Friedensdiplomatie

Aschermittwoch: 2 Kor 5,20–6,2 (Joël 2,12–18; Mt 6,1–6.16–18)

Der zweite Korintherbrief bewegt sich im Fahrwasser des ersten. Lässt aber der erste noch ein weitgehend ungetrübtes Verhältnis zwischen der Gemeinde und dem Apostel erkennen, das es Paulus ermöglichte, sich ganz auf seine Aufgaben als Gemeindeleiter zu konzentrieren, zeugt der zweite Korintherbrief von erheblichen Turbulenzen. Urchristliche Wandermissionare jüdisch-hellenistischer Herkunft waren in die Gemeinde vorgedrungen, konnten dort einigen Erfolg für sich verbuchen und konfrontierten den Apostel Paulus nicht nur mit persönlichen Vorwürfen, sondern mit einer geradezu alternativen Verkündigung, die so sehr von der paulinischen Predigt abweicht, dass der A postel die Verkündigung seiner Gegner als ein anderes, in die Irre führendes Evangelium beschreibt. D er Konflikt ist nur auf den ersten Blick ein persönlicher. Tatsächlich geht es um mehr: Für Paulus steht die Wahrheit des Evangeliums und damit die Authentizität seiner Verkündigung auf dem Spiel. Gerade deshalb reicht es ihm jetzt nicht aus, einfach nur die Echtheit seiner apostolischen Berufung zu begründen. Vielmehr bringt der Apostel in wenigen Sätzen das Ganze des Glaubens zur Sprache – um dann freilich von diesem Fundament aus äusserst geschickt seine eigene apostolische Rolle in der Geschichte Gottes mit den Menschen neu verstehbar werden zu lassen.

Die ausgeklügelte Argumentation des Apostels entwickelt sich in vier Schritten:

(1) Für Paulus besteht wirkliche Feindschaft zwischen Gott und Mensch (Röm 5,10; 8,7). Grund dieser Feindschaft ist die permanent negative Anziehungskraft, die die Unheilsmacht der Sünde auf Menschen ausübt. Ihre Konsequenz ist fortwährende Ungerechtigkeit (vgl. Röm 1,18): Durch das kollektive Fehlverhalten der Menschen baut sich eine Sphäre des Unheils auf, die sich wie eine bleierne Last auf das Leben legt.

(2) Gott hat diese Feindschaft von sich aus ein für alle Mal überwunden durch den Tod und die Auferweckung Jesu Christi. Er allein ist das Subjekt dieser Versöhnungstat. Weil Gott nach dem Zeugnis der Heiligen Schriften ein lebendiger und liebender Gott ist, kann er sich in seinem Sohn so mit den sündigen Menschen identifizieren, dass er sich selbst an ihre Stelle begibt: an den Ort der Sünde und des Todes, der Verdammnis und des Fluches, des Gerichtes und der Gottverlassenheit. Die von Gott gewährte Versöhnung ist Ausdruck der Liebe Gottes (Röm 5,8 ff.; vgl. 2 Kor 5,14) den Menschen gegenüber (Röm 5,10 f.;2 Kor 5,18 f.), die allem menschlichen Tun vorangeht. Ihr entspricht auf Seiten des Menschen das Empfangen der Versöhnung (Röm 5,11), das Ausdruck des Glaubens ist. Die Aufforderung des Apostels, sich versöhnen zu lassen (2 Kor 5,20), beinhaltet darum die Aufforderung zum Glauben. Das Wort der Versöhnung (2 Kor 5,19) ist das Evangelium.

(3) Dem Wort von der Versöhnung entspricht der Dienst der Versöhnung, zu dem der Apostel berufen ist. Denn in der Folge der ein für alle Mal gewirkten Versöhnung ist von Gott her der Dienst der Versöhnung aufgerichtet, der grundlegend vom Apostel als Apostel wahrgenommen wird. Dies geschieht nicht, indem ein kultischer, die Versöhnung erst herbeiführender Dienst vollzogen würde, sondern indem

(4) der Apostel das Evangelium auf Glauben hin verkündet.

Paulus im jüdischen Kontext

Von seinen Ursprüngen her bezeichnet der Ausdruck «Versöhnung» die Wiederherstellung eines ehemals ausgewogenen Verhältnisses zwischen gegenwärtig verfeindeten Menschen oder Staaten (vgl. Xenoph an I, 6,1; Eur Hell 1235; Aristot Oec 2,15 u. a.). Eine Vielzahl an Belegen zeigt, dass die Verwendung im Hellenismus ursprünglich dem diplomatischen Bereich entstammte und die Beendigung von kriegerischer Feindschaft bezeichnete (z. B. Plut Mor 222D, 247C, 284F; Dio Chrys 38 passim; Dion Hal II, 453-6). Das Verhältnis zwischen einer Gottheit und den Menschen wird so jedoch an keiner Stelle zum Thema. Anders verhält es sich im Bereich des hellenistischen Judentums. Die Septuaginta verwendet das Wortfeld «Versöhnung » zwar nicht häufig, aber sie kann den Ausdruck auf das Verhältnis von Gott und Mensch übertragen (vgl. 2 Makk 1,5; 5,20; 7,33; 8,29b). Gleiches lässt sich – wenn auch nur vereinzelt – für die Literatur des hellenistischen Judentums nachweisen (vgl. Philo Praem 106; VitMos 2,166; Jos Bell 5,15 u. a.). Immer geht es dabei um das durch die Sünde gestörte Verhältnis von Gott und Mensch. Dieses Missverhältnis stellt den Hintergrund dar für die Vorstellung, Gott lasse seinen Zorn – menschlicher Bitte folgend – beschwichtigen und schenke Versöhnung (2 Makk 1,5), werde mit den Menschen versöhnt (2 Makk 7,33; 8,29; Jos Ant 7,153; JosAs 11,18) oder lasse sich von ihnen zur Versöhnung bewegen (Bell 5,415; Ant 6,151). Paulus bringt also wesentliche Elemente seiner Versöhnungstheologie anhand der Terminologie und Vorstellungswelt hellenistischer Diplomatie zum Ausdruck, indem er sie zunächst auf das Verhältnis von Gott und Apostel und schliesslich auf das Verhältnis von Gott und Mensch überträgt. Der Bedeutungstransfer zielt aber nicht nur auf die Betonung von Repräsentanz und Bevollmächtigung, sondern vor allem auf den Aspekt des Gesandtseins und der ständigen Rückgebundenheit des Botschafters an seinen durch ihn vertretenen Auftraggeber. So skizziert der Apostel sich und seinen Dienst im Bild eines bevollmächtigten und akkreditierten Friedensbotschafters Gottes, der zwischen Gott und den Menschen steht.

Heute mit Paulus im Gespräch

«Das Teil turnt mich voll an», rief mir vor Zeiten mal ein Jugendlicher zu und deutete auf das Altarkreuz einer Kirche. Warum? Weil so ein tiefer Friede von ihm ausgehe. Vielleicht war das die lebensfrohste Übersetzung des paulinischen Wortes von der Versöhnung, die ich je gehört habe: Gott schafft Frieden – ganz tief in der Seele der Menschen, weil er ein Gott ist, der neue Anfänge mit uns Menschen macht; nicht, weil wir wir sind, sondern weil Er Er ist: ein Gott, der die Menschen liebt.

 

Robert Vorholt

Robert Vorholt

Prof. Dr. Robert Vorholt (Jg. 1970) wurde in Münster/Westfalen (D) geboren, studierte in Münster und Paris, ist Priester, seit 2012 ordentlicher Professor für Exegese des Neuen Testaments und seit 2017 Dekan der Theologischen Fakultät an der Universität Luzern.