Frieden: Im Libanon und weltweit

Die Aktion Sternsingen 2020 steht unter dem Thema «Frieden» und hat als Beispielland dafür den Libanon gewählt.

Rund 100 Mädchen und Jungen besuchen jeden Nachmittag ein Programm der Caritas in Bourj Hammoud – auch Rabella und Raman. Hier können sie Hausaufgaben machen und spielen und lernen auch ein friedliches Miteinander. (Bild: Bettina Flitner/Kindermissionswerk)

 

Bourj Hammoud ist ein Vorort von Beirut. Hier leben Flüchtlinge aus dem Irak, aus Syrien und Migrantenfamilien aus Asien und Afrika auf engstem Raum zusammen. Menschen verschiedenster Religionen und Weltanschauungen wohnen Tür an Tür, das Geläute der Kirchen und der Gebetsruf von den Minaretten erfüllen gleichermassen die engen Gassen. Es herrscht scheinbar Friede in diesem multikulturellen Stadtteil, der auch Schauplatz des libanesischen Bürgerkrieges (1975–1990) war. Immer noch zeigen die Einschusslöcher in vielen Häusern, dass die Nachbarn einst Feinde waren.

In Bourj Hammoud gibt es viele soziale Probleme und Konflikte sind unvermeidlich. Die Schuldigen sind schnell gefunden: «Die syrischen Flüchtlinge nehmen uns die Arbeitsplätze weg und die Mieten werden wegen ihnen immer teurer.» Spielplätze gibt es hier keine und die Eltern getrauen sich nicht, die Kinder auf der Strasse spielen zu lassen. Viele Kinder und Jugendliche gehen nicht in die Schule oder nur unregelmässig, von den Eltern bekommen sie nur wenig Unterstützung. Gewalt, Kriminalität, Drogensucht und Kinderarbeit werden dadurch gefördert. Für syrische Kinder, die in die Schulen aufgenommen werden, ist es oft schwierig, dem Unterricht zu folgen, weil sie meist lange keine Schule mehr besucht haben oder gar nie in der Schule waren.

Verschiedenheiten akzeptieren lernen

In diesem Umfeld organisiert Caritas Libanon für Kinder aus benachteiligten Familien ein Freizeit- und Förderprogramm, das von den Sternsingern unterstützt wird. 40 Prozent der Kinder stammen aus syrischen Familien. Das Programm bietet rund 100 Kindern einen sicheren und friedlichen Ort, an dem sie am Nachmittag während zwei Stunden gemeinsam spielen und lernen können. Sie werden bei den Hausaufgaben betreut und erhalten Nachhilfeunterricht, wo es nötig ist. Dabei spielt es keine Rolle, woher sie kommen oder welche Religion sie haben. Bei den gemeinsamen Aktivitäten – dazu gehört auch ein mehrwöchiges Sommerlager – lernen sie sich gegenseitig kennen, können Vorurteile abbauen und sich in ihrer Verschiedenheit akzeptieren und so Freunde werden.

Jeden Monat veranstaltet die Caritas ausserdem Treffen zu Themen wie Kinderrechte, Kindesschutz und Friedensförderung. Auch den Familien werden Veranstaltungen zu diesen Themen angeboten. Die Eltern, besonders die Mütter, kommen dabei ins Gespräch, lernen sich kennen und bauen Vorurteile ab. Denn Krieg und Frieden fangen im Kleinen an: in der Nachbarschaft, in der Schule, im Berufsleben. «Mit der jungen Generation wächst der Frieden nach», ist Myrna Chamineh, die Programmleiterin der Caritas Libanon, überzeugt. Es braucht Rücksicht und Geduld, damit das Miteinander friedlich bleibt.

Interreligiöser Dialog an den Schulen

Das zweite Beispielprojekt, das durch die Aktion Sternsingen unterstützt wird, ist dem interreligiösen Dialog an Schulen gewidmet. 2006 wurde von Christen und Muslimen die Adyan-Stiftung gegründet, die sich für Bildung und Dialog in der Gesellschaft einsetzt. Misstrauen und Vorurteile zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen sollen abgebaut werden. Dafür hat die Stiftung Lernmaterialien für die Sekundarstufe entwickelt, die den Austausch zwischen den Schülern verschiedener Religionen fördern.

Bei diesem sogenannten Alwan-Unterricht, der bereits an 42 staatlichen und privaten Schulen durchgeführt wird, lernen Kinder und Jugendliche die verschiedenen Religionen besser kennen und verstehen. Die Lehrer orientieren sich dabei an der «goldenen Regel», die es in allen Religionen gibt. Sie besagt, dass man die Menschen so behandeln soll, wie man selber gern behandelt werden möchte. Alwan will die Jugendlichen auf ihrem religiösen Weg stärken und gleichzeitig den Respekt für Andersgläubige fördern. Im Alwan-Unterricht werden darum auch gegenseitige Besuche organisiert, um sich besser kennenzulernen. Muslime werden in christliche Kirchen eingeladen und Christen in Moscheen. Gegenseitige Vorurteile und Ängste werden so abgebaut und überwunden, ein friedliches Zusammenleben ermöglicht.

Flüchtlinge zwischen den Fronten

Der Libanon gilt als stabiles Land im Nahen Osten mit einer Regierung, die seit dem Ende des libanesischen Bürgerkrieges eine Aufteilung der Macht entlang der grössten Religionsgemeinschaften gefunden hat. Aber diese Stabilität ist fragil, denn das kleine Land ist seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien mit einer gewaltigen Zahl an Flüchtlingen konfrontiert. Knapp eine Million Flüchtlinge hat das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR im Libanon registriert, unzählige sind illegal über die Grenzen geflüchtet. Zudem wird seit einigen Wochen durch Massenproteste der Rücktritt der korrupten Regierung gefordert, weil die Situation für viele unerträglich geworden ist. Arbeitsplätze und Wohnungen sind absolute Mangelware, die marode Infrastruktur ist den Herausforderungen nicht gewachsen, die Gesundheitsversorgung unzureichend. Sorgen bereiten auch die Umweltverschmutzung, die Versorgung mit gutem Trinkwasser und Strom. Die Armut hat enorm zugenommen, die Arbeitslosigkeit liegt bei 25 Prozent.

Durch die Berichterstattung über die Proteste geht die Situation der Flüchtlinge vergessen. Der Ton im Umgang mit ihnen ist rauer geworden und die Anfeindungen haben zugenommen. Die grosse Hilfsbereitschaft, die die libanesische Bevölkerung zu Beginn des Bürgerkrieges in Syrien gezeigt hat, schlägt nun in ihr Gegenteil um. Die prekäre wirtschaftliche Situation, der Mangel an Arbeitsplätzen und die Wohnungsnot werden den Flüchtlingen in die Schuhe geschoben.

Seit Beginn dieses Jahres hat die libanesische Regierung deshalb verschiedene Massnahmen erlassen, die sich gegen Flüchtlinge richten, ihnen das Leben schwer machen und so den Druck erhöhen, nach Syrien zurückzukehren. Zu diesen Massnahmen gehören Razzien, die von den libanesischen Sicherheitskräften durchgeführt werden, um Syrer ohne Arbeitserlaubnis zu zwingen, ihre kleinen (illegalen) Geschäfte zu schliessen, mit denen sie sich über Wasser halten. Für syrische Flüchtlinge ist es fast unmöglich, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Libanesische Arbeitgeber werden auch aufgefordert, illegal angestellte Syrer zu entlassen.

Besonders hart trifft die Massnahme, dass provisorische Bauten aus Ziegel und Beton abgebrochen und durch Behausungen aus provisorischen Materialien wie Holz und Zeltplanen ersetzt werden müssen. Im Winter werden viele Menschen in diesen Behausungen frieren! Die Massnahmen sehen auch vor, dass alle Syrer, die sich nicht legal im Libanon aufhalten, ohne Verfahren in ihr Heimatland abgeschoben werden können. Aber weite Teile Syriens liegen in Trümmern und es herrscht Krieg. Den Männern droht Gefängnis, Folter oder die Zwangsrekrutierung.

Für die Flüchtlinge ist es ein Déjà-vu-Erlebnis: Nachdem sie in ihrer Heimat alles verloren haben, verlieren sie nun ihr neues Zuhause, was dazu führt, dass die prekären Lebensumstände nochmals verschärft werden. «Die Welt hat den Libanon mit einer Last sich selbst überlassen, die das Land nicht tragen kann», fasst die freischaffende Journalistin Lisa Khoury die Situation im Libanon zusammen.

Auf der Seite der Kinder

Wie es politisch – und damit auch gesellschaftlich und wirtschaftlich – im Libanon weitergehen wird, kann zurzeit niemand sagen. Sicher ist aber, dass es den Dialog brauchen wird, um Missverständnisse zu vermeiden und Gräben zwischen den Religionen zu überbrücken. Zusammen mit den Partnern im Libanon werden sich die Sternsinger weiter für die Rechte der Kinder einsetzen, damit ein Friede wachsen kann, der mehr ist als das Schweigen der Waffen.

Siegfried Ostermann

 

Aktion Stersingen: Sie findet dieses Jahr in Kooperation mit Friedenslicht Schweiz statt. Mit der Zusammenarbeit wollen die Beteiligten ihren Beitrag zum Frieden sichtbarer machen und ihrem gemeinsamen Anliegen zu mehr Bekanntheit verhelfen. Informationen: www.missio.ch/kinder-und-jugend/sternsingen


Siegfried Ostermann

Siegfried Ostermann (Jg. 1970) ist Theologe und arbeitet bei Missio in den Bereichen Kommunikation, Weltkirche und Aktion Sternsingen.