Gender und andere schwierige Wörter

Eine Begriffsklärung

1. Von Frauenrechten bis Gender-Mainstreaming Feminismus und Sexismus

Der Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung von Frauen wird seit der sogenannten Zweiten Frauenbewegung seit den 1970er-Jahren unter der Bezeichnung «Feminismus» geführt; eine Feminist bzw. ein Feminist ist demnach eine Person, die sich für Frauenrechte einsetzt. Der Grundgedanke des Feminismus ist der Kampf gegen den Sexismus, d. h. die Benachteiligung allein oder aufgrund des biologischen Geschlechts (engl. «sex»). Dieser Begriff wird vielfach falsch verstanden: Mit Sex und Erotik hat er nichts zu tun. Hingegen ist «Sexismus» eine Analogiebildung zu «Rassismus», der Diskriminierung aufgrund der Abstammung. Diese Benachteiligungen sind nicht immer offensichtlich, vor allem, wenn andere Kriterien vorgeschoben werden.

Die vorangegangene Frauenbewegung hatte vor allem um bürgerliche Rechte und Zugang zur höheren Bildung gekämpft und dabei betont, dass das weibliche Wesen und die häuslichen Aufgaben dadurch nicht beeinträchtigt würden; ihre Nachfolgerinnen hingegen stellten die starre Rollenverteilung selbst in Frage. Weitere Themen waren Lohngleichheit, körperliche Selbstbestimmung (auch in der Ehe), Geburtenkontrolle u. a. Feministische Aufmerksamkeit heute richtet sich vor allem auch auf die gerechte Verteilung der Lebensmöglichkeiten in der globalisierten Welt.

Geschlecht und Geschlechtsrolle

Die weibliche Rolle wird meist biologisch begründet. Sie erscheint als ganz und gar «natürlich». Von der Gebärfähigkeit wird geschlossen auf Fürsorglichkeit, Sanftheit, Emotionalität usw. Jedoch: «Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es», so das berühmte Diktum von Simone de Beauvoir.1 Die Ableitung der Geschlechtsrolle durch das biologische Geschlecht wird damit bezweifelt. Was ein «richtiger» Mann oder eine «richtige» Frau ist, was als normal gilt und was als Abweichung, hängt von Kultur und Erziehung ab. Auch historische und ethnologische Forschungen zeigen, dass die Geschlechtsrollen sehr unterschiedlich interpretiert werden, sei es im Hinblick auf das äussere Erscheinungsbild oder die Arbeitsteilung.

Der Gleichheitsfeminismus kritisiert den Biologismus starrer Rollenzuschreibungen und fordert gleiche Rechte für Mann und Frau auf der Grundlage des Menschseins, das allen gemeinsam ist. Der sogenannte Differenzfeminismus betont gerade Geschlechtsunterschiede zwischen Frauen und Männern. Der Vorwurf an den Gleichheitsfeminismus ist, er orientiere sich zu stark an der Lebenswelt und den Lebensmöglichkeiten von Männern, während die Verdienste und Eigenheiten der Frauen in diesem Denken nicht gewürdigt würden. Frauen besässen Eigenschaften wie Friedfertigkeit, Fürsorglichkeit und Emotionalität, auf welche die Gesellschaft nicht verzichten könne. Das politische Spektrum des Differenzfeminismus bewegt sich zwischen der Forderung eines Hausfrauenlohnes bis hin zur Umkehrung der hierarchischen Verhältnisse durch die Feminisierung der Gesellschaft. In diesen Zusammenhang gehört auch die Renaissance der Matriarchatstheorien des 19. Jahrhunderts.

De facto fungiert die Betonung von Geschlechtsdifferenzen als Begründung für den Ausschluss von Frauen aus prestigeträchtigen und einflussreichen gesellschaftlichen Bereichen.

Gender-Mainstreaming

In Institutionen, denen Gleichberechtigung ein Anliegen ist, spricht man heute meist nicht mehr von Frauenförderung, sondern von Gender-Mainstreaming. Dahinter verbirgt sich die Einsicht, dass die Gleichberechtigung von Frauen in der Arbeitswelt nur dann erreicht werden kann, wenn die Arbeitswelt sich auch für Männer ändert. Ein Aspekt etwa wie Familienfreundlichkeit und Teilzeitarbeit betrifft beide Geschlechter. Gender Mainstreaming ist ein «ganzheitliche[r] Ansatz mit dem Ziel, die Gleichstellungsaspekte auf allen Ebenen langfristig, nachhaltig und umfassend zu verankern».2 Das Gender-Mainstreaming stellt Methoden bereit, die zur Analyse, Zieldefinition, zur Entwicklung von Lösungsansätzen und zur Evaluation derjenigen Bereiche beitragen, bei denen Geschlechtergerechtigkeit eine Rolle spielt.

2. Genderforschung Wissenschaft von Frauen über Frauen

Wo kommen Frauen in der Geschichte, in der Tradition vor? Das Anliegen von Frauenforschung ist es, Frauen als Handelnde und Betroffene in Geschichtsschreibung und Gesellschaft sichtbar zu machen. Sie will die Lücken füllen, die eine androzentrische, also von Männern und aus männlicher Sicht ausgeübte Wissenschaft hinterlassen hat: die Geschichte der grossen Denker, Staatsführer, der grossen Schweizer. Gerade im religiösen Bereich sind Frauen sichtbarer geworden, Frauen in der Bibel, Mystikerinnen, Theologinnen, Reformerinnen usw. Ein zweites Anliegender Frauenforschung ist es, Frauen in der Wissenschaft als Forschende zu fördern.

Wie der Sexismus ist auch der Androzentrismus manchmal schwer greifbar, denn die androzentrische Haltung versteht sich selbst gern als «allgemein menschlich» oder «allgemein wissenschaftlich». Was sollte es schon für eine Rolle spielen, ob ein Mann oder eine Frau forscht? Diese «Geschlechtslosigkeit» wird Frauen oft nicht zuerkannt. Eine Frau als Wissenschaftlerin, Künstlerin, Managerin ist quasi in ihrem Geschlecht sichtbar. Sie wird gefragt, ob es eine weibliche Wissenschaft, Kunst usw. gebe.

Obwohl die Frauenforschung als zur androzentrischen Wissenschaft komplementäre längst nicht abgeschlossen ist, hat sich die Fragestellung weiterentwickelt. Nicht die einzelne Frau oder Frauen als Gruppe müssen bedacht werden, sondern ihre Handlungsoptionen im Rahmen des Geschlechterverhältnisses, das wiederum in soziale, politische und ökonomische Faktoren eingebunden ist. Man spricht jetzt von Genderforschung. Beispielsweise hat die Blüte von Frauenklöstern einerseits mit sozialen und religiösen Faktoren zu tun (Familien geben eine Tochter in ein Kloster), aber auch damit, dass es für ledige Frauen keine andere attraktive Lebensmöglichkeit gab. Im Rahmen dieser Frauengemeinschaften konnte oft eine erstaunliche Unabhängigkeit gelebt werden – wiederum abhängig vom Orden und vom sozialen Status der Schwester.

Die Fragen der Gender-Forschung

Die Gender-Forschung beschäftigt sich mit der Komplexität der Geschlechterverhältnisse. Sie fragt, wie sich die Vorstellungen von Frau und Mann innerhalb dieser Geschlechterverhältnisse verändert haben und wie sie mit anderen Kriterien zusammenhängen. Wie kommt es zur Geschlechtsrollenzuschreibung? Wie unterscheidet sich darin antike, mittelalterliche und moderne Gesellschaft?

Wie wird die Einhaltung der Normen gesichert? Welche Machtansprüche sind damit verbunden? Wie drückt sich das in symbolischen Strukturen aus? Gab es Abweichungen und um welchen Preis?3 Wie ist der Zusammenhang zwischen subjektiver Geschlechtsidentität und den äusseren Faktoren – herrschende normative Konzepte, Politik und soziale Institutionen und kulturelle Symbolwelt – zu beschreiben? Gender ist also zuallererst eine analytische Kategorie, die sich im Prinzip auf alle möglichen Fragen und Phänomene bezieht. Wegen ihrer Vielperspektivität ist sie prinzipiell interdisziplinär.

Dualismus: Die symbolische Komponente von Geschlecht

Zweigeschlechtlichkeit ist nicht nur ein anthropologisches Ordnungssystem, sondern sie gibt auch das Modell für andere Dualismen ab: Materie/Körper vs. Geist, Immanenz vs. Transzendenz, Passivität vs. Aktivität, schwarz vs. weiss, links vs. rechts, schwach vs. stark. Dualistisches Denken beruht auf unvereinbaren Gegensätzen und strikten Abgrenzungen, bei der die eine Seite höher gewertet wird als die andere. So wird bei Kriegshandlungen oft die unterlegene Partei mit weiblichen Attributen bezeichnet, das Gleiche gilt z. B. auch für kolonialisierte Völker.4 Das Christentum hat das dualistische Denken als Erbe des apokalyptischen Judentums und des Neuplatonismus übernommen. Das Weibliche wird dem Niederen, Weltlichen und Materiellen zugeordnet, während (herrschende) Männer für sich Geistigkeit und Autonomie beanspruchen.5 Die Überwindung dieses Dualismus ist grundlegende Voraussetzung für die Überwindung von Frauenfeindlichkeit.

Die Durchschlagskraft des dualistischen Denkens beruht vielleicht darauf, dass es uns Menschen klare Orientierungen anbietet. Irritierend ist es für uns, wenn wir unser Gegenüber nicht Kategorien wie Mann/Frau, Ausländer/Einheimischer, Dazugehörend/Aussenseiter u. ä. zuordnen können. Das dualistische Ordnungsschema ist schwierig für diejenigen, die ihm nicht entsprechen, weil ihre Geschlechtsidentität oder ihre Herkunft nicht mit einfachen Kategorien zu beschreiben sind.

Naturwissenschaft und Geschlechtsdimorphismus

Was sagt die Naturwissenschaft zu den «natürlichen » Geschlechtsunterschieden? Es gibt keinen eindeutigen Sexualdimorphismus, d. h. einen über viele verschiedene Kategorien konsistenten Geschlechtsunterschied. 6 Das liegt daran, dass Geschlecht nicht durch einen einzigen, sondern durch eine Reihe von Faktoren biologisch bestimmt wird: chromosomal, gonadal (Keimdrüsen), morphologisch (Körperbau), hormonell, verhaltensbiologisch (reproduktives Verhalten) und gehirnanatomisch. Diese Elemente sind unterschiedlich ausgeprägt; aus ihrer Kombination ergibt sich ein breites Spektrum. Kein einzelnes Chromosom und kein einzelnes Hormon bringt automatisch eine Frau bzw. einen Mann hervor. Selbst die äusseren und inneren Geschlechtsorgane lassen keinen Rückschluss auf ihre Funktion im Hinblick auf die Fortpflanzung zu. So ist auch Infertilität nicht die Ausnahme von der Regel Fertilität, sondern eine Erscheinungsform, die sich aus der Kombination der oben genannten Faktoren ergibt. Sieht man sich die Experimente genauer an, so stellt man fest, dass Ergebnisse, die einem eindeutigen Geschlechtsdimorphismus widersprechen, als abnormale Ausnahmen dargestellt werden. Diese Ausnahmen mögen wenige sein – immerhin sprechen vorsichtige Schätzungen von 1,5 Prozent der Menschen, bei denen die oben genannten Elemente sich gesamthaft nicht «weiblich» oder «männlich» zuordnen lassen.7

Analysiert man die empirische Forschung über Geschlechtsunterschiede – auch die Hirnforschung! – zeigt sich, dass meist der Variantenreichtum innerhalb eines Geschlechts grösser ist als zwischen zwei Geschlechtern. Unsere gewöhnliche Wahrnehmung von Geschlecht ist eindeutiger als das, was uns die Biologie präsentiert. Einen statischen Naturbegriff gibt es aber nicht, gerade nicht in der Naturwissenschaft.

Natürlich – Unnatürlich?

Die Diskussion um Natur und Kultur flammt immer wieder auf, besonders bei den Themen Geschlecht und Erziehung. Die Schwierigkeit ist, dass alles Vertraute und Gewohnte uns als natürlich erscheint, sei das die Landschaft, die uns umgibt, oder die Art, wie wir Menschen einschätzen. Jedoch: Der Mensch hat Natur immer gezähmt, für sich zu nutzen versucht. Ungezähmte Natur ist menschenfeindlich. Und stellen wir uns einen naturbelassenen Menschen vor: ohne Medizin, ohne Pflege des Äusseren. Natur und Kultur sind nicht voneinander zu trennen – es gibt sie nicht in Reinform.

Das Natürliche hat eine starke normative Kraft; es ist ein durchschlagendes Argument. Die Naturwissenschaft selbst aber zeigt, dass das Natürliche veränderlicher, vielfältiger und uneindeutiger ist, als das Alltagsverständnis uns das nahelegt. Demgegenüber erweisen das sich das Kulturelle, die geltenden Normen und Vorstellungen oft als hartnäckiger gegenüber Veränderungen, als manche sich das wünschen.

Menschen sind nicht unabhängig von ihren biologischen Gegebenheiten, aber sie können sie beeinflussen. Dass die Lebenserwartung in verschiedenen Ländern so unterschiedlich ist, hat nicht biologische, sondern soziale und ökologische Gründe. Die Art und Weise, wie mit dem Körper umgegangen wird, ist kulturell geprägt und individueller Entscheidung überlassen (Ernährung, Bewegung). Neueste Forschungen zeigen, dass sich durch die Lebensweise die genetische Struktur verändert. Eine «natürliche» Lebensweise, die nebenbei gesagt, eine unfreie wäre, gibt es nicht. Menschliches Leben ist Gegenstand einer Wahl, die von Werten, Überzeugungen und Entscheidungen abhängt.

3. Überschreitung von Geschlechtsrollen durch Vergeistigung

In allen Kulturen gibt es Beispiele dafür, wie man die «natürlichen» Begrenzungen des Geschlechts überwinden könnte, meist durch Vergeistigung und Askese. Das gilt auch für das Christentum. Nachdem asketische Tendenzen im Christentum zunächst bekämpft wurden, trat sie bald ihren Siegeszug an, Mönch und Jungfrau galten als Idealgestalten.8 Christen hatten sich sogar mit dem Vorwurf auseinanderzusetzen, die Propagierung der Jungfräulichkeit untergrabe die gottgegebene Ehe.9 Für Frauen war die asketische Lebensweise eine Chance. Sie lebten asketisch, z. B. bei den sog. Therapeuten oder in Gemeinschaften in der Wüste und galten damit als Männern gleichrangig.10 Die Kleidung der Wüstenmenschen war geschlechtsunspezifisch, die Haare geschoren. Dieses Beispiel zeigt aber auch, wie Frauen- und Leibfeindlichkeit und Homophobie Hand in Hand gingen. So finden sich in den Zeugnissen von Asketinnen und Asketen in der Wüste ekelerregende Beschreibungen vom weiblichen Körper und Anleitungen, wie (männliche) Homosexualität vermieden werden sollte.11 Insgesamt diente eine rigide körperliche Askese als Trennmittel zwischen «Wüste» und «Welt».12

Daneben gab es im Christentum geschiedene oder alleinstehende Frauen, die als Witwen bezeichnet wurden. Dieser Stand war attraktiv für Frauen, die «in einem sozial anerkannten Status und in ökonomisch klar geregelten Verhältnissen eine andere Funktion als die der Gattin und Mutter» einnehmen wollten, gerade in der christlichen Gemeinde.13 Diese Witwen wurden für liturgische Dienste eingesetzt. 14 Anders als bei den oben Genannten bedeutete der Verzicht auf Sexualität nicht Abwendung von der Welt, sondern im Gegenteil die Möglichkeit eines aktiven Lebens in der Welt.

Das asketische Ideal ist Frauen jedoch zweischneidig. Der Preis ist eine massive Leibfeindlichkeit, speziell gegenüber dem weiblichen Körper. Jungfräulichkeit und Askese werden im religiösen Umfeld zwar als positiv angesehen und eröffnen alternative Lebensmöglichkeiten, im gesellschaftlichen werden sie vor allem nach dem Heiratsalter als «alte Jungfern» verachtet.15

4. Rezeption des Genderbegriffs in kirchlichen Dokumenten

Innerhalb der katholischen Dokumente findet sich der Gebrauch des Begriffs Gender im Umfeld der 4. UNFrauenkonferenz in Beijing 1995.16 Kritik äusserten im Rahmen der Hearings US-amerikanische rechte Kreise, die vor den «Gender-Feministinnen» warnten, «die glauben, dass alles, was wir für natürlich halten, inklusive Mannsein und Frausein, Weiblichkeit und Männlichkeit, Mutterschaft und Vaterschaft, Heterosexualität, Ehe und Familie, lediglich kulturell geschaffene ‹Festlegungen› seien, erfunden von Männern in der Absicht, die Frauen zu unterdrücken»,17 eine Deutung, die von ultrakonservativer katholischer Seite übernommen wurde. Dieses Verständnis geht auf eine Publikation der amerikanischen antifeministischen Autorin Hoff Sommers zurück. Die dort vorgebrachten Argumente sind teilweise abstrus. Die katholische Seite lässt jedoch im Hinblick auf Gender unterschiedliche Positionen erkennen. Der Vertreter des Vatikans betont – im Rahmen der Konferenz – Gender sei zu verstehen als das, was «in der biologischen sexuellenIdentität, männlich oder weiblich, begründet» ist. Der Papst äussert sich zugunsten einer «gewissen Rollenvielfalt [… sofern sie Ausdruck dessen ist], was dem Mann- und Frausein spezifisch ist.»18 Die Kommission Justitia et Pax wiederum übernimmt die Definition der UNO-Dokumente, die vor allem auf globale Geschlechtergerechtigkeit, d. h. gerechten Zugang zu allen Lebensbereichen jenseits von Geschlechtsrollenzuschreibungen, zielt.19 Im Umfeld der Diskussionen um die UN-Frauenkonferenz wurde immer wieder dieser «gewöhnlich anerkannten Gebrauch von Gender» eingefordert, als politischer Begriff, der keine Aussage über das Wesen der Geschlechter machen will. Vielmehr steht er «für den Glauben an die Möglichkeit einer drastischen Verbesserung des Status von Frauen und an die Erreichbarkeit eines gewissen Masses an Gleichheit zwischen den Geschlechtern. Auf eine diskrete Art und Weise werden so Aspekte der egalitärfeministischen Agenda bekräftigt».20

5. Fazit

Man könnte argumentieren, durch Gal 3,28 hätten sich sämtliche Genderdiskussionen erledigt. Dort wird die Vorläufigkeit und Behelfsmässigkeit menschlicher Ordnungskriterien wie Geschlecht, Stand und Herkunft prägnant auf den Punkt gebracht. Tatsache ist, dass das Christentum – wie auch die allgemeine Kultur- und Geistesgeschichte – eine lange Tradition der Abwertung von Frauen kennt. Die Auffassung vom natürliches «Status subiectionis» der Frau wurde sogar von den Reformatoren übernommen.21

Was von rechtskonservativer Seite immer wieder geäussert wird, ist eine eklektische Mixtur von Neuplatonismus, Differenzfeminismus, biblischem Fundamentalismus und Familienromantik des 19. Jahrhunderts. Diese Mixtur ist geleitet von Homophobie, der Angst vor der Zurkenntnisnahme gesellschaftlicher Realitäten und der Angst vor Frauen, die sich nicht friedfertig ins Unvermeidliche fügen, sondern sich erdreisten, für ihre und die Rechte anderer zu kämpfen.

Von offiziellen kirchlichen Äusserungen und Dokumenten sollte man erwarten, dass sie sich auf der Höhe der wissenschaftlichen Diskussion bewegen, wenn Begriffe wie «Gender» oder «Natur» gebraucht werden.22

Aus politischer und ethischer Sicht muss Kirche zeigen, für welche Personen sie gewillt ist sich einzusetzen, welche Ungerechtigkeiten sie bekämpfen möchte. Bei allen Freiheitsrechten westlicher Frauen: Globale Ungerechtigkeit hat nach wie vor ein weibliches Gesicht. In diesem Sinne ist leider für ein Mädchen, das z. B. in Indien geboren wird, immer noch Anatomie Schicksal. Ihre Lebensmöglichkeiten sind radikal eingeschränkt. Wie die Gendertheorie betont, sind aber Benachteiligungen nie monokausal zu erklären, sondern auf eine Kombination verschiedener Umstände zurückzuführen. Kirchlicher Einsatz für Arme und Unterdrückte müsste nicht nur einen diakonischen, sondern auch einen analytischen Charakter haben. Selbstkritisch und im Sinne des Gender- Mainstreaming muss Kirche sich fragen, wie es mit der Geschlechtergerechtigkeit in der eigenen Institution bestellt ist. Das gilt für Ämter und Verantwortlichkeiten, aber auch für die symbolische Repräsentation von Kirche in der Öffentlichkeit, die weitgehend von geweihten Männern wahrgenommen wird.


Christliche Gender-Forschung

Die Forderung von Reinhard Kardinal Marx nach mehr christlicher Gender-Forschung belegt, dass die Geschlechterfrage auch in der Kirche thematisiert werden muss. Wie soll das aber geschehen? Die von Bischof Vitus Huonder gewählte Art gibt zu breiten Diskussionen Anlass, die sich auch in der SKZ-Redaktion niederschlagen. Der Artikel von Prof. Monika Jakobs bietet dazu hilfreiche Begriffsklärungen, gefolgt von zwei Wortmeldungen. Die SKZ kann so das sein, was ihr vom Redaktionsstatut aufgetragen ist: eine innerkirchliche Informations- und Diskussionsplattform. (ufw)

1 Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Reinbek 1951, 265.

2 Faltblatt (2007) des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann unter: http://www.ebg.admin.ch/dokumentation/00012/00199/index.html?lang=de (abgerufen am 1. Februar 2014).3 Vgl. Joan W. Scott: Die Zukunft von Gender. Phantasien zur Jahrtausendwende, in: Claudia Honegger u. a. (Hrsg.): Gender. Die Tücken einer Kategorie. Zürich 2001, 53.

4 Vgl. Stephanie Feder: Neue Perspektiven von Frauen. Exegesen afrikanischer Bibelwissenschaftlerinnen aus westlicher Sicht, in: Bibel und Kirche 6 (2012), Heft 3, 155.

5 Ausführlicher dazu: Monika Jakobs: Frauen auf der Suche nach dem Göttlichen. Münster 1993, 43– 49.

6 Margarethe Maurer: Sexualdimorphismus, Geschlechtskonstruktion und Hirnforschung, in: Ursula Pasero u. a. (Hrsg.): Wie natürlich ist Geschlecht? Gender und die Konstruktion von Natur und Technik. Wiesbaden 2002, 69.

7 Vgl. ebd.

8 Anne Jensen: Frauen im frühen Christentum. Berlin u. a. 2002, X XIV.

9 Peter Brown: The Body and Society. Men, Women and Sexual Renunciation in Early Christianity. New York 1988, 260.

10 Anne Jensen: Gottes selbstbewusste Töchter. Frauenemanzipation im frühen Christentum? Freiburg u. a. 1992, 69

11 Brown, The Body (wie Anm. 9), 242.

12 Ebd., 244.

13 Anne Jensen: Gottes selbstbewusste Töchter. Frauenemanzipation im frühen Christentum? Freiburg u. a. 1992, 81.

14 Ebd., 77.

15 Anne Conrad: Virginität, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.): Enzyklopädie der Neuzeit, Band 14. Stuttgart-Weimar 2012, 338.

16 Rebeka Jadranka Anic: Gender, Politik und die katholische Kirche. Ein Beitrag zum Abbau der alten Geschlechterstereotypen, in: Concilium 48 (2012), 373–382.

17 Scott, Die Zukunft von Gender (wie Anm. 3), 56.

18 Ebd., 57. Das Originalzitat ist abrufbar unter: gopher:// gopher.undp.org:70/00/ unconfs/women/off/a-20. en (Section II Statement of interpretation of the term «gender»).

19 Anic, Gender (wie Anm. 16), 373.

20 Scott, Die Zukunft von Gender (wie Anm. 3), 58.

21 Jensen, Frauen im frühen Christentum (wie Anm. 8), XIII.

22 Für einen Überblick siehe: Gisela Matthiae: Von der Emanzipation über die Dekonstruktion zur Restauration und zurück. Genderdiskurse und Genderverhältnisse, in: Annebelle Pithan u. a. (Hrsg.): Gender Religion Bildung. Gütersloh 2009, 30 – 46.

Monika Jakobs

Monika Jakobs

Prof. Dr. Monika Jakobs leitet als Professorin für Religionspädagogik/Katechetik das Religionspädagogische Institut (RPI) der Universität Luzern.