Gott gestalt geben

Nicht nur an Heiligabend finden landauf, landab spezielle Gottesdienste für Kinder und Familien statt. Was ist aus Sicht einer liturgischen Ästhetik bei Kindergottesdiensten zu beachten? Einige grundsätzliche Überlegungen.

Lea war noch klein, als wir auf einem Spaziergang an jener Kirche vorbeikamen und einfach hineingingen. Vom gleissenden Sonnenlicht traten wir in den halbdunklen, nur durch Kerzen erleuchteten Raum. Sofort war da der vertraute Geruch alter Gemäuer. Langsam gingen wir den Gang entlang, als plötzlich die Orgel einsetzte. Das Brausen war so mächtig, dass wir beide erschraken. Ich war auf alles gefasst: Würde Lea nun weinen? Ich drückte sie fest. Einen Moment lang schien sie unentschieden. Doch ihr Erschrecken ging in grenzenloses Staunen über. Da standen wir in dieser fremden Kirche, überwältigt von Eindrücken und irgendwie Teil des Ganzen. Ich hatte damals gerade mit dem Theologiestudium begonnen und fragte mich, ob das Kind jetzt wohl eine numinose Erfahrung mache. So oder so, sie würde sich nie daran erinnern können. Aber vielleicht war dies einer jener Momente, die das Gespür wachsen lassen für das, was uns gleichzeitig übersteigt und aufgehoben sein lässt.

Diese Begebenheit fällt mir als Erstes ein zur Frage nach einer Ästhetik von Kindergottesdiensten. Echte Gottesbegegnung ist immer ein Geschenk. Aber Liturgie schafft einen Raum, der genau dafür da ist, Gott begegnen zu können. Das, was wir dabei sagen und tun, um Gott «Gestalt» zu geben, gehört zur ästhetischen Dimension der Feier.  

Mit Kindern Gott feiern

Noch bevor es um Ästhetik gehen soll, hilft die Vergewisserung, warum wir überhaupt mit Kindern feiern. Glaube entsteht, theologisch gesprochen, durch den Anstoss des Heiligen Geistes. Aber es braucht auch die Gemeinschaft. Denn selbstverständlich ist Gott in jedem Menschen gegenwärtig – aber bewusst wird diese Beziehung, wenn davon erzählt, Glaube vorgelebt und gefeiert wird. Liturgie ist ein heiliges Geschehen und auch Kinder haben das Recht, Teil dieses Geschehens zu sein und angesprochen zu werden. Über Jahrhunderte gehörten Kinder in der Liturgie einfach dazu, ohne dass man speziell auf sie eingegangen wäre. Das Zweite Vatikanische Konzil betonte das heiligende Handeln Gottes am Menschen und gleichzeitig die Bedeutung des Mitvollzugs. Der Gottesdienst soll daher der «Fassungskraft» der Mitfeiernden angepasst sein (vgl. SC 34). Es entstand die Messfeier für Kinder mit kindgemässen Lesungstexten und Hochgebeten. Damit war der Grundstein gelegt für Kinder- und auch Familiengottesdienste.1 In den 1970er- und 1980er-Jahren stiessen Kindergottesdienste in der Deutschschweiz auf grosse Resonanz. Heute scheint, mit Ausnahme der beliebten Kleinkinderfeier, vielerorts der Familiengottesdienst den klassischen Kindergottesdienst abgelöst zu haben. Seit Längerem ist hier ein Suchprozess spürbar.

Eine anspruchsvolle Aufgabe

Liturgie feiert Gottes Gegenwart mit Worten und Zeichen. Denn Gott gibt sich zu erkennen, wie schon die Bibel bezeugt: im brennenden Dornbusch, in prophetischen Worten und Zeichenhandlungen, in Mahlgemeinschaften, im Wehen des Windes. Vor allem begegnet Gott selbst in Jesus Christus. Dass sich der unsichtbare Gott offenbart, ist ein ästhetisches Ereignis. «Ästhetisch» wird meist als eine angenehme Erscheinung verstanden, meint als Fachbegriff aber, wie etwas zur Anschauung gebracht bzw. wahrgenommen wird. Daher ist auch Liturgie ein ästhetisches Ereignis. Und damit eine anspruchsvolle Aufgabe: Gerufen von Gott finden sich Menschen zusammen, um in seine Gegenwart einzutreten, sein Wort zu hören und sein heilvolles Handeln zu erfahren. Die Erwartungen an Authentizität, Stimmigkeit und Verstehbarkeit eines Gottesdienstes sind zu Recht hoch. Dies gilt für Feiern mit Erwachsenen wie mit Kindern.

Zur Ästhetik von Kindergottesdiensten

Menschen wollen ernst genommen werden, wenn es um ihr Leben geht und um das, was es heilig macht. Das gilt auch für Kinder. Kleinkinderfeiern, Schulgottesdienste, Heiligabendfeiern, Erstkommunion usw. werden aber von Erwachsenen verantwortet. Es ist deren Aufgabe, christliches Feiern auf die Ebene von Kindern zu bringen. «Kindgerecht» zu feiern bedeutet, eine Verbindung zu schaffen zwischen christlichem Glauben und der Lebenswelt der Kinder. Dies ist eine Gratwanderung, die gerade bei der ästhetischen Dimension des Gottesdienstes deutlich wird: Welche Worte, welche Symbole sind passend und angemessen, um Gott heute Gestalt zu geben? Im Rahmen dieser Ausführungen sollen vor allem Orientierungspunkte genannt werden:

• Glaube
Schon Kinder erfahren Transzendenz und haben einen Sinn für Heiliges. Auch wenn Gotteserfahrungen nicht «machbar» sind, kann sich Glaube am Hören und Feiern des Glaubens entzünden. Anders als etwa in Kita oder Schule, wo ebenfalls menschliche Grunderfahrungen wie Freundschaft, Vertrauen, Versöhnung aufgegriffen und Rituale dazu gestaltet werden, deutet Liturgie das Leben aus dem Glauben heraus. Gottesdienst ist dabei mehr als Lernen und Erleben, sondern religiöser Vollzug, «heiliges Spiel». Gottesdienst feiert und vertieft die persönliche Gottesbeziehung: Wir reden nicht über Gott, sondern mit Gott. Gerade für Kinder ist auch die Beziehung zu Jesus Christus, Gott im menschlichen Gegenüber, wichtig. Christliche Ästhetik zeigt sich daran, dass der dreifaltige Gott und sein Wort an uns im Zentrum stehen.

• Erfahrbarkeit  
Menschen verstehen sich und ihre Welt über Erfahrungen. Kinder erleben entwicklungsbedingt alles sehr sinnlich, leiblich, konkret. Sie wollen spüren, sich ausdrücken und bewegen. Gottesdienste mit Kindern greifen diese Bedürfnisse bewusst auf. Daher spielen liturgische Symbole und Zeichenhandlungen eine wichtige Rolle, weil sie auf Vollzug ausgerichtet sind. Es ist kein «tun als ob»: Wird eine Kerze angezündet, ist sie Zeichen der Gegenwart Gottes oder eines Gebets für andere Menschen. Es sind Zeichen, die schon seit Jahrtausenden für den Glauben an Gott und seine Liebe zu den Menschen stehen: die Heilige Schrift, sakramentale Zeichen und Gesten, Gesang, Stille, Licht, Kreuz usw., aber auch die feiernde Gemeinschaft selbst. Überlieferte liturgische Symbole werden gedeutet und neu gefüllt. Dadurch erwerben Kinder eine ästhetische Kompetenz. Sekundäre Symbole, die eine echte Verbindung von Glaube und Leben aufweisen, können hinzutreten.

Ebenso haben Raum und Zeit eine wichtige Bedeutung. Kirchenräume sind Orte der Transzendenz und binden an die Glaubensgemeinschaft zurück. Es lohnt sich deshalb, nicht vorschnell in einen anderen, womöglich gesichtslosen Mehrzweckraum auszuweichen, sondern in dieser «Architektur der Unendlichkeit»2 Orte des Feierns zu schaffen. Taufstein, Kerzen, Bibel, das Jesuskind in der Krippe usw.: Was im Glaubensvollzug zum Zeichen für das Wesentliche wird, besitzt eine eigene Würde und Schönheit.

Auch die zeitliche Dimension prägt die Ästhetik: Gottesdienst verbindet die Gegenwart mit Vergangenheit und Zukunft. Heilsgeschichte wird feiernd vergegenwärtigt. Erfahrbar wird dies beispielsweise, wenn biblische Geschichten gespielt und dadurch nachvollzogen werden, nicht nur an Weihnachten. In den Feiern des Kirchenjahres erfährt das eigene Leben vielfältigen Segen. Und in einer zunehmend leistungsorientierten und digitalisierten Welt ist es auch für Kinder wohltuend, das Dasein unverzweckt erfahren zu dürfen und «analog» zu feiern.

• Glaubwürdigkeit
Ästhetik meint nicht Ästhetizismus. Weil es um die Begegnung von Gott und Mensch geht, hängt alles von Glaubwürdigkeit ab, auch beim Feiern mit Kindern. Zwar erfahren Kinder den Glauben auf kindliche Weise, aber Verkündigung darf deshalb nicht kindisch oder banal werden. Im Gegenteil: Gerade weil kleine Kinder so gerne ganz bei der Sache sind und grössere Kinder zunehmend kritisch, braucht es das ehrliche Tun. Glaubwürdig wird eine Feier, wenn sie unterschiedlichen Erfahrungen und Fragen Raum gibt. Auch der «liebe Gott» ist manchmal unverständlich. Was heute gesagt wird, muss für später Bestand haben können. Dies gilt auch mit Blick auf Erwachsene, die als Mitfeiernde angesprochen sind. Wenn im Anschluss an die Feier noch ein Zvieri geteilt und gebastelt wird, kann dies den Zusammenhang von Feier und Gemeinschaft vertiefen. All dies dient der Ästhetik des Feierns.

Aus meiner Patentochter Lea ist keine regelmässige Kirchgängerin geworden. Trotzdem hat sie durch Familie und Kirche mehr als nur ein Gespür für das Göttliche bekommen. Dazu gehört auch die Erfahrung von heiligen Orten und Vollzügen.

Nicola Ottiger

 

1 Gottesdienst mit Kindern. Direktorium für Kindermessen. Überlegungen und Anregungen zur Messfeier. Hrsg. vom Deutschen Katecheten-Verein e.V. und vom Deutschen Liturgischen Institut. Erg. und überarb. Auflage, München 102011. Empfehlenswert auch: Mit Kindern Gottesdienst feiern. Tipps zur Vorbereitung und Leitung (Pastoralliturgische Hilfen 19), hrsg. vom Deutschen Liturgischen Institut, Trier 2014.

2 Vgl. den gleichnamigen Dokumentarfilm von Christoph Schaub, 2018.

Nicola Ottiger

Interviewpartnerin: Nicola Ottiger

Dr. Nicola Ottiger ist Dozentin für Dogmatik, Liturgiewissenschaft und Fundamentaltheologie am Religionspädagogischen Institut RPI der Theologischen Fakultät der Universität Luzern.