einigen Jahrzehnten die Alltagsreligion von Menschen. Es geht um ein «theologisches Forschen nach verschiedenen Formen des täglichen Lebens und vor allem nach dem dort gespeicherten Wissen und den Erfahrungen des Göttlichen».2 Von daher stellt sich dann die Frage, was dieses Wissen und diese Erfahrungen für die Kirche und ihre Suche nach Gott aussagen.

Es kann keine Überraschung sein, dass de Haardt mit dieser Frage unter anderem beim Essen ankommt. Das ist an und für sich ein symbolgeladenes Ereignis. Essen symbolisiert menschliche Bedürftigkeit, die gestillt wird. Die Nahrungszubereitung erfordert Sorgsamkeit und Aufmerksamkeit. Jemand muss dabei warten können und einem Rezept folgen, aber auch spontan sein und improvisieren. Eine Mahlzeit kann Gemeinschaft stiften, eine Versöhnung besiegeln, Genuss erleben lassen oder Ausdruck der Solidarität sein, wenn man Gäste zum Essen einlädt und Bedürftige speist. Essen strukturiert als Ruhemoment die Zeiten des Tages, wenn dies auch immer weniger der Fall ist. Ein Festmahl bringt da- gegen auf elementar-sakramentale Weise zum Ausdruck, dass es Überfluss geben kann und soll.3 Ein Mehr wird versprochen und es liegt bereits auf der Zunge. Man bekommt einen Vorgeschmack auf das Schlaraffenland oder (theologisch gesprochen) auf das Land, in dem Milch und Honig fliessen.

Gott wird nicht mehr geschmeckt

Kein Zufall also, dass das Essen ein Anknüpfungspunkt für die Frage nach Gott ist. Viele Religionen regeln darum die Nahrungsaufnahme mit Geboten für die Armenspeisung oder mit Unterscheidungen zwischen rein und unrein, erlaubt und nicht erlaubt oder zwischen Zeiten des festlichen Überflusses und des Fastens. Die genannten Qualitäten machen das Essen auch bedeutsam für die Feier des Glaubens. Darum ist es problematisch, dass der Mahlcharakter der Eucharistie oftmals stark zurückgenommen oder spiritualisiert ist. Wenn zum Beispiel eine Hostie Brot darstellen soll und der Kelch dem Grossteil der Gemeinde vorbehalten bleibt. Oder wenn der Gemeinschaftscharakter zugunsten des individuellen Kommunionempfangs nivelliert ist, weil die Gläubigen in einer langen Reihe zum Altar treten. Oder wenn der Vorsteher – in Vertretung Christi der Gastgeber des Mahls – als Erster das Brot isst und den Wein trinkt. Der Charakter des gemeinsamen Mahlhaltens bei der Eucharistie ist dann ausgekleidet.

Vielleicht ist das einer der Gründe, warum Gott für manche beim Abendmahl nicht mehr zu schmecken ist. Für die Feier der Eucharistie scheint heute zu gelten, was Dorothee Sölle (1929–2003) für die Sprache des Christentums feststellte. Wo es der Kirche nicht mehr gelingt, das Evangelium als eine aufregende Botschaft zu verkünden sowie es mit allen Sinnen und tatkräftig zu leben, verschwindet diese Botschaft auch in einer säkularen Gesellschaft nicht einfach. Das Evangelium übersteigt die Gemeinschaft der Glaubenden. Seine Verheissungen können sich auch in anderen Formaten ausserhalb der Kirche «realisieren», etwa in der Kunst oder Literatur.4 Es geht dann oftmals um indirekte und verborgene Verweise auf Gott, die aber gleichwohl mehr Geschmack machen als die fade gewordene Küche der Pastoral und der Verkündigung.

Agape-Restaurant statt Abendmahl

Gleiches gilt für das christliche Abendmahl. Ein Beispiel sind die von ihm selbst so genannten Agape-Restaurants des jüdischen, britisch- schweizerischen Philosophen Alain de Botton.5 Obwohl er sich selbst als Atheist bezeichnet, ist Religion für ihn nicht passé. Im Gegenteil: Er empfiehlt den spätmodernen Menschen die Enge einer streng säkularen Weltsicht zu durchbrechen, und zwar über den Rückgriff auf elementare Handlungen, Rituale und Gebräuche sowie auf die Kunst und Moralität der Religionen. Das müsse jemand allerdings tun, ohne die Wahrheitsfrage zu stellen. Trotzdem bleibt das religiöse Repertoire als geronnenes Erfahrungswissen über gelungenes Leben wichtig, etwa für die Stiftung von Gemeinschaft, Trost und Sinn oder um negative Gefühle zu überwinden. Es geht also um eine funktionalistische Religionsauffassung, übrigens im Gegensatz zur substanziellen bei Sölle.

De Botton hält der liturgischen Essenskultur des zeitgenössischen Christentums den Spiegel vor. Sein Beispiel der Agape-Restaurants ist lehrreich. Sie bieten ein gemeinsames, rituelles Essen. Es führt Menschen ganz unterschiedlicher Couleur zusammen, weil die Tischordnung eine entsprechende Begegnung eröffnet. Darin kopiert es die einheitsstiftende Wirkung des christlichen Abendmahls. Weil die Kirchen unter anderem diese Funktion in der Spätmoderne aber nicht mehr erfüllen, müssen dies nun andere übernehmen. Einander fremde Menschen öffnen sich, sie überwinden ihre Einsamkeit und üben in einer weltanschaulich konfliktreichen Gesellschaft Toleranz ein.6

In diesem Beispiel bewahrheitet sich, was Sölle für das Christentum diagnostizierte. Wenn die Kirchen leer bleiben, wird das entstandene Vakuum durch andere Parteien gefüllt, die sich selbst nicht unbedingt religiös nennen. Sie vermeiden damit den Ballast, den ein Glaube oder eine Institution wie die Kirche für viele Menschen darstellt. Für die Theologie ist dies natürlich anders. Trotzdem wird sie durch die Initiative von de Botton herausgefordert. Seine Restaurants schaffen über eine Mahlzeit eine Begegnung zwischen Menschen, die im Gottesdienst manchmal nicht zu finden sind. Er knüpft dabei an die Bedeutung an, die viele von ihnen dem Essen zuschreiben.

Mehr Geschmack auf das ewige Festmahl

Könnte der spätmoderne Umgang mit Nahrung umgekehrt auch etwas von der Eucharistie lernen? Vielleicht dies: Essen ist nicht nur Ausdruck der eigenen Persönlichkeit oder Lebenseinstellung. Wenn wir satt werden und unsere Nahrung geniessen, dann darf dies nicht auf Kosten derer gehen, die hungern. Das entspricht genau der frühchristlichen Agape, an die de Botton zumindest dem Wort nach anknüpft. Der Mensch hat aber nicht nur eine Verantwortung für andere, sondern er ist auch auf den anderen verwiesen. Das immer wiederkehrende Bedürfnis nach Essen ist eine Erinnerung an seine Bedürftigkeit nach Heil. Die Eucharistie ist dann nicht nur ein Gedächtnismahl, sondern auch eine Abspiegelung des ewigen Festmahls am Ende der Zeiten, wenn jeder Hunger gestillt ist. Sie sollte mehr Geschmack auf dieses Festmahl machen.

Stefan Gärtner

 

1 Vgl. De Haardt, Maaike, God smaken, in: Dies. u. a. (Hrsg.), Voor het aangezicht van de levende. Opstellen voor Wiel Logister, Averbode 2003, 259–276.

2 Vgl. Dies., «Kommt, esset mein Brot…» Exemplarische Überlegungen zum Göttlichen im Alltag, in: Meyer-Wilmes, Hedwig (Hg.), Tango, Theologie und Kontext. Schritte zu einer Theologie des Alltags, Münster u. a. 2002, 5–35, hier 9.

3 Vgl. Klomp, Mirella/Barnard, Marcel, Dagelijkse kost. Het verband tussen keukentafel en avondmaalstafel in de hedendaagse cultuur, in: Klomp, Mirella; Smit, Peter-Ben; Speckmann, Iris (Hg.), Rond de tafel. Maaltijd vieren in liturgische contexten, Berne 2018, 15–31.

4 Vgl. Sölle, Dorothee, Realisation. Studien zum Verhältnis von Theologie und Dichtung nach der Aufklärung, Darmstadt/Neuwied 1973.

5 Vgl. De Botton, Alain, Religion für Atheisten. Vom Nutzen der Religion für das Leben, Frankfurt/M. 2013.

6 Vgl. Cadwalladr, Carole, Alain de Botton. «Forcing people to eat together is an effective way to promote tolerance», in: The Guardian vom 18.03.2012.


Stefan Gärtner

Dr. habil. Stefan Gärtner (Jg. 1965) ist seit 2001 Assistenzprofessor für Praktische Theologie an der Universität in Tilburg/NL. Er studierte Theologie in Münster und Bamberg.