Gemeinsam einsam?

Thomas Mann erlangte als Schriftsteller Berühmtheit. Stets treu an seiner Seite: Katia Mann-Pringsheim. Der nachfolgende Artikel gibt Einblicke in eine geprüfte Familie.*

Wenn in einer Familie der Anteil an gleich drei Besonderheiten überdurchschnittlich ist – Künstler bzw. Literaten (Heinrich, Thomas, Klaus, Golo), Suizide (zwei Schwestern von Thomas, Klaus, Michael, vielleicht auch Vater Heinrich?), gleichgeschlechtlich Fühlende (Thomas, Erika, Klaus, Golo) dann verdient sie besondere Aufmerksamkeit. Diese wurde ihr in den vergangenen Jahrzehnten allerdings auch zuteil, so sei auch auf Heinrich Breloers dreiteiligen Fernsehfilm «Die Manns – ein Jahrhundertroman» (2001) verwiesen.

Mann als Mittelpunkt

Thomas Mann war in diesem Clan der Karrierist und Opportunist, der seinem Renommee alles unterordnete, alle Details der Familiengeschichte, auch die pikanten (vgl. «Buddenbrooks»), schrecklicherweise auch die eigene Gefühlslage wie auch die seiner engsten Familienangehörigen. Im «Netz des Zauberers» gefangen, zwangen ihn seine Kinder, die anders als er zu ihrer gleichgeschlechtlichen Veranlagung standen, schliesslich doch, trotz allem Opportunismus, mit dem NS-Regime zu brechen.

Bis zur Selbstaufgabe

«Die grosse Lebensangelegenheit» – so bezeichnete er seine Frau, die aus jüdischem Hause stammende, hochintelligente Katia Pringsheim, deren Namen er sein Leben lang konsequent falsch, nämlich als «Katja», schrieb, die er sich quasi als verzierende Trophäe seines gewollten und gesuchten Erfolgslebens förmlich akquirierte. Katia sah das ganz anders. Sie hielt in hohem Alter in ihren «ungeschriebenen Memoiren» fest: «Ich habe in meinem Leben nie tun können, was ich hätte tun wollen» (Krüll 174/243, sie bezeichnet sich dort auch als «Zubehör» ihres Mannes). Das tat sie allerdings nicht, vielmehr hatte sie mit ihrem Mann, der sexuell irgendwo zwischen Homosexualität und Päderastie schwankte, nicht nur sechs Kinder, sondern schützte und stützte sein Leben im doppelten Sinn: Sie organisierte ihm an jedem neuen Wohnort im Verlauf ihrer Odyssee den perfekten und geschützten Arbeitsplatz und übernahm zusammen mit Kindermädchen die ganze Last der Erziehung. Sie ertrug seine Schilderungen, in welchen Jungen er sich gerade wieder verliebt hatte (vgl. etwa Wladyslaw Moes 1911 in Venedig – die Inspiration für die Figur des Tadzio in «Tod in Venedig» – oder kurzerhand in der eigenen Villa ein Ferienbesuch eines 17-Jährigen, Krüll 323–325), ja gar in das eigene Kind. Mann schreibt 1920 über Klaus: «Finde es sehr natürlich, dass ich mich in meinen Sohn verliebe» (Krüll 293–294).

Makabrer Höhepunkt dieses Schutzes ist wohl die Tatsache, dass Katia nach seinem Tod wahrscheinlich ganz bewusst einen Teil seiner Tagebücher verschwinden liess. Wenn man die Tatsache bedenkt, dass der jüngste Sohn Michael 1977 nach der Lektüre der nicht vernichteten Tagebücher Suizid beging, offenbart sich erst die ganze Tragödie, die aus der weitherum geachteten «Gattin und Mutter» auch eine Mittäterin macht.

Klare Verhältnisse unerwünscht

«Gemeinsam einsam»: Dieses schreckliche Wortspiel hat während Generationen der Unterdrückung und Diskriminierung von gleichgeschlechtlich fühlenden Menschen viele Ehen und Fa- milien belastet. Es sei etwa auf Annie Proulx' 1997 veröffentlichte Kurzgeschichte «Brokeback Mountain» verwiesen, von Ang Lee 2005 meisterhaft verfilmt, in der beide Protagonisten Pseudo-Ehen eingehen, die krachend scheitern. Thomas und Katia Mann-Pringsheim aber waren keine Menschen aus der Unterschicht, sie waren vom Leben Gesegnete. Sie hätten es in der Hand gehabt, für klare Verhältnisse zu sorgen, zumindest bis 1933 das Grauen über ihr Land hereinbrach. Doch auch sie gingen den Weg der Verdrängung, lebten miteinander beziehungsweise nebeneinander her und warfen Schatten, die das Leben der Nachfahren für Generationen belasten. Golo Mann, der als Belasteter das Bestmögliche aus seinem Leben machte, erinnert sich (1986, zitiert bei Krüll 435): «Ein haderndes Gespräch zwischen den Eltern. Sah ich ein solches herankommen, so wand ich mich in stummer Pein. Als Erwachsener versuchte ich zu vermitteln: Beide hatten recht, jeder auf seine Art.»

Heinz Angehrn

 

* Der Autor ist sich der Tatsache bewusst, dass er kein Literaturwissenschaftler ist. Er beschränkt sich auf das Phänomen dieser sehr besonderen Ehe und stützt sich auf folgende zwei Familienchroniken: Marianne Krüll, Im Netz der Zauberer: Eine andere Geschichte der Familie Mann (erstmals Zürich 1991) und Tilmann Lahme, Die Manns (Frankfurt 2015).


Heinz Angehrn

Heinz Angehrn (Jg. 1955) war Pfarrer des Bistums St. Gallen und lebt seit 2018 im aktiven kirchlichen Dienst als Pensionierter im Bleniotal TI. Er ist Präsident der Redaktionskommission der Schweizerischen Kirchenzeitung und nennt als Hobbys Musik, Geschichte und Literatur.