Das Heilige Jahr der Barmherzigkeit

Dass Papst Franziskus stets für Überraschungen gut ist, zeigte sich erneut am 13. März 2015, dem zweiten Jahrestag seiner Wahl. Und zwar bei einem Bussgottesdienst im Petersdom. Er habe sich entschieden, ein ausserordentliches Jubiläumsjahr auszurufen, in dem es um die Barmherzigkeit Gottes geht. "Es wird ein Heiliges Jahr der Barmherzigkeit sein. Wir wollen es im Licht der Worte Jesu leben: Seid barmherzig wie der Vater!"

Verdutzt über diese Erklärung waren nicht bloss die Zuhörer im Dom. Sondern auch die meisten Monsignori im Vatikan, die Medien – und Roms Politiker, die aus Erfahrung wissen, dass massenhafter Pilgerandrang auch Probleme aufwirft. "Normale" Heilige Jahre fanden (mit Ausnahmen) alle 25 Jahre statt. Doch dazwischen gab es immer mal wieder zu besonderen Anlässen "Ausserordentliche" Heilige Jahre. Genau das hat nun auch Franziskus im Sinn – in Erinnerung an das Zweite Vatikanische Konzil. Das "Anno Santo" wird in der Tat am 8. Dezember 2015 eröffnet, dem Fest der Immakulata – und zugleich dem 50. Jahrestag der Beendigung des Konzils. Abgeschlossen wird das Heilige Jahr im November 2016.

Barmherzigkeit – dieses Thema war allen Päpsten der jüngsten Vergangenheit besonders wichtig. Etwa Johannes XXIII., dem vornehmlich in Italien hoch verehrten "Papa buono". Aber auch Johannes Paul II., der 1980 sogar die Enzyklika "Dives in Misericordia" schrieb. Der Bergoglio-Papst nahm einst in Argentinien schon in sein Bischofswappen den Begriff "Erbarmen" auf. Und "misericordia" war das Leitmotiv seiner ersten Sonntagsansprache nach der Wahl 2013. Etwas mehr Barmherzigkeit von allen Seiten, mahnte Franziskus damals, könne die Welt weniger kalt und ungerecht machen. Dabei zitierte der Pontifex das Buch "Barmherzigkeit. Ein fundamentales Konzept des Evangeliums" von Kardinal Kasper, das zunächst auf Deutsch, dann auch auf Italienisch erschien.

Kein Tag vergeht, ohne dass Franziskus den Themenkreis "Erbamen, Mitleid, Lieben, Vergeben" anspricht. Gottes Erbarmen mit uns Sündern, betont der Pontifex oft, sei grenzenlos. Und genauso sollten es auch die Christen gegenüber ihren Mitmenschen halten: verständnisvoll, anteilnehmend und bereit zur Vergebung. O-Ton Franziskus am 13. März: "Niemand ist vom Erbarmen Gottes ausgeschlossen. Und alle wissen, wie man es erreicht … In der Kirche können sie die Gewissheit der Vergebung erlangen, indem sie sich bekehren." Verbunden damit ist also die Aufforderung zur Beichte. Gleich nach seiner Rede begab sich der Papst denn auch in einen Beichtstuhl. Wenn es nach seinem Willen geht, werden im Heiligen Jahr 2016 alle Pilger in Rom zur Beichte gehen.

Ja, wenn es nach seinem Willen geht! Dann wird es zwar (in Erinnerung ans Konzil) ein "Giubileo " – aber keineswegs eine Show. "Ein Jubiläum im Stil von Franziskus", versichert man im Vatikan. Also einfach und betont spirituell, anders als die Massenveranstaltung im Heiligen Jahr 2000, mit dem umjubelten Star Johannes Paul II. Aber ob das nächste "Anno Santo" ganz dem Wunsch von Franziskus entsprechen wird, ist fraglich. Denn Ereignisse dieser Dimension entwickeln ihre eigene Dynamik, bei der Spiritualität eher nebensächlich wird. Zu Recht betonen Italiens Medien: Das Jubiläum wird, unabhängig von der religiösen Bedeutung, eine grosse Chance für die Hauptstadt, sich kulturell und touristisch hervorzutun, mit "Reklame-Wirkung" in der ganzen christlichen Welt. Im "Anno Santo" 2000 kamen rund 25 Millionen Pilger nach Rom – im Ausserordentlichen Heiligen Jahr 2016 düften es noch mehr sein. Deshalb schmiedet man Pläne für Strassen, Parkplätze, Verkehrsmittel. Und bei diesen Projekten, warnte Ende März die Caritas, "müssen wir leider eine starke Infiltration duch die Mafia befürchten". Die Gefahr, dass die Römer mit dem "Anno Santo" vornehmlich Geschäftsinteressen verbinden, ist dem Vatikan sehr wohl bewusst. Und das Risiko von Attentaten durch fanatische Islamisten? Es besteht durchaus – und verursacht grösste Sorgen. Senator Luigi Zanda, der die Organisation des Jubiläums 2000 von staatlicher Seie überwachte, warnt: "Die Sicherheit des Papstes und der Pilger wird ein enormes Problem. Es erfordert ganzen Einsatz der Geheimdienste und der Polizei."

Die Bulle, mit der Franziskus das Jubiläum offiziell ausruft, wird am 12. April, dem liturgischen Feiertag des "Göttlichen Erbamens", verlesen. Zahlreiche Bischofskonferenzen reagierten positiv auf die Ankündigung, weil sie generell einen Aufschwung für die Kirche erhoffen. Doch im vatikanischen Pressesaal heisst es nun auch oft: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Jubiläums-Ankündigung und der zeitgleichen, Aufsehen erregenden Äusserung des Papstes, sein Pontifikat werde womöglich nur fünf Jahre dauern.

Dass der 78-jährige Franziskus nicht ausschliesst, dereinst (wie sein Vorgänger Benedikt) aus Altersgründen zurückzutreten, ist bekannt. Will er, auch mit einem ganz seinem Lieblingsthema "Barmherzigkeit" gewidmeten Heiligen Jahr, Schritt um Schritt schon sein Haus bestellen? "Reine Spekulation", sagt dazu ausweichend ein Franziskus-Verehrer im Vatikan, fügt aber gleich hinzu: "Wir alle hoffen, dass dieses Pontifikat noch lange andauert." 

 

 

Bernhard Müller-Hülsebusch

Bernhard Müller-Hülsebusch

Dr. Bernhard Müller-Hülsebusch, seit vielen Jahren Korrespondent von deutschen und schweizerischen Medien in Rom und Buchautor, beschäftigt sich vor allem mit Themen rund um den Vatikan