Auferstehung und Martyrium - unauflöslicher Zusammenhang

Martyrium rückt in den Mittelpunkt

Ganz unerwartet sieht sich die säkularisiert aufgeklärte Welt mit der Realität des Martyriums konfrontiert. Christen werden getötet, nur weil sie Christen sind. Das passt nicht gut in das heutige Weltbild. Man wurde ja nicht müde, die Intoleranz des Christentums in seiner langen nachkonstantinischen Geschichte anzuprangern, und dieses mentale Bild trug dazu bei, dass die Medien die Unterdrückung von Christen im 20. und im gegenwärtigen 21. Jahrhundert bis heute kaum erwähnen. Doch jetzt ist das nicht mehr länger möglich, sind es doch die Christen, die unter unseren Augen mit unmenschlicher Grausamkeit getötet werden. Nicht nur die Leute von "Charlie Hebdo", sondern in unvergleichlich grösserer Zahl als sie werden christliche Gläubige umgebracht, und ihre christliche Kultur wird vernichtet, weil das Christliche ausgerottet werden soll. Neben den Christen sind es die Jezidis, die ebenfalls um ihrer Religion willen auf das Grausamste verfolgt und getötet werden.

So kann das öffentliche Bewusstsein auch unmöglich weiterhin den Unterschied zwischen der Tötung von Christen und den Selbsttötungen islamischer Fanatiker übersehen, obgleich es bisher für beide denselben Namen des Martyriums zu verwenden pflegte. Die ersten erleiden den Tod, weil sie an Jesus, den Sohn Gottes, glauben, während die andern sich selbst zusammen mit möglichst viel anderen Menschen töten. Die einen geben ihr eigenes Leben hin, die anderen zerstören es zusammen mit den Leben anderer! Auch wer meint, gegen Kirche und Christentum sein zu müssen, kann nicht mehr ignorieren, dass heute, wenige Flugstunden von uns entfernt, Menschen hingerichtet werden zur Strafe dafür, dass sie an Christus glauben oder weil sie Jeziden sind.

Der Auferstehungsglaube entstand mit dem Martyrium der Juden im 2. Jahrhundert v. Chr.

Es ist bekannt, dass das alte Israel ein Leben nach dem Tode in der Dunkelheit des Grabes bei den verstorbenen Familienangehörigen annahm, ausser wenn ein Unglück das Begräbnis verunmöglicht und den Leichnam zur Beute wilder Tiere gemacht hatte. Aber was geschah, wenn sich Menschen um der Treue zur Tora willen lieber töten liessen, als Gottes Willen zu übertreten? Diese Frage musste sich in der Verfolgung von Antiochus IV. Epiphanes stellen, der die Beobachtung der Tora unter Todesstrafe verbot. Die Makkabäerbücher zeigen es. Konnte Gott die Lebenshingabe der Märtyrer um seinetwillen entgegennehmen und diese ohne Wimperzucken in das verminderte Dasein im Dunkel der Grabesruhe schicken? Das würde einem Widerspruch in Gottes Wesen gleichkommen, das gut und gerecht ist. Wie könnte er, der Schöpfer des Lebens, die Gabe des Lebens seiner Getreuen annehmen, ohne ihnen das ihm hingegebene Leben in gesteigertem Masse zurückzugeben? 2 Makk 7 verleiht dieser theologischen Notwendigkeit einen wundervollen Ausdruck, besonders im Wort des siebten Bruders (2 Makk 7,30–39). Auferstehung bedeutet demgemäss ein Mehr an Leben für die Märtyrer, die Gott mehr geliebt haben als ihr eigenes Leben.

Die reiche Frucht des im Boden gestorbenen Weizenkorns

Damit nicht genug! Wenn Märtyrer glauben und wissen, dass Gott für sie ein Mehr an Leben jenseits ihres Sterbens erschafft, können sie ihn zudem fürbittend bewegen, seinen Lohn nicht nur ihnen selbst zukommen zu lassen, sondern um ihretwillen auch anderrn Menschen, die der Zuwendung Gottes bedürfen. Das hat der siebte Sohn in 2 Makk 7,37 f. getan. Er bittet für sein Volk um Vergebung von dessen Schuld. (Seine Fürbitte ist die engste Parallele in der ganzen Heiligen Schrift zum Kelchwort Jesu!) So wird das Wort Jesu vom Weizenkorn, das in die Erde fällt, stirbt und reiche Frucht bringt, verständlich. Der Tod um der Treue zu Gott willen verleiht dem Märtyrer das "Recht" zu einer Fürbitte, welche Gott um seinetwillen nicht unerhört lassen kann. So erklärt sich das Vertrauen der ältesten Kirche auf die Fürbitte der Märtyrer als früheste Form der Heiligenverehrung.

Jesus, der Märtyrer

Jesus ist gestorben, weil er die Sendung erfüllen wollte, die ihm sein Vater gegeben hatte. Daher ist er Märtyrer im eigentlichen Sinn. Im Brot- und klarer noch im Kelchwort beim Abendmahl, aber auch im Wort vom Menschensohn, der in Erfüllung seines Dienstes sein Leben für eine grosse Zahl hingibt, erklärt Jesus, warum sein Martyrium für diese grosse Zahl reiche Frucht bringen wird. Die allererste Kirche hat sofort verstanden, dass diese Frucht in der Mitauferstehung der Glaubenden mit Christus, dem Auferstandenen, besteht. So konnte Paulus im Römerbrief sagen (nur etwa fünfundzwanzig Jahre nach den Ereignissen von Tod und Auferstehung Jesu!): "Er ist gestorben für unsere Sünden und auferstanden für unsere Gerechtigkeit" (d. h. für unsere Aufnahme in den Bund mit Gott für immer, Röm 4,25).

Ostern und unsere Märtyrer heute

Es scheint, dass unsere Welt bereit ist, dem Martyrium für die Freiheit der öffentlichen journalistischen Meinungsäusserung höchsten Wert zuzubilligen. Wer Augen hat zu sehen, wird an Ostern die unsichtbare reiche Frucht von Jesu Weizenkorn kosten, die uns in die Auferstehung mit ihm schon jetzt hineinnimmt (durch Vergebung von Schuld) und uns dann als ewigen Erbbesitz die Auferstehung mit ihm im Himmel bereithält.

Vielleicht öffnen die Märtyrer von heute einigen unserer Zeitgenossen die Augen neu für das Martyrium Jesu und seine unabsehbar reiche Frucht. Denn auch heute sind die Märtyrer, die eben in den letzten Wochen und Tagen vor laufenden Kameras brutal getötet werden, der Same des Glaubens an Christus, den Auferstandenen, den Geber ewigen Lebens für die, welche für ihren Glauben an ihn lieber ihr Leben hingeben, als ihn zu verleugnen. 

Adrian Schenker

Adrian Schenker

P. Dr. Adrian Schenker OP ist emeritierter Professor für Altes Testament an der Universität Freiburg i. Ü. Er beschäftigt sich weiterhin mit Arbeiten über Textkritik und biblische Theologie des Alten Testaments und ist als Seelsorger tätig.