Fürsorge ist die Mitte der Ökonomie

Am 15. Oktober 2019 erschien auf dem Blog des Internationalen Währungsfonds (IWF) ein Text mit dem Titel «Die ökonomischen Kosten der Entwertung von ‹Frauenarbeit›».1 – Eine kritische Betrachtung.

Die Autorinnen und Autoren dieses Blogs, zu denen auch die Chefin des IWF, Kristalina Georgieva, gehört, setzen sich darin mit der Tatsache auseinander, dass Frauen weltweit eine gewaltige Menge an unbezahlter Arbeit leisten, die aber nicht in volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen erscheint: Sie schleppen Wasser, kochen Mahlzeiten, gebären und erziehen Kinder, pflegen Angehörige, schlichten Streit und halten Wohnungen sauber. So schaffen sie die Voraussetzungen dafür, dass andere Leute Geld verdienen und Kinder – das «Humankapital» der Zukunft – zur Schule gehen können. Oder mit anderen Worten: dass funktioniert, was man gemeinhin die Wirtschaft nennt.

Widersprüche im Ökonomiebegriff

Der Text ist gut gemeint. Er lässt hoffen, dass das Wissen um die lange vorsätzlich verschwiegene Grundlage allen Wirtschaftens allmählich auch in die Machtzentren der Globalisierung einzieht. Aber er enthüllt auch Konfusion hinsichtlich der Frage, welche Bedeutung Ökonominnen und Ökonomen den Tätigkeiten der Daseinsfürsorge zuweisen wollen: Einerseits wird das unbezahlte Tätigsein als Arbeit bezeichnet, andererseits scheint es von Arbeit abzuhalten: Was im einen Satz «work» heisst, gilt im nächsten als «leave from work», also als Urlaub. Zwar prangert der Text an, dass Frauen verglichen mit Männern viel zu viel leisten, gleichzeitig behauptet er aber, dass sie erst dann, wenn sie zum Beispiel nach dem Gebären wieder erwerbstätig werden, «zur Arbeit zurückkehren». Unbezahlte Care-Tätigkeiten hätten einen «substantiellen ökonomischen Wert», heisst es, gleichzeitig scheinen sie nur «schwach produktiv» zu sein, was für stundenlanges Wasserschleppen zutreffen mag, aber auch für die sorgfältige Erziehung von Kindern?

Zu allem Unglück seien die unbezahlten Tätigkeiten schwer messbar. Das hindert die Autorinnen und Autoren des Blogs aber nicht daran, Statistiken zu zitieren, aus denen hervorgeht, dass Instrumente zur präzisen Messung von Arbeitsleistungen längst existieren. – Könnte es sein, dass Ökonominnen und Ökonomen neu über den Gegenstandsbereich ihres Fachs nachdenken sollten? Und darüber, was sie mit Produktivität, Wert oder Arbeit überhaupt meinen?

Ein doppelter Begriff von Ökonomie

Wie kommt es zu den Ungereimtheiten (nicht nur) im Text der IWF-Chefin? Der Grund ist einfach: Seit Jahrhunderten lebt die Welt mit einem doppelten Begriff von Ökonomie: Anerkannte Lehrbücher der Wirtschaftswissenschaft definieren die Ökonomie als Theorie und Praxis der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, verengen den Begriff dann aber unvermittelt auf eine blosse Lehre des geldvermittelten Warentauschs. Der ersten, umfassenden Definition zufolge ist «Arbeit» und «produktiv» alles, was menschliche Bedürfnisse befriedigt, dem zweiten Verständnis zufolge gilt als Arbeit nur, was Geld einbringt oder kostet. Dass sich auf der Grundlage einer derart inkonsistenten Theorie die Ungleichgewichte im menschlichen Zusammenleben, die der Text aus dem IWF erfreulicherweise zur Sprache bringt, nicht werden beheben lassen, liegt auf der Hand.

Ein gutes Leben für alle

Wenn gutes Leben für alle das Ziel ist, dann braucht es anderes als den Willen, die Arbeit der Frauen (und aller Menschen) komplett in gängige Geld- und Verwertungslogik zu integrieren: Es braucht ein Nachdenken darüber, was Wirtschaft überhaupt ist und leisten soll. Um diese notwendige Bewegung in Gang zu bringen, organisieren Frauen in der Schweiz seit 2017 einen synodalen Prozess für Menschen aller Geschlechter. Dessen Thema «Wirtschaft ist Care» entlehnten die Organisatorinnen dem gleichnamigen Verein. Der begann schon im Jahr 2016 ein Gespräch mit den Wirtschaftswissenschaften über den Sinn der Oiko-Nomia: Oikos heisst Haus, Nomos heisst Lehre. Die Mitte, um die sich die Oiko-Nomia dreht, ist demnach weder Geld noch Profit, sondern das Sorgen für einander und für den Grosshaushalt Welt, den einzigen Lebensraum, der uns Menschen gegeben ist.

Ina Praetorius

 

1 Siehe: https://bit.ly/2TSTHAp (Übersetzung I. P.).

 


Ina Praetorius

Dr. theol. Ina Praetorius (Jg. 1956) ist freie Autorin und Referentin, Mitbegründerin des Vereins WiC – Wirtschaft ist Care
(www.inapraetorius.ch).