Gibt es einen Algorithmus des Betens?

Hanspeter Wasmer macht sich Gedanken darüber, ob ein Algorithmus sinnvoll wäre und findet heraus, dass es seit Anbeginn der Christenheit auch ohne geht.

Algorithmen sind heute in der modernen Technik überall im Einsatz und die sogenannt künstliche Intelligenz versucht dadurch unser Leben zu erleichtern. So meldet mir mein Smartphone, wie lange ich nach Hause habe und welche Route ich nehmen soll, wenn ich abends ins Auto steige. Das ist nett, hilft mir aber nicht immer, weil ich nicht regelmässig nach Hause fahre, sondern auch zu Abendterminen. IT-Fachleute erkennen sofort, dass meine Datenschutzeinstellungen keinen Zugriff auf meine Agenda erlauben, sonst würde das natürlich nicht passieren.

Hätte es weiter Zugriff auf meine StundenbuchApp, würde es mir wahrscheinlich morgens, mittags und abends vorschlagen, die App zu öffnen und zu beten. Auch wenn ich meine persönlichen Gebetszeiten zeitlich nicht so genau einhalten kann wie eine Klostergemeinschaft, so könnte man wohl trotzdem einen Algorithmus daraus ableiten. Das wäre schon zur Zeit des Alten Testamentes möglich gewesen. In Dan 6,11 und Ps 55,18 werden drei tägliche Gebetszeiten erwähnt und in Ps 119,164 sogar sieben. Schon damals wurde also die Zeit mit Gott verbunden.

Das Phänomen der Zeit wurde schon bei den alten Griechen einem Gott zugeordnet, nämlich Chronos, dem Vater von Zeus und dessen zwölf Töchtern, den Horen. Auch bei den Juden war klar, dass Gott die Zeit gehörte und sie nicht in unserer Verfügungsgewalt war. Nachdem die drei täglichen Opferzeiten mit dem Wegfall des Tempels nicht mehr eingehalten werden konnten, wurden die Gebete und Segnungen in den Synagogen übernommen und auch das Privatgebet der gläubigen Juden schloss sich an diese heiligen Stunden an, welche die dritte, sechste und neunte Stunde des Tages umfassten.

Das Stundengebet – ursprünglich kein Gebet der Kleriker, sondern der ganzen frühen Kirche – stellt also eine Art Algorithmus dar, welcher den Tageszeiten bestimmte Gebete zuordnet. Es soll eine Stütze im Alltag sein, weil wir so nie alleine beten, sondern gewiss sein können, dass gleichzeitig andere Menschen mit uns beten. Dieses Beten hilft uns immer wieder Gott zu übergeben, was wir nicht selber in der Hand haben und das ist vieles, wie uns in diesen Zeiten schmerzlich vor Augen geführt wird.

So ist das tägliche Gebet also nicht nur Lobpreis Gottes, sondern auch Hilfe für uns Menschen im Alltag. Diese tägliche wohltuende Vergewisserung, dass nicht alles von mir abhängt, macht mich freier und glücklicher. Deshalb kann das tägliche Gebet gar nicht genug propagiert werden. Vielleicht wird es eines Tages so sein, dass mir mein Smartphone mitteilt, jetzt ist gerade kein Termin, also eine ideale Zeit zum Beten. Oder vielleicht erscheint einmal anstelle von Werbung die Einladung zum Gebet.

Es wird in Zukunft noch viele Möglichkeiten geben rund um das tägliche Gebet, aber eines ist Gewiss: Es ist eine Kraftquelle, welche seit Jahrtausenden Menschen mit Gott verbunden hat. Pflegen wir sie weiter! Und wenn das Smartphone uns nicht darauf aufmerksam macht, die Kirchen läuten immer noch täglich dreimal und rufen morgens, mittags und abends zum Gebet auf.

Hanspeter Wasmer


Hanspeter Wasmer

Hanspeter Wasmer (Jg. 1966) hatte seine Priesterweihe am 2. Juni 1996, war Vikar in Reiden LU, Subregens am Priesterseminar in Luzern und Pastoralraumpfarrer im Pastoralraum Meggerwald-Pfarreien. Seit 2018 ist er Bischofsvikar in der Region St. Viktor des Bistums Basel. Weiter ist Hanspeter Wasmer Delegierter der DOK für das «Netzwerk Katechese» und «Chance Kirchenberufe» sowie Präsident der IKB.