Gastfreundschaft und Gottes Hartnäckigkeit

Biblisch ist häufig von Gastfreundschaft die Rede. Schonungslos wird dabei auch von misslungenen Begegnungen erzählt. Wie können grösste Hoffnungs- und Schreckensbilder in einem Thema zusammenfinden?

Isaac Isaacsz: «Pharao gibt Sara zurück an Abraham» (1640). (Bild: Rijksmuseum, Amsterdam)

 

In der Antike war Gastfreundschaft ein besonderes Gut. Unter den damaligen Verhältnissen waren Reisende viel gefährdeter und schutzloser als heute in unseren Breitengraden. Gastfreundschaft trug dazu bei, Sicherheit zu gewährleisten. Speis und Trank sowie einen geschützten Übernachtungsplatz zu bekommen, war wertvoll. Diese Mentalität bot gewissermassen die Infrastruktur, um herumreisen zu können. Über das Gebot der Gastfreundschaft war es zudem möglich, dass sich Menschen, die sich per se fremd waren, als Gast bzw. Gastgeber in positiven Rollen und nicht als Bedrohung wahrnehmen konnten. Gastfreundschaft baute eine Brücke zwischen Fremden.

Erzählte Gastfreundschaft

Erst im Neuen Testament − und dort nur an ganz wenigen Stellen − wird biblisch von Gastfreundschaft mit dem abstrakten Begriff «philoxenia» (lateinisch: hospitalitas) gesprochen. Viel öfters wird in der Bibel von Gastfreundschaft einfach erzählt.1 Berühmt ist z.B. die Geschichte, wie Abraham und Sara bei den Eichen von Mamre Gott in Gestalt von drei Männern Gastrecht gewähren (Gen 18). Rahab erlangte Berühmtheit als Gastgeberin, die ihren verfolgten Gästen zu einer spektakulären Flucht durchs Fenster an der Stadtmauer verhilft (Jos 2).2 Für den in der Heimat verfolgten Elija ist das Gastrecht bei der Witwe von Sarepta von existenzieller Bedeutung (1 Kön 17), und Wanderpropheten wie Elischa scheinen von Berufs wegen auf Gastfreundschaft angewiesen gewesen zu sein (2 Kön 4,8–37).

Neutestamentlich begegnet uns Jesus von Nazareth als einer, der immer wieder Gastrecht bekam. Schliesslich sind Gastgeber auch in der Apostelgeschichte und in den neutestamentlichen Briefen als Stützen der wachsenden Hoffnungsbewegung um Jesus Christus zentral.

Wenn das Vertrauen fehlt

In der biblischen Erzähl- und Bildsprache sind sowohl Menschen als auch Gott als Gast und Gastgeber Thema. Wer genau hinschaut, merkt: Was sie in beiden Rollen tun oder unterlassen, ist theologisch brisant.
Abraham wird heute gerne in seiner Rolle als Gastgeber in Erinnerung gerufen (siehe oben). Biblisch wird aber gerade auch er, der seine ursprüngliche Heimat verliess, als einer beschrieben, der auf Gastfreundschaft angewiesen ist. Interessant ist eine Episode, von der Genesis 12 erzählt (Gen 12,10–20). Abraham und Sara, dort noch Abram und Sarai genannt, ziehen aufgrund einer Hungersnot nach Ägypten. Abraham wird ängstlich: Sara ist eine attraktive Frau, und er fürchtet, in Ägypten könnte man ihn, den Fremden, als Gatten einfach umbringen, um Sara als Frau zu gewinnen. Daher lässt er Sara behaupten, sie seien Geschwister. Was für Abraham günstig ist, bedeutet für Sara das Risiko, in Ägypten zur Frau eines anderen Mannes bestimmt zu werden; um die eigene Haut zu retten, gibt Abraham sie preis. Für Sara spitzt sich die Situation zu. Pharao, der ägyptische König selbst, richtet sein Auge auf sie und nimmt sie zu sich. Abraham als vermeintlicher Bruder wird reich beschenkt. Erst durch Gottes Eingreifen merkt der König, dass Abraham eigentlich Saras Mann ist, und er lässt Sara zu Abraham zurückkehren. Der König versteht nicht, warum sich Abraham nicht von Anfang an als Gatte zu erkennen gegeben hat.

Abraham macht in dieser Erzählung keine gute Figur. Er handelt nicht nur egoistisch, sondern ist auch von Vorurteilen gegenüber den Ägyptern, seinen Gastgebern, getrieben. Es ist für ihn unvorstellbar, dass er und Sara von diesen «Fremden» als Paar respektiert werden könnten. Gott ergreift Partei: für Sara als Frau, die zur Verhandlungsware degradiert wird, und für die ägyptische Seite, deren Gastfreundschaft Abraham nicht getraut hat.

Wer meint, Abraham selbst hätte daraus gelernt, täuscht sich. Einige Kapitel später wiederholt sich die Geschichte, als Abraham und Sara nach Gerar ziehen (Gen 20). Und auch von Isaak wird erzählt, dass er das Verhalten seines Vaters kopiert, als eine Hungersnot ihn und Rebekka nach Gerar führt (Gen 26). Die Erzählungen legen den Finger auf einen wunden Punkt: Die Verlockungen des Misstrauens und des Egoismus rufen immer wieder. Gott aber bleibt hartnäckig auf der Seite der preisgegebenen Frauen und der fremden Gastgeber. Das Neue Testament knüpft an das Thema Misstrauen z. B. da an, wo erzählt wird, wie Jesus bewusst die Gastfreundschaft von Zöllnern wie Matthäus, Levi oder Zachäus annimmt (Mt 9; Mk 2; Lk 5; 19).

Wenn die Verletzlichsten zählen

Problematisches Verhalten gegenüber Gästen thematisiert prominent die Erzählung über Sodom und Gomorra (Gen 19). Die Einheimischen von Sodom wollen, dass Lot seine zwei männlichen Gäste herausrückt, um sie schänden zu können. Hilflos bietet Lot an, statt der Gäste seine beiden Töchter zur Vergewaltigung herzugeben. Es beginnt eine unheilige Kalkulation darüber, wer gesellschaftlich am wenigsten Wert hat. Auch hier wird theologisch Position bezogen. Lot und seine Töchter haben das Glück, dass die Gäste göttliche Gestalten sind. Diese retten Lot, der plötzlich seinerseits als «nur Zugezogener» in die Fänge der Einheimischen zu geraten droht. Und sie bewirken wundersam, dass die Männer, die auf sexuelle Gewalt aus sind, mit Blindheit geschlagen werden. So können sie Lots Haus nicht stürmen.

Keine göttlichen Helfer sind zugegen, wenn das Richterbuch von einem vergleichbaren Angriff auf Gäste erzählt (Ri 19). In der Stadt Gibea, die zum Stammesgebiet Benjamins gehört, wird ein Mann aus dem Stamm Levi zusammen mit seiner Frau und einem Knecht beherbergt. Der Gastgeber bietet den einheimischen Bedrängern seine eigene Tochter und von den drei Gästen die Frau zum Vergewaltigen an. Der Levit ergreift darauf kurzerhand seine Frau – vom Status her ist sie «nur» seine Nebenfrau – und gibt sie in die Hände der gewaltdurstigen Angreifer. Die einheimischen Männer vergehen sich die ganze Nacht lang an ihr. Sie stirbt, nachdem sie sich bei Tagesanbruch gerade noch zurück zur Haustür schleppen konnte. Auch derart heftige Geschichten enthält die Bibel. Unverblümt und wie hier die Schmerzgrenze überschreitend führt sie die Schutzlosigkeit gewisser Menschen und menschliches, hier insbesondere männliches Scheitern vor.

Über verschiedene Erzählungen rund um Gastfreundschaft ist es biblisch also möglich, nicht nur Schönes, sondern gerade auch menschlich Abgründiges zum Thema zu machen. Bei den erwähnten Erzählungen sind dies problematische Wertvorstellungen à la «mit Fremden darf man anders umgehen, mit Frauen sowieso» oder die Verlockung sexueller Gewalt. Über die Jahrhunderte hinweg, in denen die Bibel gelesen wurde, wirkten solche Texte mit Kurt Marti gesprochen nicht immer «heilzu».3 Es liegt an der Leserschaft, diese Chance zu packen.

Zu Gast bei Gott

Die Bibel lässt Gott, wie wir gesehen haben, in Fragen der Gastfreundschaft Partei ergreifen. Rasch geht es dabei um viel mehr als um Gäste und Gastgeber: um den Umgang mit Fremden, um Geschlechterfragen, um ein Gespür für Verletzlichkeit als Chance für Ermächtigung statt Ausbeutung. Eines der grossen Hoffnungsbilder der Bibel ist Gott, bei dem wir selbst (Ps 23,5) oder Menschen über Völkergrenzen hinweg zu Gast sein dürfen (Jes 25,6). Die Johannesoffenbarung entwirft das Hoffnungsbild eines grossen himmlischen Hochzeitsfestes (Offb 19). Nicht alle, sondern nur diejenigen, die schutzbedürftig sind oder verstanden haben, worum es im zwischenmenschlichen Zusammenleben geht, werden dann zum Fest geladen sein. Auch da bleibt Gott biblisch hartnäckig.

Veronika Bachmann

 

1 Vgl. für einen thematischen Überblick z B. Ebach, Ruth, Art. Gast/Gastfreundschaft (AT), in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de), 2016 (Zugriffsdatum: 06.05.2018), www.bibelwissenschaft.de/de/stichwort/18906/

2 Vgl. auch die Flucht des Paulus aus Damaskus, wie sie in Apg 9,24 beschrieben ist.

3 Zitat aus dem Gedicht «Das gesellige Buch», in: Marti, Kurt, Die gesellige Gottheit. Ein Diskurs, Stuttgart 2010, 9–10.

 


Veronika Bachmann

Dr. Veronika Bachmann (Jg. 1974) ist promovierte Alttestamentlerin und als Dozentin für Altes Testament und Bibeldidaktik an der Theologischen Fakultät Luzern tätig. Zu einem ihrer Forschungsschwerpunkte gehören die frühesten Engelfall-Erzählungen.