Für neue Marienhymnen

Für neue Marienhymnen

Vor einigen Monaten hatte ich ein spannendes Gespräch mit einigen orthodoxen Geistlichen: Sie baten mich, darzulegen, was bitteschön eine ökumenisch ausgerichtete «feministische Theologie» sei. Ich versuchte mein Bestes. Meine Gesprächspartner aber schüttelten nur verwirrt den Kopf. Feministische Theologie, meinten sie, habe erst dann Berechtigung, wenn sie Maria, die Jungfrau und Muttergottes, zur Patronin ausrufen würde. Es stellte sich als Herkulesaufgabe heraus, zu vermitteln, dass das tradierte Marienbild eher eine Belastung als Gewinn für die heutige Frauenbewegung darstellt: Eine Frau, die beglückt hinnimmt, was der Herr (und später: der Klerus) ihr vorsetzt, eine Frau, die demütig und fromm leidet und dient. Dies führt – leider – dazu, dass viele Christinnen und Christen meiner Generation über Maria nicht gerne nachdenken. Die offiziellen katholischen Dogmen, die auf Jungfräulichkeit, Keuschheit und spirituelle Übermenschlichkeit fokussieren, hinterlassen einen unangenehmen Beigeschmack. In seinen Hymnen fantasiert Kirchenvater Ambrosius über den geschwollenen Leib der Jungfrau, dessen «Tor der Keuschheit geschlossen» bleibt. – Es muss doch möglich sein, das Wunder der Menschwerdung ohne misogynen Kitsch zu zeichnen!

Das biblische Zeugnis hingegen zeigt Maria in allen Facetten, mit denen sich heutige Frauen und Mütter sehr wohl identifizieren können: Eine Minderjährige, die ungeplant schwanger wird (Mt 1,18). Eine junge Familie in schwierigen sozialen Verhältnissen (Lk 2,7). Eine Mutter, deren besserwisserischer 12-Jähriger ihre Sorge zurückweist, obwohl er drei Tage lang nichts hatte von sich hören lassen (Lk 2,41). Eine Familienfrau, deren Ältester die familiäre Bande aufkündigt und seine Anhängerschaft favorisiert (Mk, 3,34). Eine Frau, die umdenkt und andere auffordert, auf ihren Sohn zu hören, obwohl dieser sie harsch angeht (Joh 2,1). Die das Schmerzlichste erleben muss, was sich Eltern vorstellen können: seinen gewaltvollen Tod (Joh 19,25). Diese Themen sollten Marienhymnen – die freilich erst noch verfasst werden müssen – besingen.

Ann-Katrin Gässlein


Ann-Katrin Gässlein

Ann-Katrin Gässlein (Jg. 1981) ist katholische Theologin und Religionswissenschaftlerin. Sie arbeitet an der Professur für Liturgiewissenschaft an der Universität Luzern sowie in der Cityseelsorge in St. Gallen.