«Geschmack finden an Gott»

In Taizé fand erstmals ein interreligiöser Dialog mit dem Islam statt.1 Taizé öffnet sich immer mehr den Herausforderungen unserer Zeit und bleibt weiterhin ein Ort der Besinnung und Spiritualität.

Als Ort der Versöhnung und des ökumenischen Dialogs hat die von dem Schweizer Roger Schutz gegründete Gemeinschaft von Taizé seit mehr als 75 Jahren einen ausgezeichneten Ruf. Im Mai gab es in Taizé erstmals ein «week-end d’amitié islamo-chrétienne». Die Suche nach Versöhnung zwischen den Christen war für Frère Roger nicht in erster Linie eine intellektuelle Angelegenheit. Schon als Jugendlicher war Frère Roger zur Überzeugung gelangt, dass ein konkretes Leben zu einem Zeichen werden kann. Deshalb wollte er mit Menschen zusammenleben, deren vorrangiges Anliegen die Versöhnung war, darin liegt die ursprüngliche Berufung von Taizé.

Gemeinschaft in Gott eröffnen

Frère Roger wollte seine Gemeinschaft dazu bringen, sich nicht an Buchstaben oder an bestimmte Strukturen zu klammern, sondern stets dem Atem des Heiligen Geistes zu überlassen, der in jedem Menschen gegenwärtig ist. Frère Roger trug alle Menschen aus allen Völkern in seinem Herzen, vor allem Jugend-liche und Kinder. Er besass eine Leidenschaft für Gemeinschaft und sagte oft: «Christus ist nicht auf die Erde gekommen, um eine neue Religion zu gründen, sondern um allen Menschen eine Gemeinschaft in Gott zu eröffnen. Er tat alles, um dies durch sein Leben zum Ausdruck zu bringen, und zitierte immer wieder die Worte des Augustinus: «Liebe und sage es durch dein Leben.» Dies veranlasste ihn zu überraschenden Gesten. Einmal kam er von einer Reise nach Kalkutta mit einem Baby zurück, einem kleinen Mädchen, das ihm Mutter Teresa in der Hoffnung anvertraut hatte, dass es in Europa überleben würde, was auch der Fall war. Im Dorf Taizé half er während des zweiten Weltkrieges jüdischen Flüchtlingen. Später fanden dort auch vietnamesische Bootsflüchtlinge Unterkunft. Auf seinen jährlichen Reisen kam Frère Roger auch in mehrheitlich muslimische Länder, wie Bangladesch. Im Senegal gründeten seine Brüder eine Gemeinschaft auf Einladung eines katholischen Bischofs, mitten unter den Ärmsten der Armen, die meisten davon Muslime.

Nach Taizé kamen zwar von jeher in mehr oder weniger grosser Zahl auch Muslime. Doch die das ganze Jahr über stattfindenden Jugendtreffen thematisierten eher das Thema Versöhnung zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen und den Generationen. Mit dem im Mai organisierten christlich-muslimischen Begegnungswochenende öffnete sich Taizé erstmals diesem neuen Tätigkeitsfeld, von dem auch die modernen Gesellschaften Europas herausgefordert werden.

«Geschmack Gottes»

Das «Wochenende der islamisch-christlichen Freund-schaft» ging auf eine Initiative von Khaled Roumo, einem muslimischen Freund der Gemeinschaft von Taizé, zurück. Es ging darum, dass Christen und Muslime eine Zeit miteinander verbringen und eine spirituelle Erfahrung teilen. Da Taizé mit diesem Wochenende komplettes Neuland betrat, holte man die päpstliche Hochschule PISAI, das Institut für Arabische und Islamische Studien, als Veranstalter mit ins Boot. Das Thema des Wochenendes lautete «Sich der Gegenwart Gottes in uns bewusst werden». Das Treffen wollte «Gottes Geschmack» im jeweils anderen nachspüren. Indem sich Christen und Muslime gemeinsam der Gegenwart Gottes vergewisserten, erkundete man Wege, «mehr zu lieben, mehr zu verehren und mehr zu dienen». Mehr als 500 Menschen aus vielen Regionen Frankreichs und einigen Nachbarländern waren der Einladung zu diesem Wochenende gefolgt. Unter den jungen Erwachsenen waren besonders viele einer Einladung der Vereinigung «Coexister» gefolgt, in der junge Menschen regelmässig versuchen, sich auf einen Dialog zwischen den verschiedenen Religionen und Glaubensrichtungen einzulassen. Andere Leute kamen auf Einladung der islamisch-christlichen Freundschaftsgruppe Sufi Alawiyya, die sich besonders der mystischen Erfahrung Gottes wie er im muslimischen Sufismus praktiziert wird, widmet.

Die Teilnehmer der christlich-islamischen Begegnung waren auch eingeladen, das tägliche Leben der Gemeinschaft und der zur Einkehr versammelten jungen Menschen zu teilen. Aus Respekt vor den muslimischen Gästen wurden zwei Gebetsräume für Muslime auf dem Taizéhügel eingerichtet, einer für die männlichen und einer für die weiblichen muslimischen Gäste. Neben den sonst üblichen Sprachen kam jetzt auch eine Übersetzung ins Arabische bei den drei grossen Vollversammlungen hinzu. Alle Diskussionsgruppen wurden als Dialoggruppen gemischt muslimisch und christlich vorgeschlagen.

Die Methode des Dialogs war einfach: Man wollte sich nicht nur auf das konzentrieren, was trennt, auf Unterschiede, sondern auf das Verbindende, das man vor allem im Gebet und im Studium der Offenbarungstexte aus Bibel und Koran suchte. Über das Gebet konnte man auch die Beziehung des jeweils anderen zu Gott erkunden. Schwester Carol von der Gemeinschaft von Mar Musa in Syrien gab ein bewegendes Zeugnis über den riesigen Bedarf an Dialog zwischen Islam und Christentum angesichts des Hasses und der Kriege im Nahen Osten. Die Klostergemeinschaft von Mar Musa hat sich auf den Irak und andere Länder des Nahen Ostens ausgedehnt. Fadila Semai ist der aussergewöhnlichen Freundschaft zwischen dem später von Islamisten ermordeten Christian Chergé nachgegangen – dem Prior des Klosters Tibhirine in Algerien und Mohammed, einem Algerier, der ihm während des Krieges in Algerien das Leben gerettet hatte. Ghaïs Jasser und Naziha Meftah haben mit ihrer Musikgruppe Wajd den Weg in die bezaubernde Musik des Orients geöffnet, mit Liedtexten von Khaled Roumo. Agata Kroh, Hebräischprofessorin an der Katholischen Universität von Lyon, begab sich auf die Suche des Glaubens Abrahams im Lichte der Traditionen der drei monotheistischen Religionen. Die Imame Ahmed Embarek und Guerdam Belghazi aus Macon und Mulhouse bezeugten ihren Weg, lebendige Gemeinschaften zwischen Muslimen und Christen aufzubauen «in allen vier Himmelsrichtungen Gottes».

Zum Abschluss des Wochenendes fand ein intensiver Austausch zwischen Scheich Khaled Bentounès, geistiger Führer der Sufi Alawiyya, und Frère Alois, Prior der Communauté de Taizé, statt. Beide haben darüber meditiert, wie man die Liebe Gottes erfahrbar machen und so auch schmecken kann. Am letzten Tag des Treffens richteten sich dann alle Augen auf die Person Marias im Christentum und Islam. Fouzia Oukazi und Mireille Akouala gingen den biblischen und koranischen Texten nach, wie Maria persönlich die wunderbare Geburt Jesus im Glauben angenommen hat und welche Inspiration dies für das Leben eines Christen und Muslims bedeuten kann. Der Reichtum der drei Tage beruhte ebenso darin, dass man zusammengelebt, gemeinsam gewohnt und an denselben Mahlzeiten teilgenommen hat. Das Geheimnis des Freundschaftswochenendes lag vor allem im Austausch in den kleinen Gruppen und der Teilnahme am Gebet des jeweils anderen, wodurch man den Glauben des jeweils anderen entdecken und sich so der Gegenwart Gottes im anderen öffnen konnte. So konnte man die lebendige Quelle der Liebe Gottes auch «schmecken». Umrahmt wurde das Wochenende durch zwei Konzerte, zwei spirituelle Sufi-Sitzungen nach den «Dhikr»-Regeln und einem gemeinsamen Gebet für Frieden.

Pilgerweg des Vertrauens mit Ägypten als nächste Etappe

Vom 26. September bis 1. Oktober 2017 lädt die Gemeinschaft von Taizé 100 Jugendliche ein, mit Frère Alois und einigen seiner Brüder die Christen in Ägypten zu besuchen und mit diesen in Angst lebenden Christen einen Pilgerweg des Vertrauens und der Solidarität zu gehen. In Ägypten bietet sich auch die Gelegenheit, dem Ursprung des Mönchtums, das hier entstanden ist, nachzugehen. Von daher ist es auch für die Brudergemeinschaft in der Nachfolge von Frère Roger eine Reise zu den eigenen Wurzeln. Aber auch die Öffnung für Minderheiten und Andersgläubige, vor allem Flüchtlinge, gehörte für Frère Roger von Anfang an zu seinem Verständnis von Leidenschaft für Gemeinschaft.

 

1 Zwischen dem 16. und 23. Juli folgte eine Woche mit Schwerpunkt Flucht. Eingeladen waren Jugendliche, die beim Empfang und bei der Betreuung von Flüchtlingen engagiert sind, europäische Politiker und Experten zum Thema Migration sowie junge Migranten. Die Idee dazu entstand in Rom bei einem Austausch mit der Beratergruppe von Papst Franziskus, die die Aktion der Kirche zugunsten der Flüchtlinge koordinieren soll


Bodo Bost

Bodo Bost studierte Theologie in Strassburg und Islamkunde in Saarbrücken. Seit 1999 ist er Pastoralreferent im Erzbistum Luxemburg und seit 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Public Responsibility an der kircheneigenen Hochschule «Luxembourg School of Religion & Society».