«Gott…, der alle in Gott ist, sei Ehre und Preis…»

24. Sonntag im Jahreskreis (Eidg. Dank-, Buss- und Bettag): 1 Tim 1,12–17 (Ex 32,7–11.13–14; Lk 15,1–32 oder 15,1–10)

Der Internet-Site www.feiertage-schweiz.ch ist zu entnehmen: «Der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag (kurz auch als Bettag bezeichnet) ist in der Schweiz ein staatlich angeordneter überkonfessioneller Feiertag, der von allen christlichen Kirchen und der Israelitischen Kultusgemeinde gefeiert wird.» Gemäss Historischem Lexikon der Schweiz wurde er angesichts der drohenden Revolution am 8. September 1796 erstmals als allgemeine eidgenössische Festfeier durchgeführt. Durch diese Verflechtung von Politik und Religion ist er ein Relikt, eine offizielle Erinnerung, dass auch in unserer Kultur die alltägliche Lebensbewältigung vom Glauben geprägt und getragen war. Vielleicht könnte er auch eine Rückbesinnung daran, eine Ermutigung dazu sein.

Seit 1886 verfassten die katholischen Bischöfe anlässlich des Dank-, Buss- und Bettags bis vor kurzem Hirtenbriefe, die den Gemeinden vorgetragen werden sollen. Insofern ist es naheliegend, als Lesungstext einen Abschnitt aus einem Pastoral-, einem Hirtenbrief der frühen Kirche, festzulegen.

Die Pastoralbriefe im jüdischen Kontext

Im Unterschied zu den christlichen Bussund Bettagen, die laut dem Historischen Lexikon der Schweiz aus der Praxis des Judentums hervorgegangen sind, ist es nicht sehr naheliegend, in den Pastoralbriefen nach Bezügen zum oder deren Wurzeln im Judentum zu suchen. Schliesslich entstanden sie in einer Zeit, in der sich das Christentum (in Abgrenzung zum Judentum und zum «heidnischen » Umfeld) zu konsolidieren begann. Zum heutigen Lesungstext 1 Tim 1,12–17 werden denn in den beigezogenen Bibelausgaben auch keine Parallelstellen zum Alten Testament angegeben. Einzig im von Nestle und Aland herausgegebenen griechischen Text wird zum Gotteslob in 1 Tim 1,17 auf zwei Stellen im Buch Tobit verwiesen (Tob 13,7.11). Doch formal wird die Textstelle auch damit nicht in den jüdischen Mehrheitskontext eingebettet, denn das Buch Tobit ist nicht Teil der hebräischen Bibel. Es ist ein deuterokanonisches oder apokryphes aramäisch verfasstes Buch, das schliesslich in die Septuaginta Eingang gefunden hat. Zielpublikum wie zentraler Inhalt ist das Diasporajudentum. Es zeigt, wie und dass es möglich ist, mitten in der Fremde den eigenen Glauben zu leben und Gott treu zu bleiben. Dieses Anliegen verbindet tatsächlich die beiden Schriften, denn auch 1 Tim (ebenso 2 Tim und Tit) werden durch ihren fiktiven Kontext an Gemeinden in der Diaspora gerichtet. Allerdings haben diese sich noch zu bewähren, während Tobit sich von Beginn an als Gottesgetreuer darstellt, dies ganz im Gegensatz zu seinen Stammesgenossen. Die ganze Sippe des Stammvaters Naftali, ausser eben Tobit, hat sich vom Tempel in Jerusalem ab- und dem Baalkult zugewandt. Tobit verschlägt es nach Ninive, der Stadt, die per se für Götzendienst steht. Doch auch hier gelingt es Tobit, seinem Glauben treu zu bleiben, was sich u. a. durch Grosszügigkeit gegenüber Mittellosen, Barmherzigkeit und selbstlosen Mut in seiner Lebensführung äussert. Durch ein Missgeschick erblindet Tobit und verzagt an seinem Leben. In seinem Gebet anerkennt er die Gerechtigkeit Gottes, bezeichnet die erlittene Niederlage und Zerstreuung seines Volkes als gerechte Strafe für den Glaubensabfall. Obwohl selber nicht schuldig, tut er Busse als Angehöriger seines Volkes. Dass er sich den Tod wünscht, ist allerdings keine Folge seines erschwerten Lebens, wo ihm für seine Barmherzigkeit immer wieder Gefangenschaft und Tod drohten. Vielmehr lässt ihn der Spott, den er statt der Anerkennung erntet, in eine Depression verfallen. Doch selbst in seiner Todessehnsucht ist sich Tobit seiner Verantwortung bewusst. Er bedenkt, dass er für den Fall, dass er tatsächlich sterben wird, für seinen einzigen Sohn Tobias Vorsorge treffen muss. Er schickt diesen nach Medien, wo ein (ebenfalls gottesfürchtiger) Verwandter das Vermögen von Tobit verwaltet. Tobias wird inkognito vom Engel Rafael begleitet. Mit dessen Hilfe gelingt es ihm, die Tochter des Verwandten von einem Dämon zu heilen. Er heiratet sie und kehrt mit ihr nach Ninive zurück, wo er seinen Vater, ebenfalls mit Rafaels Hilfe, von seiner Blindheit heilen kann. In diesem Zusammenhang und durch die Selbstoffenbarung Rafaels motiviert stehen die genannten zwei Textbezüge als Teil von Tobits Lobpreis Gottes. Tob 13,11 ist Zusammenfassung der Erzählung, (rückblickender) Dank und Programm in einem: «Bekenne dich zum Herrn in rechter Weise, preise den ewigen König, damit sein Zelt von neuem errichtet wird, dir zur grossen Freude.»

Diese Absicht steht auch hinter den Pastoralbriefen, nämlich die Gemeinden anzuleiten, sich in rechter Weise zu Gott zu bekennen. Die Anleitungen wurzeln im zentralen jüdischen Bekenntnis: «Gott …, der allein Gott ist» (1 Tim 1,17). Diesbezüglich steht der Brief fraglos in der Tradition des Paulus, dessen Autorität sich der Verfasser bedient.

Heute mit 1 Tim im Gespräch

Die früheren christlichen Buss- und Bettage, angefangen im Spätmittelalter, wurden zunächst vor allem in Krisenzeiten wie Pestepidemien oder Kriegen ausgerufen. Sicherlich drückte man den Dank aus, dass man bisher überlebt hatte, doch die Betonung lag vermutlich mehr auf der kollektiven Busse, wie wir sie auch von Ninive kennen, zur Abwendung des Übels, und dem Beten, mit dem das weitere Überleben und das Ende der Krise herbeigesehnt wurden.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir den Buss- und Bettag in dieser Hinsicht nicht mehr «nötig» haben. Allenfalls hätten wir Busse zu tun, weil uns trotz hohen Lebensstandards und guter Lebensqualität das Beklagen des (vermeintlich) noch Fehlenden oft schnell über die Lippen kommt. Da kann uns der Lesungstext Gegensteuer geben. Er setzt enthusiastisch ein mit «charis echo – Dank erfüllt mich», ist geprägt von den Begriffen Barmherzigkeit, Gnade, Liebe und Rettung, während die Begriffe Lästerer, Verfolger, Frevler und Sünder verblassen, da sie in der Vergangenheit liegen. Abschluss und Höhepunkt bildet die Würdigung in Vers 17: «Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.» Welche Begeisterung und Lebensfreude strahlt da aus dem Text, denn Gottes Gnade wird nicht erwartet und erbeten (erbettelt), sondern als gegeben erlebt und ernst genommen. Das ermöglicht auch eine Busse, die nicht in Zerknirschung stecken bleibt, sondern sich äussert in einem nüchternen Bewusstsein begangener und überwundener Fehler, verbunden mit der Bereitschaft, die Verantwortung für Getanes und zu Tuendes zu übernehmen in der Orientierung an Gott, die durch das Gebet gegenwärtig gehalten wird. Ist Tobit trotz eigener Unschuld bereit, die kollektive Schuld seiner Sippe mitzutragen, wird hier die individuell erlebte Begnadigung als Hoffnungshorizont eröffnet für alle, «die an ihn glauben wollen» (Vers 16), denn «Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sündigen zu retten» (Vers 15). Damit haben wir keinen Freibrief, sondern sind (erneut) in die Verantwortung genommen, uns dieser Begnadigung würdig zu erweisen, indem die Welt an unseren Früchten die Gesundheit unseres «Baumes», unseres Glaubens zu erkennen vermag. Mit dieser Aufgabe stehen wir inmitten des Obstgartens der Religionen, zu denen auch der Säkularismus hinzuzuzählen ist.

 

 

 

Katharina Schmocker Steiner

Katharina Schmocker Steiner

Dr. Katharina Schmocker Steiner ist zurzeit in der Administration im Zürcher Lehrhaus – Judentum Christentum Islam tätig.