Gott ist wie ein Trost, so wie ein Kissen, auf dem du schlafen kannst

Kirchlicherseits werden Umfragen zu den religiösen Einstellungen von Menschen oft unter der Fragestellung gelesen, wie christlich die zeitgenössische Gesellschaft "noch" denkt. Statt der Erforschung der umgebenden Gesellschaft können solche religionssoziologische Untersuchungen aber auch der kirchlichen Selbstreflexion dienen.

Die folgenden Ausführungen lenken die Aufmerksamkeit auf einen Punkt, der in solchen Umfragen (auf mich jedenfalls) regelmässig irritierend wirkt. Exemplarisch beziehe ich mich im Folgenden auf die Erhebung, die 2008/2009 in der Schweiz durchgeführt wurde und deren Auswertung 2014 unter dem Titel "Religion und Spiritualität in der Ich-Gesellschaft" vorgelegt wurde.1 Näherhin liegt der Fokus auf den Angaben über den jeweils eruierten Gottesglauben und insbesondere dessen "personalen" Charakter. Dabei möchte ich zwei Beobachtungen herausarbeiten:

  • Die den Institutionellen ("kirchennahen" Personen) zugeschriebenen Gottesvorstellungen wirken uniform und etwas zu einfach.
  • In den Gottesvorstellungen von Alternativen2 und Distanzierten3 werden Motive genannt, die durchaus genuin christlich gedeutet werden können, jedoch nicht mehr so identifiziert werden.

Meine Rückfrage im Anschluss an solche Beobachtungen richtet sich nicht primär auf die hierzu vorgelegten Interpretationen in der genannten Studie. Vielmehr scheint es mir wichtig, die selbstkritische Frage anzustossen: Woran liegt es, dass der kirchliche Glaube bzw. der Glaube der Institutionellen derart verengt wahrgenommen wird? Wie könnte die kirchliche Verkündigung den viel differenzierteren christlichen Gottglauben wahrnehmbar machen?

Glaubensansichten zu Gott

Die Glaubensansichten zu Gott fasst die vorliegende Umfrage unter Formulierungen wie die folgenden (vgl. 271): "Es gibt so etwas wie eine höhere Macht." "Es gibt einen Gott, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat." "Es gibt einen Gott, der sich um jeden Menschen kümmert." "Ich weiss, dass es Gott wirklich gibt, und habe keinen Zweifel daran." "Gott – das ist für mich nichts anderes als das Wertvolle im Menschen." "Gott – das ist für mich eine kosmische Energie, die unser Leben beeinflusst." "Ich glaube nicht an einen persönlichen Gott, aber ich glaube, dass es irgendeine höhere geistige Macht gibt." "Ich weiss nicht, ob es einen Gott gibt, und glaube auch nicht, dass es möglich ist, das herauszufinden."

Es handelt sich hier um in religionssoziologischen Studien übliche Aussagen, die naturgemäss vereinfachend sind. Immerhin kann sich bei näherem Hinsehen schon einige Nachdenklichkeit einstellen. Denn bei der Überlegung, wie die eigene Bewertung solcher Positionen ausgefallen wäre, kann man bald einmal ins Stocken kommen. Eine derart exklusive Aussage wie die, dass Gott nichts anderes ist als das Wertvolle im Menschen, ist – obwohl das Wertvolle im Menschen sehr viel mit Gott zu tun haben dürfte – leichter auszusortieren als die Verbindung Gottes mit einer kosmischen Energie, worunter man sehr Unterschiedliches verstehen kann und die auch pneumatologisch gedeutet werden könnte. Wenn ich verneine, ein zweifelsfreies "Wissen" von Gott zu haben, finde ich mich vermutlich unversehens unter den Alternativen, Distanzierten oder gar den Säkularen wieder.

Der Gottglaube der Institutionellen

Noch mehr Fragezeichen können die detaillierteren, auf qualitativen Befragungen beruhenden Aussagen über die Gottesvorstellungen4 hervorrufen. Demzufolge scheint die Perspektive der Institutionellen im Vergleich zu den anderen Typen am einfachsten zusammenzufassen zu sein. "Erstens glauben alle Institutionellen in charakteristischer Weise an Gott. Gott ist für Institutionelle eine als Person gedachte Gestalt, von der wir unter anderem durch die Bibel Kenntnis haben. Dieser Gott hat die Eigenschaft, sich persönlich um jeden Menschen zu kümmern, weshalb man ihm im Gebet die ganz eigenen Sorgen, Nöte, Freuden und Hoffnungen vortragen kann" (95). Unterschieden wird sodann zwischen den Etablierten, für die Gott eine "transzendente Gestalt" ist, "die verständnisvoll und gütig zuhört, der man alles anvertrauen kann und die den einzelnen Menschen bedingungslos annimmt" (95), und den freikirchlich Gesinnten, die Gott mehrheitlich als eminente, übermächtige Autoritätsperson auffassen.

Eine entsprechende Aussage lautet: "Also für mich [ist Gott jemand,] dem man alles sagen kann und der uns zuhört. Ich glaube, man kann ihm wirklich alles sagen. Es ist eine absolute Vertrauensbeziehung. Und er ist jemand, der uns nicht richtet. Man sagt, Christus sei die Liebe, ich glaube, das ist es" (Béatrice, 44-jährig, römisch-katholisch: 95).

In der Interpretation der Studie gleicht "dieser Gott einer Mischung aus gütigen Eltern, die ihr Kind bedingungslos annehmen, und Psychotherapeut, der unterstützend zuhört, was immer auch der Patient vorbringen mag" (95). Diese Aussage lässt sich positiv lesen, kann aber auch als wenig überzeugend empfunden werden. Dient der Gottglaube der Institutionellen in erster Linie der Befriedigung von (infantilen) Bedürfnissen, die auf Geborgenheit und Verständnis zielen? Woran liegt es, dass institutionelle Gläubigkeit so wahrgenommen wird?

Hausgemachte Simplifizierungen?

Von dieser institutionellen Position werden die Beschreibungen von Gottesvorstellungen der Alternativen und Distanzierten unterschieden. Eine Aussage zu den Distanziert-Institutionellen kann zunächst das Problembewusstsein weiter schärfen: "Die zu konkreten christlichen Vorstellungen behagen den Distanziert-Institutionellen nicht. Dass Gott ein übernatürlicher Akteur ist, womöglich ein bärtiger Mann, der handelt und in die Welt eingreift, können sich die Distanziert-Institutionellen beim besten Willen nicht vorstellen" (107). Nein, das kann auch ich mir nicht vorstellen …

Den Autoren des Beitrags wird bewusst gewesen sein, dass der "alte Mann mit Bart" eine Klischeevorstellung ist.5 In der Auseinandersetzung mit kirchlichem Gottglauben scheinen Menschen aber den Eindruck zu haben, dass das christlich-kirchliche Gottesbild mit einem solchen Klischee, sei es ironisierend, sei es bitterernst, treffend charakterisiert werden kann. Dies muss die Rückfrage auslösen, ob eine solche Einschätzung sich auch an starken Simplifizierungen in der kirchlichen Verkündigung selbst festmacht.

Gottglaube ohne Suchbewegungen?

Es ist bestürzend wahrzunehmen, dass das Gottesbild der "Institutionellen", das zugleich als Gottesbild der sich christlich verstehenden Glaubenden identifiziert wird, wie ein Gottglaube ohne Suchbewegungen erscheint. Er kennt keine Zweifel und kein Zerbrechen der Begriffe. Manche der grossen Theologen der Theologiegeschichte wären dann jedoch in den Kategorien der Alternativen oder der Distanzierten zu verbuchen.

Nikolaus von Kues (1401–1464) gehört zu ihnen. Seine Schrift "De Deo abscondito" ist als Gespräch zwischen einem Heiden und einem Christen gestaltet. In gegenwärtiger Optik würde es vielleicht als Gespräch zwischen einem Heiden und einem Alternativen identifiziert.

"Heide: Ich sehe dich hier in rückhaltloser Hingabe ausgestreckt und Tränen verlangender Liebe weinen … Sag bitte, wer bist du?

Christ: Ich bin ein Christ.

Heide: Was betest du an?

Christ: Gott.

Heide: Wer ist der Gott, den du anbetest?

Christ: Ich weiss es nicht.

Heide: Wie kannst du so mit Einsatz deines Selbst anbeten, was du nicht kennst?

Christ: Weil ich kein Wissen habe, bete ich an.

Heide: Sonderbar, da sehe ich einen Menschen sich an etwas hingeben, das er nicht kennt.

Christ: Mehr zu verwundern ist, wenn der Mensch einer Sache anhängt, die er zu kennen meint.

Heide: Warum?

Christ: Weil er das, was er zu wissen vermeint, weniger weiss als das, von dem er weiss, dass er das Wissen nicht hat.

Heide: Erkläre das bitte!

Christ: Wer immer vermeint, etwas zu wissen, indes doch nichts gewusst werden kann, scheint mir nicht bei Sinnen zu sein" (De Deo abscondito Nr. 1 f.).

Es kann und soll hier kein Pauschalurteil über die kirchliche Verkündigung (die ja keineswegs monolithisch ist) gefällt werden. Infolge der Wahrnehmung institutioneller Gläubigkeit im Spiegel religionssoziologischer Forschung sei aber die Frage gestellt, ob in der öffentlich fassbaren Gestalt kirchlichen Glaubens solche Verortungen im Nicht-Wissen zu sehr fehlen. Werden das je persönliche Ungenügen6 an den Worten für den unsagbaren Gott und das Ringen um den unvorstellbaren Gott dann hintan gestellt, wenn es um die Verkündigung geht – so, als könne man dies den "gewöhnlichen" Gläubigen nicht zumuten? Dann aber würden diese vermeintlich gewöhnlichen Gläubigen mit ihren je persönlichen Fragen allein gelassen.

Erfahrungen der Unsagbarkeit

Verkannt wäre dann, wie sehr die "Erfahrung der Zerbrechlichkeit" der Gottesaussagen und der Unsagbarkeit Gottes, die ehemals Sache von einzelnen "Mystikern" gewesen sein mag, heute ein gewissermassen kollektives Kennzeichen christlichen Glaubens schlechthin ist.7 Versteht man eine solche Erfahrung als ein inneres Moment jeden Glaubens, so lassen sich manche Aussagen der religionssoziologischen Studie über die Distanziert-Institutionellen anders – nämlich gar nicht mehr so distanziert – hören. Die 63-jährige Kaitline (römisch-katholisch) sagt: "Ich persönlich glaube, dass es etwas gibt, was uns dominiert. Wenn man die Natur beobachtet in ihrer Perfektion. Das kann nicht das Werk des Menschen sein. Der Mensch kann nur ergänzen, erneuern, verändern, zerstören, wieder aufbauen, was es schon gibt. Aber im Ursprung gibt es eine Kraft, die über uns steht. Jetzt – welchen Namen soll man dieser Kraft geben? Ich weiss es nicht" (107). Ist diese Frau wegen ihres "Ich weiss es nicht" eine Distanziert- Institutionelle, oder ist sie geistesverwandt mit Nikolaus von Kues oder auch Angelus Silesius ("Was Gott ist, weiss man nicht"8)?

Wie Kaitline bringen auch andere Personen die Unsagbarkeit durch Indefinitpronomen ("etwas") zum Ausdruck: "Ich habe das Gefühl, wie wenn etwas noch drüber wäre, was aber nicht Macht ausübt, sondern was eigentlich den Rahmen gibt, in dem man sich entwickeln kann" (Renate, 51, römischkatholisch: 107).

Die Studie qualifiziert die Position der Distanziert- Institutionellen, wenn es um das Wirken dieser höheren Macht geht, als "unschlüssig": "Wirkt es als ‹Rahmen›, als ‹Kissen› oder doch eher als ‹Boden›? Schliesslich ist sehr auffällig, dass die Distanziert- Institutionellen in ihrer Einschätzung dieser höheren Gestalt oft schwanken. Bettina ist ‹hin- und hergerissen›, Kaitline spricht von einem Oszillieren (‹Kommen und Gehen›), Maia kann nicht glauben, dass Gott dort oben irgendwo sitzt, und glaubt doch irgendwie daran, für Marcel sind die Dinge im Innern jetzt sehr ‹paradox›" (107). Wer sich mit mystischer Sprache und Denkfiguren der Negativen Theologie (Reden in Paradoxen!) auskennt, entdeckt hier nicht notwendig eine distanzierte Unschlüssigkeit, sondern ein angesichts des Göttlichen unausweichliches Stocken der Sprache.

Aus dem von Nikolaus von Kues fingierten Dialog wäre zu lernen, dass das Nichtwissen und die Einsicht in die Paradoxalität von Gottesaussagen in die Mitte christlichen Glaubens gehören. Kriterium für authentische Glaubenshaltung ist dann nicht die Zustimmung zu fest umrissenen Aussagen, sondern die Haltung der Anbetung, also ein existenzielles Sich-Aussetzen auf das göttliche Geheimnis hin. In diesem Sinne formuliert Michel de Certeau: "Die einzige Frage, die gilt, lautet: Werden sich Christen finden, die jene von Gebet, Unruhe und Verehrung erfüllten Anfänge noch einmal suchen wollen?"9

Personalität ist nicht gleich Dualität

Vor diesem Hintergrund sind nun die Aussagen zum personalen oder nichtpersonalen Gottesbild genauer zu prüfen. Dabei fällt auf, dass die Studie fast nie explizit personale und nichtpersonale Auffassungen kontrastiert, sondern den personalen Gottglauben der Institutionellen meist von anderen Facetten des Gottesbildes bei Alternativen oder Distanziert-Institutionellen abgrenzt. Fraglich ist dabei jedoch, ob es sich bei den Gegenüberstellungen überhaupt um echte Alternativen handelt.

Eine erste Gegenüberstellung betrifft die Auffassung Gottes "als übernatürliche Person" (institutioneller Typ) im Vergleich zur Auffassung Gottes als "alles durchwirkende, in jedem Menschen und in der Natur vorhandene Energie, ein Licht oder eine Kraft" (alternativer Typ) (101). Nähehrin wird die Aussage eines konfessionslosen 62-jährigen Mannes (Klaus) zitiert: "Wie überall Luft da ist, ist überall Macht, also Geist. Das Göttliche ist überall, in jedem Atom. Es ist nur die Frage, ob ich sie überhaupt wahrnehme, die Realität, und wenn ich natürlich verschlossen bin vor lauter Konzepten, dann kann ich die Wirklichkeit nicht sehen" (102).

Die Studie kommentiert dies wie folgt: "Da das Göttliche in allem steckt, kann man gemäss vielen Esoterikern auch nicht zwischen einer Erde und einem Himmel oder einer Immanenz und einer Transzendenz unterscheiden. Es gibt, so wiederum Klaus, ‹keine Dualität, es gibt nur die Einheit›" (102).

Eine ähnliche Aussage wird auch von der – immerhin als "institutionell" geltenden – 41-jährigen Nathalie (römisch-katholisch) zitiert, für die Gott "unendliche Präsenz" ist, die sie "unendlich liebt". Sie erzählt, dass sie auf dem Jakobsweg "diese Präsenz Gottes in mir und nicht mehr ausserhalb von mir" gespürt habe (95).

Der Eindruck vieler Menschen, dass die christliche Gottesvorstellung ein striktes Gegenüber zwischen Kreatur und jenseitigem Gott impliziert, ist fatal. Der christliche Panentheismus,10 der an die v. a. christologisch geprägte Sprache der Immanenz11 sowie an pneumatologische Aussagen über die Gegenwart der Geisteskraft Gottes in seiner Schöpfung anknüpft, bleibt ausser Acht. Vergessen ist dann, was Thomas von Aquin (1225–1274) unterstreicht: "Gott muss in aller Wirklichkeit gegenwärtig sein, und zwar zuinnerst" (STh I 8,1). Auch eine breite Tradition christlicher Spiritualität und Mystik wird durch eine stark duale/dualistische Interpretation des christlichen Glaubens vernachlässigt. Zu Recht moniert Paul Knitter diesbezüglich, aus einer berechtigten Unterscheidung sei christlich fälschlicherweise oft ein Dualismus geworden. "Der Dualismus entsteht, wenn wir notwendige Unterscheidungen treffen und diese dann allzu ernst nehmen. Wir machen aus diesen Unterscheidungen Trennlinien statt Verbindungslinien; wir benutzen sie als Verbotsschilder. Wir unterscheiden nicht nur, wir trennen (…). Im Christentum werden Gott und die Welt voneinander unterschieden (…). Solche Unterscheidungen sind richtig und sachgemäss und durchaus notwendig. Doch dann haben wir unsere netten kleinen Unterscheidungen viel zu ernst genommen. Wir haben die Trennlinien zu klar und zu scharf gezogen (…). Der christliche Dualismus hat den Unterschied zwischen Gott und der Welt so überzogen, dass er nicht mehr wirklich zeigen kann, wie beide eine Einheit bilden."12

Ist ein falscher Dualismus mitverantwortlich dafür, dass Menschen aus richtigen Einsichten heraus Alternativen zum kirchlichen Gottglauben suchen und in der Folge als "Alternative" gelten?

Legitimität nichtpersonaler Metaphern

Eine zweite Gegenüberstellung der Studie ist die zwischen dem personhaft gedachten Gott (institutioneller Typ) und einem als "Kraft", "Farbe" oder "Licht" gefassten Transzendenten (alternativer Typ). Diese Unterscheidung hängt mit der ersten zusammen, da auch hier eine nichtduale Vorstellungsweise gesucht wird. Genauer hinzusehen ist nun aber auf die dafür verwendeten nichtpersonalen Metaphern.

So heisst es für die Alternativen: "Erscheint ‹Gott› dem institutionellen Typ als übernatürliche Person, so ist er für den alternativen Typ meist eine alles durchwirkende, in jedem Menschen und in der Natur vorhandene Energie, ein Licht oder eine Kraft" (101). Für die Sheilaisten wird festgestellt: "Auch hier ist das Transzendente eher ‹das Leben› oder ‹ein Licht› als ein personhaft gedachter Gott (der allerdings auch manchmal auftaucht)" (104). Wird hier erkennbar, dass die nichtpersonalen Metaphern personales Denken nicht ausschliessen, so wird an einer anderen Stelle "Person" und "unpersönliche Macht" explizit konfrontiert: Bei den Alternativen sei Gott "nicht wie bei den Institutionellen eine als Person gedachte Gestalt, sondern eine eher unpersönliche Macht, die von unseren Befragten auch als Kraft, Liebe, Farbe, Atem oder Leben bezeichnet wird" (102).13

Auffällig ist, dass dem personalen Gott der Institutionellen Motive wie "Licht", "Leben" oder "Atem" bei den Alternativen gegenübergestellt werden – Motive, die unübersehbar (auch) biblisch sind! Bei genauem Hinsehen wird gesagt werden müssen, dass derartige Begriffe mit einem dezidierten Abweis von Personalität verbunden sein können, es aber nicht sein müssen. Dass "Liebe" als Bezeichnung einer unpersönlichen Macht deklariert wird, spricht hier Bände.

In biblischer und theologischer Tradition sind auch bei der Rede von einem "personalen" Gott verschiedenartige Metaphern zusammenzuhalten, ähnlich wie sie bei den Gottesvorstellungen von Menschen eng miteinander verwoben sind. So verwenden Mystikerinnen trotz eines Gottesbildes mit deutlich personalen Zügen durchaus nichtpersonale Metaphern (z. B. Morgenrot, Baum, Biene).14 In einer Untersuchung von Mädchenbildern hat Stephanie Klein festgestellt, wie nichtpersonale Vorstellungen von Gott zusammengehen können mit der selbstverständlichen Annahme, Gott sei personhaft vorzustellen. Ein 11-jähriges Mädchen stellt in einem nichtpersonalen Gottesbild Gott als Blume dar, kehrt aber ein Jahr später durchaus zu einer personalen Darstellung zurück, und gerade ihr Gottesbild kann zutreffend mit der Grundintuition "Gott in Beziehung" überschrieben werden.15

Wiederum ist die Rückfrage an die kirchliche Verkündigung zu stellen: Woran liegt es, dass Menschen eine facettenreiche Metaphorik oftmals für nicht mehr mit dem kirchlichen Gottglauben vereinbar halten? Hat die kirchliche Verkündigung – vielleicht gerade auch in Gegenreaktion zu einem befürchteten Schwund personalen Gottglaubens – zu plakativ betont, Gott sei "Person"? Personale und nichtpersonale Metaphern schliessen einander nicht aus und sind deswegen auch kein geeignetes Unterscheidungsmerkmal für einen personalen Gottglauben.

Ein untaugliches Schibboleth

So richtig es ist, dass das biblische Zeugnis von Gott auf personale Züge hinweist, so sehr gilt auch, dass sich der (nichtbiblische) Begriff der Person selbst nicht dazu eignet, als Schlagwort (und unterscheidendes Schibboleth) verwandt zu werden. Hinter ihm steckt eine hoch spekulative Begriffsgeschichte, die z. T. für eine theologische Anwendung geeignet ist, ohne aber den biblischen Gottglauben umfassend zur Sprache bringen zu können.

Zu beachten ist, dass eine Person für die meisten Menschen im alltäglichen Sprachgebrauch eine endliche Gestalt meint, die im Gegenüber begegnet. Sobald eine Ahnung von der Unendlichkeit Gottes und seiner Präsenz, ja Immanenz in der Welt aufkommt, wird der so verstandene Begriff der Person unzureichend. Wenn Menschen sich gegen ein Verständnis Gottes als Person wenden, ist deswegen nachzufragen, was sie genau meinen. Auffällig ist, dass in entsprechenden Beschreibungen des eigenen Glaubens, wie sie die hier zugrundegelegte Studie vorlegt, gelegentlich der Glaube an einen personalen Gott abgewiesen wird, der geglaubte Gott gleichwohl aber mit personalen Zügen beschrieben wird. Die Zurückweisung bestimmter Eigenschaften von Personen führt zur Zurückweisung des Personbegriffs, nicht aber aller personalen Phänomene.

Ein Beispiel ist die 50-jährige, römisch-katholische Maude (den Alternativen zugeordnet) mit unkonventionellen Bildern, an denen mittelalterliche Mystikerinnen ihre Freude gehabt hätten: "Gott, das ist der einzige Gott, ja, aber er besteht aus verschiedenen Sachen. Er ist ein Trost, so wie ein Kissen, auf dem du schlafen kannst. Ein Kissen, das dich trösten kann, aber das dir kein Brot gibt, weder zu essen noch zu trinken. Er kann dir kein Auto geben [lacht], aber er kann dir vielleicht Zeit geben, Dinge zu tun. Liebe. Er kann dir viele Sachen geben, aber keine materiellen Sachen. Für mich ist das ein Raum, in dem ich mich finden kann, sagen wir es vielleicht so. (…) Gott ist keine Person, denn er kann dir nicht antworten, aber er kann zuhören. Es ist ein Raum für mich, ein kleiner Moment zum Innehalten, wo du dich selber finden kannst, weil Gott, das ist tiefes Glück, das ist etwas, was dich trägt, das dich voranbringt" (104).

In der Gottesbeziehung fehlt, was bei anderen menschlichen Personen erfahren werden kann: das konkrete, sinnlich wahrnehmbare Sprechen. Deswegen spricht Maude Gott indes nicht das Zuhören ab, ebenso wenig wie Vollzüge des Gebens, Raum- Eröffnens, Tragens – sämtlich personal qualifizierte Wirkweisen.

Anliegen des christlichen Gottglaubens

Die Frage, ob Gottesvorstellungen dem christlichen, traditionell personal genannten Gottglauben entsprechen, muss also behutsam angegangen werden. Nicht der Begriff "Person" eignet sich als Kriterium, nicht einmal die Verwendung von Adjektiven wie "personal ", "persönlich" o. ä. Umgekehrt sollte die kirchliche Verkündigung in der Lage sein, eine "personale" Gottesvorstellung zur Vermeidung von Missverständnissen auch ohne den Personbegriff mit Hilfe einer facettenreichen Gottesrede (einschliesslich nichtpersonaler Metaphern) zum Ausdruck zu bringen und auf die wesentlichen Anliegen zurückzuführen.

Ein erster Grundzug einer im christlichen Sinne authentischen Rede von Gott ist der Fokus auf seinem Wirken. Damit kommt eine Perspektive in den Blick, die Kurt Marti in einem bekannten "Wunsch" ausgesprochen hat: "Dass Gott ein Tätigkeitswort werde". Eine biblisch orientierte Gottesrede tut in der Verkündigung gut daran, statische Aussagen über das Subjekt zu vermeiden und in der Sprache auf das Wirken konzentriert zu bleiben – in der Ahnung, dass ohnehin bei Gott Sein und Wirken zusammenfallen. Dass dabei die Rede von einem unvermittelten "Eingreifen" Gottes wiederum auf falsche Fährten führen kann und deswegen eher von der beziehungsreichen Kommunikation Gottes mit seiner Schöpfung – als Locken und Treiben und Begeiste(r)n – zu sprechen wäre, kann hier nur angedeutet werden, konkretisiert aber weiter die Weise, wie christliche Gottesrede "personal" gemeint ist.

Der entscheidende Charakterzug solchen Wirkens wird sein, ob damit Intentionalität und Freiheit verbunden wird: Intentionalität, die gewährleistet, dass Gott nicht als eine blinde Macht verstanden wird; Freiheit, welche für die Unverfügbarkeit und Nichtmanipulierbarkeit der göttlichen Kraft einsteht. Letztlich geht es um die Eigenart, die nach Martin Buber dem Gottesnamen eignet, insofern dieser "alle magische Unternehmung zunichte, aber auch überflüssig macht". Der Gottesname aus Ex 3,14 (Einheitsübersetzung: "Ich bin der ‹Ich-bin-da›"; Buber: "Ich werde da sein, als welcher immer ich dasein werde") spreche in seinem ersten Teil "einfach zu: Ich werde da sein (je und je bei meiner Schar, bei meinem Volk, bei euch) – also braucht ihr mich nicht zu beschwören", im zweiten Teil aber: "als welcher immer ich dasein werde, als der ich je und je dasein werde, d. h. so wie ich je und je werde erscheinen wollen, ich selber nehme meine Erscheinungsformen nicht vorweg – und da meint ihr, mit irgendwelchen Mitteln mich bestimmen zu können, hier und nicht anderswo, jetzt und nicht anderswann, so und nach anderswie zu erscheinen!

Zusammen also: ihr braucht mich nicht zu beschwören, aber ihr könnt mich auch nicht beschwören".16

Hier dürfte ein tatsächlich relevanter Unterschied zu gewissen Formen esoterischer Religiosität bestehen, die sich über bestimmte religiöse Techniken kosmischer Energien bemächtigen wollen. Christlicher Glaube richtet sich nicht auf eine manipulierbare blinde Macht; er ist nicht ohne Eintreten in freiheitliche Beziehung möglich.

Eine Gottesvorstellung, die auf freiheitliche Beziehung angelegt ist, dürfte aber auch im heutigen kulturellen Horizont nicht unerschwinglich sein, als müsse sie zwangsläufig zu einem Randphänomen im Gefüge anderer Formen von Religiosität werden. In der kürzlich erschienenen philosophischen Auseinandersetzung mit der Sinn- und Gottesfrage von Volker Gerhardt heisst es kurz und bündig: "Als Person kann man sich wahrhaft nur durch eine andere Person anerkannt sehen (…). [Darum] läuft ein auf die Wahrung der eigenen Personalität bedachter Glauben auf ein persönliches Verständnis des Göttlichen hinaus".17

Was so in philosophischer Annäherung als Kriterium menschenwürdiger Religiosität benannt wird, entspricht der Überzeugung von Christen und Christinnen, dass der lebendige Gott ihnen in ihre Geschichten verstrickt begegnet und sie sich in Gottes Geschichte verstrickt vorfinden, und dies nicht "unterhalb" der spezifisch menschlichen Geistigkeit und Kommunikationsfähigkeit.18 

 

 

1 Jörg Stolz / Judith Könemann / Mallory Schneuwly Purdie / Thomas Englberger / Michael Krüggeler: Religion und Spiritualität in der Ich-Gesellschaft. Vier Gestalten des (Un-) Glaubens (= Beiträge zur Pastoralsoziologie 16). (NZN bei TVZ) Zürich 2014 . Seitenzahlen im Text beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf diese Studie.

2 Gemäss Definition der Studie: Menschen mit holistischen und esoterischen Glaubensansichten und Praktiken (vgl. 71).

3 Gemäss Definition der Studie: Menschen mit gewissen religiösen und spirituellen Vorstellungen und Praktiken, die in ihrem Leben aber nicht besonders wichtig sind (vgl. 75).

4 Dabei ist zu beachten, dass die oft sehr eindrucksvollen Aussagen relativ spontan in Gesprächssituationen getroffen werden!

5 Entsprechende bildhafte Zeugnisse scheinen dieses problematische Gottesbild unausrottbar zu machen, wenngleich ihr Hintergrund komplexer ist, als es eine einfältige Betrachtung erkennen lässt. Vgl. Thomas Sternberg: Bilderverbot für Gott, den Vater?, in: Eckhard Nordhofen (Hrsg.): Bilderverbot: Die Sichtbarkeit des Unsichtbaren. Paderborn 2001, 59–115.

6 Ich gehe davon aus, dass jede ernsthaft glaubende Person in der eigenen Glaubensgeschichte solches Ungenügen immer wieder erfährt.

7 Vgl. Michel de Certeau: GlaubensSchwachheit. Stuttgart 2009, 249. Vgl. hierzu auch die ähnlichen Anliegen bei: Stefan Knobloch: Gottesleere? Wider die Rede vom Verlust des Göttlichen. Mainz 2013.

8 Angelus Silesius: Cherubinischer Wandersmann. Einsiedeln 31980, 21.

9 Certeau, Glaubens- Schwachheit (wie Anm. 7), 249.

10 Vgl. z. B. im Sinne des Ansatzes der Prozesstheologie: Roland Faber: Gott als Poet der Welt. Anliegen und Perspektiven der Prozesstheologie. Darmstadt 22004.

11 Klaus Scholtissek: In ihm sein und bleiben. Die Sprache der Immanenz in den johanneischen Schriften. Freiburg i. Br. 2000.

12 Paul F. Knitter: Ohne Buddha wäre ich kein Christ. Freiburg i. Br. 2012, 29.

13 In dieser Hinsicht stehen gemäss der Studie die Distanziert-Alternativen "dem alternativen Pol nahe, d. h., ihnen erscheint Gott nicht so sehr als Person, sondern eher als Energie, als positiver Gedanke, als Einfluss von Geistern oder als Potenzial im Ich" (108).

14 Vgl. Bardo Weiss: Die deutschen Mystikerinnen und ihr Gottesbild. Das Gottesbild der deutschen Mystikerinnen auf dem Hintergrund der Mönchstheologie. 3 Teile. Paderborn 2004, 1.2251 (für die Personalität der Gottesvorstellung) sowie z. B. 2145–2150; 2181 f. (für die nichtpersonalen Metaphern).

15 Vgl. Stephanie Klein: Gottesbilder von Mädchen. Bilder und Gespräche als Zugänge zur kindlichen religiösen Vorstellungswelt. Stuttgart 2000, 125–127.151 sowie Abb. 12 und 15.

16 Martin Buber: Königtum Gottes, in: Ders.: Schriften zur Bibel. München 1964, 623 f.

17 Volker Gerhardt: Der Sinn des Sinns. Versuch über das Göttliche. München 2014, 263.

18 Vgl. Edward Schillebeeckx: Ich höre nicht auf, an den lebendigen Gott zu glauben. Gespräche mit Francesco Strazzari. Würzburg 2006, 56 f.; Gunda Schneider-Flume: Grundkurs Dogmatik. Nachdenken über Gottes Geschichte. Göttingen 2004, 144 f. sowie 22–26 mit Bezug auf Wilhelm Schapp: In Geschichten verstrickt. Zum Sein von Mensch und Ding. Frankfurt a. M. 42004.

 

Eva-Maria Faber

Eva-Maria Faber

Prof. Dr. Eva-Maria Faber ist Ordentliche Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Theologischen Hochschule Chur