Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften?

Freiheit und Religion. Die Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften

Sollen weitere Religionsgemeinschaften über die etablierten «Landeskirchen» hinaus öffentlich-rechtlich anerkannt werden? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein? Welcher Weg ist praktisch einzuschlagen? Öffentlich diskutiert werden diese Fragen in der Schweiz oder auch in Deutschland fast immer im Zusammenhang mit dem Islam. Und schon läuft die Diskussion zwischen Befürwortern («Rechtliche Anerkennung fördert Integration») und Gegnern («Der Islam ist unintegrierbar», «Bewahret das christliche Abendland!») Gefahr, einmal mehr in ausgefahrenen Holzwegen zu enden.

Ein Luzerner Gutachten in Buchform

Ein Buch von drei Luzerner Dozenten wählt einen anderen Ansatz. Textlich bietet es im Wesentlichen ein Gutachten, das die Autoren im Auftrag eines islamischen Schweizer Dachverbands verfasst haben: Adrian Loretan-Saladin / Quirin Weber / Alexander Morawa: Freiheit und Religion. Die Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften in der Schweiz. (Lit-Verlag) Berlin u. a. 2014, 159 Seiten (die folgenden Zahlen beziehen sich auf dieses Buch). Die Autoren gehen ihr Thema jedoch mit gutem Grund allgemein an. Denn gemäss dem Gleichbehandlungsgebot sollte jedes Vorgehen auf Grundsätzen beruhen, die für alle vergleichbaren Fälle, also auch für nicht-islamische Religionsgemeinschaften gelten.

Dazu holen die Autoren weit aus, in zwei Richtungen: Nach einem umfangreichen Literaturund Urteilsverzeichnis (28 Seiten) und einer kurzen Einleitung behandeln die Kapitel II bis IV auf 82 Seiten das schweizerische Religionsverfassungsrecht, bevor sich Kapitel V bis VII über 67 Seiten dem Völkerrecht widmen, insbesondere der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR ). Die letzten 11 Seiten bündeln die wichtigsten der zuvor behandelten Punkte in der Form von Ausblick und Empfehlungen.

Auch im öffentlichen Raum

Die Autoren sind – wie der EGMR – der Meinung, dass Religionsgemeinschaften einen wertvollen, unverzichtbaren Beitrag zum demokratischen Rechtsstaat leisten (S. 24). Zugleich ist für sie klar: «Religion ist nicht (nur) Privatsache, sondern darf bzw. muss sich auch auf den öffentlichen Raum erstrecken » (S. 77). Diese Grundhaltungen, zusammen mit einem Blick in Geschichte und Rechtsbestand der Schweiz, führen sie zur Grundthese: «Die solide Verankerung des staatskirchenrechtlichen Systems in den meisten schweizerischen Kantonen erlaubt es (…), die demokratisch gewachsenen Strukturen mit Bedacht weiterzuentwickeln » (S. 6 f.). Sie lassen auch keinen Zweifel daran, dass sie dies für geboten halten. Dies ergibt sich vor allem aus dem Gleichbehandlungsgebot, ergänzt durch die Überlegung, «dass die Nichteinbindung von in der Öffentlichkeit relevant präsenten Religionsgemeinschaften auf die Länge grössere Probleme schaffen kann als die nicht zu verleugnenden kurzfristigen Schwierigkeiten einer Einbindung» (S. 64 f.). Eine Religionsgemeinschaft muss für die öffentlich-rechtliche Anerkennung Kriterien erfüllen (S. 26): Da sie gesellschaftliche Mitverantwortung trägt und einzelne hoheitliche Rechte (v. a. Besteuerung) ausübt, muss sie sich in besonderem Mass an die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit halten. Sie muss überdies im nicht-kultischen Bereich demokratisch organisiert sein; das bedeutet u. a., dass Frauen alle Positionen in der «landeskirchlichen» Repräsentationsstruktur offenstehen müssen. Schliesslich ist auch finanzielle Transparenz unabdingbar. Allgemeiner formuliert: «Ein Ansuchen oder Anstreben öffentlich-rechtlicher Anerkennung [bedeutet] einerseits eine Besserstellung in organisatorischer Hinsicht, andererseits auch eine zumindest implizite freiwillige Unterwerfung unter strengere Kriterien» (S. 115).

Langer Weg zur öffentlichrechtlichen Anerkennung

Da die öffentlich-rechtliche Anerkennung den Status einer Religionsgemeinschaft sehr umfassend ändert und entsprechend selten verliehen wird, ist der Weg dorthin in jedem Fall lang. Die Autoren betonen, dass die öffentlich-rechtliche Anerkennung «nicht nur von rechtlichen Faktoren, sondern auch von der gesellschaftlichen Akzeptanz» abhängt (S. 79). Diese macht für die Religionsgemeinschaft einerseits, für Staat und Gesellschaft anderseits einen Prozess gegenseitigen und gemeinsamen Lernens nötig (S. 65). Um ihn zu fördern, plädieren die Autoren für einen Religionsartikel in der Bundesverfassung, in dem «das Anerkennungsrecht der Kantone durch eine Anerkennung durch den Bund ergänzt würde» (S. 68). Besonders wichtig ist ihnen der Einbau einer Zwischenstufe, der sogenannten «kleinen Option», wie sie Basel-Stadt bereits kennt und 2012 zwei alevitischen Vereinen verliehen hat: Mit der «öffentlichen» Anerkennung wird eine Gemeinschaft zunächst einmal symbolisch aufgewertet und gleichsam zum Kandidaten für die umfassendere öffentlich-rechtliche Anerkennung erklärt (S. 157 f.). Vor dieser bleibt nach wie vor die hohe direktdemokratische Hürde. Hier sind die Autoren der Meinung, dass es, ähnlich wie bei der Einbürgerung von Personen, ein Korrektiv via Justiz geben muss. Verweigere nämlich der Souverän die Anerkennung einem Antragsteller, der objektiv die Bedingungen erfüllt, so müsse auch die Gesellschaft ihren Teil der Verpflichtung einhalten (S. 158 f.).

Universitäre Ausbildung

Den Auftraggebern des Gutachtens empfehlen die Autoren, «die dringend notwendigen Ausbildungsstrukturen » für Imame und Religionspädagogen an einer schweizerischen Universität einzurichten, in geeigneten Kantonen Pilotversuche für islamischen Religionsunterricht einzurichten und schliesslich «das Gesuch um kantonale (Stufe 1) und um öffentlich-rechtliche Anerkennung (Stufe 2)» einzureichen; dies alles mit dem Ziel, die «Akzeptanz mittel- bis langfristig zu erhöhen» (S. 153 f.). Einzig an diesen konkreten Punkten greift das Buch nach Ansicht des Rezensenten etwas kurz: Die Ausbildungsstrukturen an einer öffentlichen Universität hängen nicht nur vom Willen der islamischen Verbände ab. Der Religionsunterricht hat die Pilotphase längst hinter sich und liesse sich vielerorts realisieren. Anerkennungsgesuche sind heute eindeutig verfrüht. Eine Art «Tatbeweis » durch Engagement der Moscheegemeinden im Alltag und durch interne Professionalisierung ist noch über Jahre auszubauen. Nur so entsteht der Humus gesellschaftlicher Anerkennung, auf dem das zarte Pflänzchen der juristischen Anerkennung überhaupt erst gedeihen kann. Staat und Gesellschaft sind allerdings im besten eigenen Interesse gut beraten, diesen Prozess zu unterstützen. Für alle juristischen Aspekte ist «Freiheit und Religion» ein unentbehrliches Brevier.

 

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Buchvernissage in Luzern

Am Mittwoch, 19. März 2014, findet um 16 Uhr im Hörsaal 8 der Universität Luzern, Frohburgstrasse 3, die Vernissage zum obenstehend angezeigten Buch über «Freiheit und Religion. Die Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften in der Schweiz» [= ReligionsRecht im Dialog, Band 17] statt. Es sprechen a. Bundesgerichtspräsident Giusep Nay, Prof. Dr. Jörg Paul Müller (Universität Bern), die islamischen Auftraggeber sowie die Autoren des Gutachtens, das nun in Buchform vorgelegt wird, Adrian Loretan, Alexander Morawa und Quirin Weber, gefolgt von einem Podiumsgespräch. Zu dieser öffentlichen Veranstaltung sind alle herzlich eingeladen!

Zentrum für Islam in Freiburg

Der Rektor der Universität Basel und Präsident der Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten, Antonio Loprieno, erarbeitete im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation mit einer Arbeitsgruppe ein Konzept für ein Zentrum für islamische Religion und Gesellschaft. Ein solches Zentrum soll nach Aussagen von Guido Vergauwen, Rektor der Universität Freiburg, an der dortigen Theologischen Fakultät angesiedelt werden, die Planung dazu läuft. Diese Institution soll im Rahmen des akademischen Diskurses für Imame in der Schweiz islamische Selbstreflexion, Weiterbildung und eine bessere Inkulturation ermöglichen. (ufw)

 

 

Andreas Tunger-Zanetti

Andreas Tunger-Zanetti

Dr. phil. Andreas Tunger-Zanetti studierte Islamwissenschaft, orientalische Sprachen und Allgemeine Geschichte in Bern, Wien, Freiburg i. Br. und Tunis und war danach im Verlag Peter Lang und als Auslandredaktor bei der «Neuen Luzerner Zeitung» tätig. Seit 2007 ist er an der Universität Luzern (Zentrum Religionsforschung) und 2007–2011 zusätzlich an der Universität Zürich (Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik) wissenschaftlich tätig.