Beauftragte und geweihte Ämter nach Vatikanum II
3. Der gemeinsame kirchliche Dienst
Die kirchliche Sendung36 (missio canonica) des Bischofs, ob sie an Taufe und Firmung oder am Weihesakrament anknüpft, verweist auf das einheitsstiftende Amt des Bischofs. Er ist «sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit» (LG 23a). Da «das Bischofsamt sakramental verankert ist (vgl. LG 21,2; c. 375 CIC), sind alle rechtlichen Strukturen in der Kirche nicht nur vom [sakramentalen] Ausgangspunkt (Taufe/Firmung bzw. Weihesakrament), sondern auch von der einheitsstiftenden Funktion des Bischofsamtes her sakramental umgriffen».37 Die fundamentale Gleichheit aller Gläubigen und ihre Teilhabe an der Sendung der Kirche werden rechtlich geschützt. Es wird von den Klerikern verlangt, dass sie die Sendung der Laien in Kirche und Welt respektieren und unterstützen (c. 275 § 2).38 Sie sollen «vertrauensvoll den Laien Ämter zum Dienst in der Kirche anvertrauen, ihnen Freiheit und Raum zum Handeln lassen, ja sie sogar in kluger Weise dazu ermuntern, auch von sich aus Aufgaben in Angriff zu nehmen»39, so das Konzilsdekret «Presbyterorum ordinis». Laien können ausser der Berufung, die schlechthin alle Christgläubigen angeht, neu «darüber hinaus in verschiedener Weise zu unmittelbarer Mitarbeit mit dem Apostolat der Hierarchie berufen werden». Sie haben «die Befähigung dazu, von der Hierarchie zu gewissen kirchlichen Ämtern herangezogen zu werden, die geistlichen Zielen dienen»40, so die Kirchenkonstitution «Lumen gentium». Dieser Konzilsauftrag wurde in der nachkonziliaren Rechtsentwicklung universalkirchlich und partikularkirchlich aufgegriffen. Papst Johannes Paul II. fasst im apostolischen Schreiben «Novo Millennio ineunte» diese Entwicklung wie folgt zusammen: «Neben dem geweihten Amt können zum Wohl der ganzen Gemeinschaft noch andere Dienste blühen, die durch Einsetzung oder einfach durch Anerkennung übertragen werden. Diese Dienste unterstützen die Gemeinschaft in ihren vielfältigen Bedürfnissen.»41 Der pastorale Dienst wird dadurch begründet, dass zu den Sakramenten Taufe und Firmung noch die kirchliche Sendung hinzukommt. Beim kirchlichen Dienst muss unterschieden werden zwischen dem vom Bischof beauftragten Dienst und dem vom Bischof geweihten Dienst. Auch der geweihte Dienst wird aufgrund des empfangenen Weihesakramentes und einer besonderen kirchlichen Sendung ausgeübt.
3.1. Der vom Bischof beauftragte Dienst
Auf den Vorgaben42 des Zweiten Vatikanischen Konzils43 und der entsprechenden nachkonziliaren Gesetzgebung44 bilden sich seit über 40 Jahren unterschiedliche ortskirchliche Formen der vom Bischof beauftragten Dienste in verschiedenen Teilen der Welt heraus. Kirchenrechtlich gesehen entstehen neue partikularkirchliche Ämter.45 Der vom Bischof beauftragte Dienst knüpft an der in Taufe und Firmung grundgelegten aktiven Teilhabe an der allgemeinen Sendung der Kirche an (LG 33b). Er unterliegt einer gesonderten Ordnung durch das apostolische Amt der Kirche (LG 33c, cc. 228–231). Wer zum beauftragten Dienst bzw. in ein Amt der Kirche berufen wird, handelt stets im Namen der Kirche. Aus diesem Grund bedarf es zur Ausübung des beauftragten Dienstes «über Taufe und Firmung hinaus einer kirchenamtlichen Sendung, die in den verschiedensten Formen bestehen kann, wie beispielsweise in Beauftragung, Zulassung, Einsetzung, Bestätigung, ‹Nihil obstat›».46 Aufgrund einer besonderen bischöflichen Beauftragung können Laien auch kirchliche Ämter, gemäss obiger Sprachregelung «beauftragte Dienste», übertragen werden, die einem geistlichen Ziel dienen oder die mit Seelsorge verbunden sind (LG 33c; cc. 145, 228). Die Lehre vom gemeinsamen Priestertum hat zum Subjektsein aller Kirchenglieder geführt, so dass es «keinen Sachbereich im Vollzug der kirchlichen Sendung gibt, der den Laien verschlossen wäre».47 Gemäss c. 265 (c. 357 CCEO) muss jeder geweihte Gläubige in einer Ortskirche, einer Personalprälatur, einem Institut des geweihten Lebens oder einer Gesellschaft des apostolischen Lebens inkardiniert sein. Das Inkardinationsverhältnis als dienstrechtlicher Grundstatus mit spezifischen Pflichten und Rechten zwischen Inkardinationsträger und geweihtem Gläubigen wird durch die jeweilige kirchenamtliche Funktion konkretisiert. Demgegenüber ist der beauftragte Gläubige «im universalen kirchlichen Recht kaum determiniert, es wird im Ergebnis weitgehend dem staatlichen Recht überlassen».48 Nur vereinzelte Bestimmungen weisen eine spezifisch arbeitsrechtliche Dimension auf (c. 231). In Deutschland wird deshalb neben der kirchenamtlichen Sendung ein privatrechtlicher Dienstvertrag abgeschlossen. «So führt die Beauftragung mit einem Amt zu einer komplexen Struktur hoheitlicher Über- und Unterordnung, ergänzt durch eine Gleichordnung durch das privatrechtliche Arbeitsverhältnis.»49 Bedeutsam für das kirchliche Arbeitsrecht ist die arbeitsrechtliche Seite kirchlich verbürgter Grundrechte. Aus der Gleichheitsnorm aller Gläubigen (c. 208 CIC und c. 11 CCEO) resultiert im rechtlichen Kontext ein Willkürverbot. «Danach sind sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierungen, Ungleichbehandlungen, die nicht Unterschieden im Tatsächlichen Rechnung tragen, unzulässig.»50 Das Vorliegen eines entsprechenden Dienstvertrages ist ein Akzidens, «der die theologische und kirchenrechtliche Grundgegebenheit grundsätzlich unverändert lässt, jedoch sind damit ‹Überlagerungsvorgänge› verbunden».51
3.2. Der vom Bischof geweihte Dienst
Ein vom Bischof beauftragter Dienst und ein geweihter Dienst unterscheiden sich. Das Priestertum unterscheidet sich von den nichtpriesterlichen Diensten in ihrem Wesen, nicht nur dem Grade nach.52 Der vom Bischof geweihte Dienst ist jener Dienst, den bestimmte Gläubige aufgrund des empfangenen Weihesakramentes und einer besonderen kirchlichen Sendung ausüben. Dieser geweihte Dienst ist für die Kirche konstitutiv, denn Kirche im Sinne der «plena communio» gibt es nur dort, wo der geweihte Dienst inmitten des Volkes Gottes ausgeübt wird. «Wenn nämlich in der Gemeinde kein Priester vorhanden ist, dann fehlt der Dienst und die sakramentale Funktion Christi, des Hauptes und Hirten, was für das Leben der kirchlichen Gemeinschaft unabdingbar ist. Das Priesteramt des Dienstes ist deshalb absolut unersetzbar.»53 Geweihte Gläubige heissen im allgemeinen Kirchenrecht Kleriker und «nach verbreitetem deutschem Sprachgebrauch Geistliche».54 Dieser Sprachgebrauch betont das Gegeneinander von Geistlichen und Weltlichen, wie es seit Gratian üblich war. Das Miteinander der Gläubigen, wie dies das Konzil betont, wird dadurch sprachlich wieder verdrängt. Wer also nicht das Gegeneinander, sondern das Miteinander sprachlich betonen möchte, wird fortan Ausdrücke wie «Geistlicher» und «Hochwürden» im Zeitalter der gleichen Würde aller Getauften (c. 208) vermeiden. Der geweihte Dienst umfasst alle Aufgaben des pastoralen Dienstes. Dies bedeutet aber nicht, dass alle Aufgaben des pastoralen Dienstes ausschliesslich von geweihten Amtsträgern ausgeübt werden können. Wird einem Gläubigen in der Gemeinde ein geweihter Dienst anvertraut, bedeutet dies nicht nur eine Anstellung. Vielmehr wird diese Dienstübertragung (Ordination) von den Gläubigen verstanden als Gnadenhandeln Gottes an dieser Person. Das geweihte Amt wird als zugesagte Gnadengabe Gottes empfangen, das nur im Gebet erfleht werden kann, dessen Erhörung die Gemeinde im Glauben aber gewiss sein darf.55 «So wird die Ordination nicht eigentlich ‹gespendet› oder ‹erteilt›, sondern erbeten, im Glauben empfangen und dankbar gefeiert, und zwar von der ganzen Gemeinde. (…) Dieser wieder entdeckten Wahrheit war über Jahrhunderte im Zuge wachsender Klerikalisierung und des Zurückdrängens der Beteiligung des Volkes die ekklesiologische Plausibilität weggebrochen, so dass sich im 12. Jh. die imperativische, gar nicht mehr deprekatorische Formel ‹accipe spiritum sanctum› in den Ordinationsriten etablieren konnte.»56 Die Legitimation des geweihten Amtes gründet also einerseits in der «horizontalen» Anerkennung durch die soziale Gruppe, der das Amt dienen soll. Das Kirchenrecht sieht für die horizontale Anerkennung bei der Amtsübertragung die Präsentation (cc. 158–163), die Wahl (cc. 164–179), die Postulation bzw. Wahlbitte (cc. 180–183) neben der freien Amtsübertragung (c. 157) vor.57 Mit den Einbezugsmöglichkeiten der Gläubigen kann ein Gegeneinander von pastoralen Diensten und Gläubigen schon von Anfang an verhindert werden. Andererseits erfolgt die Legitimation im Aufweis des Dienstes an der «vertikalen» Kontinuität, im bleibend Vorgegebenen, der Gemeinde immer schon vorausliegenden Ursprung. Dieser Dienst an der Gemeinde muss helfen, den Kontakt zu diesem Ursprungsgeschehen zu gewinnen und zu halten. In der Bischofsweihe wird die Fülle des Weihesakramentes übertragen (LG 21 b), während Priesterweihe und Diakonenweihe eine je graduell gestufte Teilhabe am Weihesakrament vermitteln (LG 28 und 29). Presbyterat und Diakonat sind Ausformungen des in vollem Sinne und in ganzer Fülle dem Bischof zukommenden apostolischen Amtes. Diakon und Priester haben unterschiedlich Anteil an der apostolischen Sendung des Bischofs.
A) Der ständige Diakon
Die Handauflegung erfolgt beim Diakon nicht «ad sacerdotium», sondern «ad ministerium» (LG 29). Ständige Diakone nehmen ihren Dienst wahr aufgrund von Weihe und kirchenamtlicher Beauftragung. Auf dem Boden der Praxis der Alten Kirche, den Vorgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils58 und der entsprechenden nachkonziliaren Gesetzgebung59 bilden sich seit über 40 Jahren unterschiedliche Formen des ständigen Diakonats in den verschiedenen Ortskirchen heraus.60 Es entsteht ein neues Amt, «das nicht in der gesamten Lateinischen Kirche notwendig vorzunehmen ist, vielmehr [kommt] den zuständigen territorialen Bischofskonferenzen mit Billigung des Papstes die Entscheidung zu».61 Die christliche Diakonie muss von der Verkündigung und der Liturgie her verstanden werden. So ist die Reihenfolge im Konzilstext LG 29 signifikant. Besonders die Orthodoxie betont, dass der Diakonat in der Liturgie und Verkündigung verwurzelt sein muss, um «vita activa» und «vita contemplativa» miteinander zu verbinden. Wie die Personen in den vom Bischof beauftragten Diensten kann der ständige Diakon verheiratet sein oder einen Zivilberuf ausüben. Damit wurde die strikte Trennung von Heilsdienst und Weltdienst auch im kanonischen Recht aufgegeben. Für Laien und Kleriker gelten daher gemeinsame Richtlinien über «persönliche Anforderungen an Diakone und Laien im pastoralen Dienst im Hinblick auf Ehe und Familie».62 Die neue personale, bundestheologische Sicht der Ehe im Konzil (GS 47–52) hat damit auch Auswirkungen auf die beiden neuen pastoralen Dienste, die nach dem Konzil entstanden sind: ständiger Diakonat und beauftragter Dienst. Dies kann sich auch auf die christliche Spiritualität auswirken. Ein neues Miteinander zwischen verheirateten Gläubigen könnte entstehen.63 Entwickelt sich daraus eine «Suche nach einer Spiritualität von Verheirateten im kirchlichen Dienst»?64 Die Amtsvollmachten und Amtspflichten der Diakone sind im CIC 1983 auch sprachlich von denjenigen der beauftragten Dienste unterschieden.65 Im Folgenden soll aber auch auf eine Gemeinsamkeit, das Nicht-Hirte-Sein, hingewiesen werden. Denn der Diakon besitzt nicht die notwendige sakramentale Grundlage für die Leitung einer Pfarrei. Auch der Diakon ist wie die beauftragten Dienste gemäss c. 517 § 2 nur an der Ausübung von Hirtensorge beteiligt. Er ist also kein Hirte. Dennoch «soll die Präferenz nicht übersehen werden, die derselbe Kanon für den Diakon festlegt».66 Im Blick auf das Konzil und die nachkonziliare Gesetzgebung mag dies zunächst überraschen. Denn der Konzilstext spricht von «der Leitung abgelegener christlicher Gemeinden im Namen des Pfarrers und des Bischofs»67 durch einen Diakon. Es handelt sich dabei aber nicht um die Leitung einer Pfarrei, sondern um die Leitung abgelegener christlicher Gemeinschaften («dissitas communitates»), wie der lateinische Originaltext belegt. Diese Möglichkeit der rechtmässigen Leitung («legitime regere»68) von Gemeinschaften durch einen Diakon findet auch Eingang in die nachkonziliare Gesetzgebung im Motuproprio «Sacrum diaconatus ordinem» Nr. 22.69 Gemäss der erwähnten Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils kommt es dem Diakon zu, insofern der Ortsordinarius ihm diese Ausübung übertragen hat: im Namen des Pfarrers oder des Bischofs entfernt liegende Christengemeinden rechtmässig zu leiten. Die deutsche Übersetzung des Begriffes «dissitas communitates» mit «abgelegenen Gemeinden» löste die Hoffnung aus, dass damit die Pfarreileitung der Diakone gemeint sei. Von dieser auf einem Übersetzungsfehler fussenden Hoffnung will c. 517 § 2 nichts wissen. Denn in c. 517 § 2 geht es um die Leitung einer Pfarrei («paroeciae») und nicht um die Leitung abgelegener christlicher Gemeinschaften («dissitas communitates»). Demnach kann der Diakon wie der beauftragte Dienst den Priester nicht ersetzen, der «Vollmachten und Befugnisse eines Pfarrers»70 gemäss c. 517 § 2 erhält.
b) Der Priester
Zu den revolutionärsten und folgenreichsten Schritten des Konzils zählt Medard Kehl die «Subjektwerdung der Gemeinde, Aufbau synodaler Strukturen, Entstehung vieler neuer pastoraler Berufe, Gemeindeleitung in Kooperation usw. (…) Aber die Kehrseite dieser Medaille lässt sich auch nicht leugnen: eben eine gewisse Verunsicherung bei den Priestern.»71 Theologisch wird die Frage in der Literatur72 so beantwortet: Das besondere Priestertum, das durch die Weihe sakramental verliehen wird, ist das amtlich-repräsentative «Zeichen und Werkzeug» für das gemeinsame Priestertum aller Glaubenden; es wird ganz in dessen Dienst gestellt. Das sakramental geweihte Priestertum innerhalb des gemeinsamen Priestertums aller Glaubenden vergegenwärtigt «in persona Ecclesiae» und «in persona Christi Capitis» zugleich die Teilhabe aller Christgläubigen an dem einen heilswirksamen Priestertum Christi. Das geweihte Priestertum ist die sakramental-strukturelle Bedingung der Möglichkeit, damit die Selbsttranszendenz der Kirche auf Christus hin gelingen kann. Wie realisiert sich diese theologische Ortsbestimmung praktisch? Wie ist dies kirchenrechtlich umzusetzen? Im Rahmen einer Communio-Ekklesiologie wird heute meist so geantwortet: Die dem geweihten Amt des Bischofs und des Priesters eigene Identität verleihende Aufgabe liegt im Dienst der «Koinonia», also in der verantwortlichen Integration. Sie stehen bei aller Partizipation und bei allem Miteinander als «Hirten» für die Einheit der Koinonia, in den Ortskirchen bzw. in den einzelnen Gemeinden und damit auch in der universalen katholischen Kirche. Wie aber kann dieser Koinonia-Dienst unter den zunehmend erschwerten Bedingungen ausgeübt werden? Passt dieses Konzept nicht eher auf die ideale Situation, die gemäss CIC 1983 noch die Regel bedeuten sollte: «Der Pfarrer soll nur für eine Pfarrei die pfarrliche Sorge haben» (c. 526 § 1). Doch diese Regel wird in der Universalkirche immer mehr zur Ausnahme. Der neue CIC bietet drei Ausnahmemöglichkeiten an, die auch als Strukturen kooperativer Seelsorge diskutiert werden:
1. Hirtensorge eines Pfarrers für mehrere benachbarte Pfarreien (c. 526 § 1);
2. Hirtensorge eines Priesterteams für mehrere Pfarreien (c. 517 § 1);
3. Beteiligung von Nichtpriestern an der Ausübung von Hirtensorge (c. 517 § 2).73
Damit ist aber auch deutlich geworden: Der schmerzlichste Abschied, der den meisten Gemeindepriestern auf längere Sicht zugemutet wird, ist der Abschied von der einen Pfarrei. Eine unmittelbare seelsorgerliche Präsenz der Priester in den verschiedensten Lebensbereichen der Menschen ist vielfach nicht mehr gegeben. Die Auflösung der jahrhundertealten Bindung eines Pfarrers an seine Pfarrei ist möglich geworden (c. 374 § 1),74 wie die französischen Diözesen zeigen. «Die Priester werden gemeinsam (‹in solidum›) für einen Sektor ernannt (in Entsprechung zu Kanon 517 § 1). Das bedeutet, dass es nicht mehr einen einer Kirche verbundenen Pfarrer gibt. (…) Die pastorale Verantwortung wird global für einen geografischen Sektor übertragen und ist nicht an diese oder jene Pfarrei gebunden. Die gemeinsam ernannten Priester bilden zusammen mit Diakonen, Ordensleuten und Laien, die vom Bischof die Sendung für den Sektor empfangen haben, das Pastoral-Team des Sektors.»75 Noch weniger weit gehen die deutschen, österreichischen und schweizerischen Diözesen bei der Bildung von Seelsorgeverbänden und Pastoralräumen.76 Doch auch hier macht in einzelnen Diözesen das französische Beispiel Schule. Wie aber ist der geistliche Dienst der Integration des priesterlichen Volkes Gottes angemessen zu vollziehen, wenn die pastoralen Zuständigkeitsräume immer grösser und die verantwortlichen Priester immer weniger und immer älter werden?77 Wie wird unter diesen Bedingungen der priesterliche Dienst der Koinonia menschlich und theologisch verantwortbar zu leisten sein? Die deutschen Bischöfe geben in ihrem Hirtenschreiben «Der pastorale Dienst in der Pfarrgemeinde» von 1995 eine klare Antwort. Sie erachten es als wichtig, «dass von den geweihten Amtsträgern nicht länger eine (…) ‹Alleinzuständigkeit› selbst beansprucht oder erwartet wird. Dies bedeutet, dass pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend ihrer Beauftragung in verantwortliche Aufgaben einbezogen werden. Vom Pfarrer verlangt dies, dass er Vollmachten und Zuständigkeiten zu delegieren bereit ist und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten bewusst in verantwortliche Aufgaben einbezieht.»78 Diese Aufforderung der deutschen Bischöfe zu einer echten Delegation von Vollmachten und Zuständigkeiten des Pfarrers an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eröffnet eine neue rechtliche Qualität des Miteinanders der pastoralen Dienste. Die Verwendung der Begriffe «Delegation» von «Vollmachten und Befugnisse» muss so verstanden werden, dass der Pfarrer Amtsvollmachten delegieren soll gemäss den cc. 131–133. Dies zeigt, dass Diakone und beauftragte Laien bei der Ausübung von Leitungsvollmacht «nach Massgabe des Rechts» (c.129 § 2) nicht nur als Amtsträger (z. B. Richter c. 1421 § 2) mitwirken, sondern auch durch Delegation. Dieser Sachverhalt ist in der kanonistischen Diskussion bisher viel zu wenig beachtet worden.
4. Lückenbüsser-Funktionen
In weiten Teilen der Weltkirche herrscht ein grosser Mangel an Priestern. Das vom Konzil wieder entdeckte Diakonat und das Apostolat der Laien werden durch die pastorale Notsituation der fehlenden Priester mit besonders grossem Nachdruck wieder belebt. «Die Neuheit des Phänomens besteht vor allem darin, dass diese Dienste nicht mehr wie früher gelegentlich, ehrenamtlich und ersatzmässig von einigen Laien erfüllt werden, sondern dass sie immer mehr als etwas Permanentes und Berufliches institutionalisiert werden.»79 Die Frage «Wie weit trägt das gemeinsame Priestertum?»80 der Diakone und beauftragten Laien wird nicht nur rhetorisch gestellt. Mit dem Begriff der Kooperativen Pastoral, des Miteinanders der geweihten und beauftragten Dienste, wird inzwischen die vom Konzil eingeräumte und durch den CIC 1983 konkretisierte Mitwirkung der Diakone und beauftragten Laiendienste in vielen Ortskirchen angewandt. Doch dies führt zu Identitätsproblemen der Seelsorgerinnen und Seelsorger:
– Die heutige Situation des Priestermangels führt in ein bleibendes Dilemma, wie es Walter Kardinal Kasper beschrieben hat: «Einerseits hat die Kirche in der gegenwärtigen Situation einer geringer gewordenen und in Zukunft weiter abnehmenden Zahl von Priestern Bedarf an Männern und Frauen, welche einen pastoralen Dienst in den Gemeinden tun, der wesentlich über Einzelbeauftragungen hinausgeht und eine De-facto-Gemeindeleitung beinhaltet, mit Ausnahme der Aufgaben, die in einem strikten Sinn dem geweihten Priester vorbehalten sind. (…) Auf der andern Seite tut die Kirche mit diesen Beauftragungen [im Sinne des Kodex], wenn sie extensiv und unreflektiert vollzogen werden, etwas, was sie ohne Gefahr für ihre sakramentale Grundstruktur und ohne schwierige Identitätsprobleme für die Priester wie für die so beauftragten Laien gar nicht tun kann, vielleicht auf Dauer auch nicht tun darf.»81
– Der Priestermangel macht die neuen Dienste (Diakone und beauftragte Dienste) zu Lückenbüsserfunktionen. Der Einsatz der Diakone und der beauftragten Laien für fehlende Priester ohne die entsprechende Priesterweihe schafft strukturelle Probleme, die von vielen als Diskriminierung in Bezug auf das Geschlecht bzw. die Lebensform82 interpretiert werden. Denn sie sind als beauftragte und geweihte Amtspersonen weitgehend nur Ersatzpersonen und Lückenbüsserinnen83 für fehlende Priester. Gisbert Greshake und Medard Kehl geben wohl den Konsens vieler Theologen wieder, nach welchem fehlende Priester nur durch Priester ersetzt werden können. «Sonst besteht die Gefahr, das Priesteramt allmählich ganz aufzulösen in alle möglichen delegierbaren Einzelaufgaben, wobei schliesslich nur noch der Eucharistievorsitz und die Absolutionsvollmacht für den Priester ‹reserviert› bleiben. Diese Entwicklung führt zu Lösungen, die sowohl dem Priesteramt wie auch vielen anderen Berufungen in der Kirche schaden; darum wird die Frage nach einer Änderung der bestehenden Zulassungsbedingungen zum Priesteramt (…) immer drängender. Wenn diese Bedingungen jedoch so unantastbar sein sollten, dass man dafür immer weniger Priester in Kauf nimmt, sodass für viele Gemeinden die konkrete und ganzheitliche Erfahrung des Hirtendienstes, gerade auch in der Eucharistiefeier, immer seltener wird, dann braucht man sich nicht über gewisse Tendenzen zur ‹Protestantisierung› der katholischen Gläubigen zu beklagen. Man verstärkt sie ungewollt durch diese Hintansetzung katholischer ‹Essentials› hinter sekundäre Traditionen.»84 Andererseits warnen verschiedene theologische Stimmen vor einer Verwischung zwischen geweihtem und beauftragtem Dienst,85 genauer gesagt zwischen priesterlichen und nichtpriesterlichen Diensten. Es wird darauf hingewiesen, dass die Diakone und «die Laien, die solche Funktionen ausüben, vor dem Kirchenvolk zunehmend als Hirten [Pfarrer] erscheinen».86 Dies führt zu einer Krise des Priesteramtes und zu Verunsicherungen von Personen im geweihten Amt: «Wenn immer mehr Dienste und Ämter im Bereich des geordneten Heilsdienstes, dem das apostolische Amt zu dienen hat, in die Hände von [Diakonen und] Laien gelegt werden, dann würden die Unterschiede zwischen gemeinsamem Priestertum und Amtspriestertum verwischt und die Unersetzbarkeit und Unverwechselbarkeit des Weiheamtes gefährdet.»87 Trotzdem wird in der pastoralen Praxis immer deutlicher, dass Diakone und Laien in kirchlichen Ämtern immer weniger nur eine Notlösung, sondern immer öfter zur Regel werden. Der Weihbischof von Wien, Helmut Krätzl, beschreibt die Situation so: «Mir scheint, als hätte man einst [Diakone und] Laien wie ‹Gastarbeiter› in der Priesternot gerufen – in der Hoffnung, diese werde nicht lange dauern. Jetzt gibt man ihnen die Schuld, dass der Priestermangel durch sie noch grösser geworden sei.»88 Gerade dieser Identitätsverlust der Seelsorgerinnen und Seelsorger sollte nicht unterschätzt werden. So fragen sich die deutschen Bischöfe in ihrem Schreiben über den priesterlichen Dienst zu Recht: «Wer bin ich eigentlich als Priester, was ist Mitte und Schwerpunkt meines Tuns, wenn [Diakone und] Laien ohnehin fast alles können und tun sollen?»89 Solange sich der deutliche Priestermangel noch verstärkt, haben die Diakone und die vom Bischof beauftragten Laien wenig Chancen, ein eigenes Profil zu entwickeln. Sie werden einfach zu sehr gebraucht, um die ausfallenden Priester und ihre Aufgaben in der Grundseelsorge zu «ersetzen». Priester können aber nur durch Priester ersetzt werden.90 Insofern bündeln sich in der Frage nach der Zukunft der Gemeindeleitung viele offene theologische und kirchenrechtliche Fragen der Gegenwart. Diese Fragen der Gemeindeleitung sollten das Thema einer ausserordentlichen Bischofssynode sein, wie Kurt Kardinal Koch, als Bischof des Bistums Basel vorgeschlagen hat.91
Prof. Dr. Adrian Loretan, Universität Luzern, organisiert im Frühjahrssemester 2013 die Weiterbildung «Führen in Unternehmen und Non-Profit Organisationen (Kirchen)» (siehe SKZ 181 [2013], Nr. 1–2, S. 24).