Ein Aschenkreuz als sakramentales Zeichen?!

Der rituelle Gestus, dem der Aschermittwoch seinen Namen verdankt, ist mit den vorgesehenen liturgischen Lesungen seltsam schwach verbunden. Er vollzieht etwas, was im Kontrast zum Evangelium des Tages steht. Dieses mündet in der Aufforderung Jesu, sich das Fasten nicht anmerken zu lassen, sondern das Äussere sorgsam zu pflegen: das Haar zu salben und das Gesicht zu waschen (Mt 6,17). Das genaue Gegenteil geschieht im Aschenritus: Haar oder Stirn werden mit einem Aschenkreuz gezeichnet, so dass jeder sehen kann, wie es um einen steht. Merkwürdig ist nicht allein die Spannung, die durch die Wahl dieses Evangeliums aufgebaut wird, sondern ebenso, dass weder die Lesungen noch die Gebete einen deutenden Bezug zum alttestamentlich breit bezeugten Aschenritus herstellen (2 Sam 13,19, Hiob 2,12; Est 4,1.3; Ez 27,30; 1 Makk 3,47 usw.).

Das Zeichen spricht ja für sich, könnte man sagen. Doch wovon genau spricht es? In der liturgischen Einleitung zur Segnung der Asche ist von einem «Zeichen der Busse» die Rede. Doch ist das im Horizont des Tagesevangeliums eher eine Problemanzeige als eine Antwort. Zwar ist historisch betrachtet unstrittig, dass das Aschenzeichen in die äusserst komplexe Geschichte christlicher Busspraxis einging. Abgelöst vom ursprünglichen Ritualgefüge ist es ein Relikt einer Bussliturgie, die bereits seit tausend Jahren ausser Gebrauch ist. Das Aschenkreuz ist eines der verloren gegangenen sinnlichen Zeichen des Busssakraments. Doch war auch das eine späte Station einer weit zurückreichenden Geschichte. Lange bevor das Aschenzeichen ins christliche Ritualgefüge einging, hatte es im Kontext antiker Religiosität eine vielschichtige Bedeutsamkeit. Sich mit Asche zu bestreuen war ein Trauergestus, der nicht nur in Israel, sondern im ganzen Mittelmeergebiet verbreitet war. Wer sich mit Asche beschmutzt, drückt damit aus, wie es ihm oder ihr geht: dreckig.

Wie alle symbolischen Handlungen war dieser Gestus schon im antiken Kontext mehrsinnig: Zum einen bedeutete die Selbststigmatisierung mit Asche eine Angleichung an den betrauerten Toten, eine Form solidarischer Kommunion im Tod. Zum anderen konnte (und kann!) Asche auch als Reinigungsmittel gebraucht werden und deshalb auch Reinigung symbolisieren (Num 19,17 ff.). Die gesegnete Asche gesegneter Palmzweige wurde nach Ausweis liturgischer Gebete im Mittelalter mitunter in diesem Sinne gespendet und empfangen: als Sakrament der Sündenvergebung.

Nicht nur die Deutung, sondern auch der Ritus selbst veränderte sich im Laufe der Zeit. In alttestamentlicher und altkirchlicher Zeit wurde er als Selbstbeäscherung vollzogen. So forderte Tertullian, Ehebrecher sollten sich im Bussgewand und mit Asche bestreut mitten in der Kirche vor den Amtsträgern niederwerfen. Diese rituelle Selbstbeschmutzung mit ungeweihter Asche transformierte sich später in das uns vertraute Ritual, das in manchem an den Tauf- und Firmgestus erinnert. In einer Verschmelzung von Buss- und Katechumenatsriten entwickelte sich in karolingischer Zeit der Brauch, Büsser mit einem Kreuz aus gesegneter Asche zu bezeichnen. Spätestens im 10. Jahrhundert kommt das bis heute gebrauchte Memento aus Gen 3,19 auf. Wird an dieser Stelle der Genesis Adam an die Erde (hebr. adamah) erinnert, an seine Zugehörigkeit zu allem Irdisch-Begrenzten, so gilt diese Erinnerung nun denjenigen, die sich im Stand der Busse bis zur Wiederaufnahme im Osternachtsgottesdienst zu bewähren hatten. Wenn die mit dem Aschenkreuz bezeichneten Büsser im Anschluss an das Ritual die Kirche zu verlassen hatten, so bedeutete dies eine liturgisch-dramatische Reinszenierung der Vertreibung aus dem Paradies und möglicherweise auch der göttlichen Signierung Kains.

Aufgrund des Verschwindens der öffentlichen Busse kam es im 11. Jahrhundert zu einer weiteren und tiefgreifenden Veränderung des Aschenritus, die 1091 auf dem Konzil von Benevent offiziell bekräftigt wurde. Das Konzil setzte fest, dass alle Kleriker und Laien, Männer wie Frauen, das Aschenkreuz empfangen sollen. Auf der Symbolebene wurde damit ein Schritt vollzogen, den Jahrhunderte später Luther theologisch weiterdachte und radikalisierte: Christsein bedeutet, in statu conversionis zu l eben. Das Aschenkreuz erinnert die Getauften daran, dass der Adam, die Eva in ihnen nicht im Bad der Taufe ertrunken ist, sondern ebenso fröhlich wie traurig in ihnen fortlebt.

An der Frage nach dem Sündersein der Christen und den sich daraus ergebenden Konsequenzen spaltet sich die Kirche – noch heute, wie die Frage nach der Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion zeigt. Im Vorfeld der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999 gehörte dieser Punkt zu den bis am Schluss hart umkämpften Streitfragen. Man fand sich schliesslich in der gemeinsamen Überzeugung, dass alle Getauften immer wieder zur Umkehr gerufen sind. Dem neu gefundenen Konsens in der Verkündigung Geltung zu verschaffen, gehörte zu den Selbstverpflichtungen dieser ökumenischen Übereinkunft. Die Liturgie des Aschermittwochs bietet dafür gute Anknüpfungspunkte. Die Art und Weise, in der Getaufte hier als «Adam» oder «Eva» angesprochen werden, ist deutlich und diskret zugleich: «Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst.» Adam/Eva sein, heisst irdisch und sterblich sein. Unsere Tage sind gezählt, die Sanduhr rinnt, die Haut altert, das Herz ebenso. Und alle adamitischen Verwicklungen, die dieses Memento zwar nicht nennt, doch anklingen lässt, haben mit dieser radikalen, nur schwer zu akzeptierenden Begrenzung zu tun.

Um unsere Adam/Eva-Natur ungeschönt wahrnehmen, um in ein Ja trotz allem finden zu können, braucht es den Raum des Vertrauens, den der rituelle, im weiten Sinne sakramental zu nennende Vollzug schafft. Das Aschenkreuz vergegenwärtigt das Kreuzzeichen des Taufrituals. Es steht für das Taufkreuz, das mich unter den göttlichen Schutz stellt. Wir sind Adam/Eva – doch nicht alleine. Andere sind und realisieren es auch. Unser Stigma nicht verbergen zu müssen, sondern öffentlich tragen zu dürfen, wirkt entlastend und solidarisierend. Der Impuls zur Umkehr, den die alternative liturgische Formel in Aufnahme von Mk 1,15 ins Wort bringt, erwächst dieser befreienden Einsicht. Umkehr wird so zu etwas überaus Verheissungsvollem, was mit der Rede von der «Busse» nicht zu fassen ist: uns der Gegenwart und der Stimme Christi zuzuwenden. Nach einer eleganten Formulierung von Melanie Wolfers bedeutet Umkehr nicht: «Ich soll ein anderer oder eine andere werden, sondern: Ich dreh mich um und entdecke, dass Gott hinter mir steht.» Dass, wer diese Entdeckung gemacht hat, auch anders zu leben beginnt, entspricht einer inneren Logik.

Im ökumenischen Horizont der Gegenwart mag an dieser Stelle erneut die Frage auftauchen, in welchem Verhältnis die so verstandene Umkehr denn zur Taufe und zum Sakrament der Versöhnung stehe. Einen wenig beachteten Ansatz zu einer Antwort findet sich in der Enzyklika, die Johannes Paul II. 1980 unter dem Titel Dives in misericordia veröffentlichte: «Die wahre Kenntnis Gottes in seinem Erbarmen und seiner wohlwollenden Liebe ist eine ununterbrochene und nie versiegende Quelle der Bekehrung, die nicht als nur vorübergehender innerer Akt zu verstehen ist, sondern als ständige Haltung, als Zustand der Seele. Denn wer Gott auf diese Weise kennenlernt, ihn so ‹sieht›, kann nicht anders, als in fortwährender Bekehrung zu ihm zu leben. Er lebt also in statu conversionis, i m Zustand d er B ekehrung» ( Nr. 1 3). Was das Zeichen des Aschenkreuzes vergegenwärtigt, ist genau dies: die «Quelle der Bekehrung»: Gottes Zuwendung zu uns, die uns in einen lebenslangen Prozess der Umkehr hineinnimmt.


Literatur: Simon Peng-Keller: Alte Passionen im neuen Leben. Postbaptismale Konkupiszenz als ökumenisches Problem. Freiburg i. Br. 2011; Sylvia A. Sweeney: An Ecofeminist Perspektive on Ash Wednesday and Lent. New York 2010; Melanie Wolfers: Die Kraft des Vergebens. Freiburg i. Br. 2013.

Peng Simon

Simon Peng-Keller

PD Dr. Simon Peng-Keller ist Dozent für Theologie des geistlichen Lebens an der Theologischen Hochschule Chur und mit zwei SNF-Forschungsprojekten beauftragt.