Tafelsilber auf den Tisch!

Für einen selbstbewussten Auftritt der Kirche in der Öffentlichkeit

Ich habe zwar zu Beginn der 1980er-Jahre katholische Theologie in Luzern und Tübingen studiert, doch mit der Kirche hatte ich seither ausserhalb meiner beruflichen Tätigkeit als Fernsehjournalist nichts zu tun. Als ich dann 2008 von der DOK zum bischöflich Beauftragten für Radio und Fernsehen ernannt wurde, war ich in der katholischen Welt ein «unbeschriebenes Blatt», was ein ehemaliger Studienkollege so kommentierte: «Du kannst das, denn in deinem Alter gibt es bei uns kaum jemanden, der nicht (durch die Kirchenleitung?) schwere Verletzungen davongetragen hat.» Ich wusste also, was mich erwartete. Einerseits geriet ich in ein kirchenpolitisches Gelände, in das «reaktionäre», traditionsverhaftete Katholiken ebenso wie «progressive», liberale Katholiken ihre Tretminen ausgebracht haben, was aber andererseits die «Grossgesellschaft» immer weniger zur Kenntnis nahm und mit massenhaften Kirchenaustritten quittierte. Andererseits hatte ich der SRG gegenüber das Privileg der Landeskirchen zu verteidigen, bei Sendungen kirchlichen Inhaltes mitreden zu dürfen. Als Religionswissenschaftler, als der ich mich auch verstehe, muss ich aber leider das Fazit ziehen, dass der Niedergang einer einstmals stolzen Konfession teilweise selbstverschuldet ist und kaum aufzuhalten ist, wenn die Kirche nicht bereit ist, ihr symbolisches Kapital künftig offensiver einzusetzen. Dies möchte ich im Folgenden gerne verdeutlichen.

Von der Volkskirche zur Mitgliederkirche

Religionssoziologen sind sich weitgehend einig, dass für Europa weniger die Säkularisierungs- als die Individualisierungsthese zutrifft: Die Menschen sind nicht weniger religiös als früher, doch wird die persönliche Religiosität weg von der kirchlichen Organisation hin in die eigene Subjektivität verlagert: Wer Kirchensteuer zahlt, ist also nicht unbedingt gläubig, wer keine Kirchensteuer zahlt, muss nicht ungläubig sein. Die einstmals grossen Volkskirchen (die so ja erst im 19. Jahrhundert entstanden) wandeln sich zu Mitgliederkirchen, die um Mitglieder werben müssen. Die Zeit der stabilen konfessionellen Milieus, wo man selbstverständlich und unhinterfragt in derselben Konfession sterben wird, in der man einst geboren wurde, ist hierzulande unwiderruflich vorbei. Die Landeskirchen, die ihren privilegierten Status wohl kaum noch lange bewahren können, wandeln sich zu Mitgliederkirchen, die ihre Anhänger überzeugen müssen, für die religiösen Bedürfnisse ihrer Gläubigen das richtige Angebot zu haben.

Klarer Positionsbezug, keine «weichgespülte» Ökumene

Um Mitglieder wirbt man am besten mit Inhalten, mit «unique selling points», wie es in der Werbewirtschaft heisst, scholastisch hiess das einmal «differentia specifica». Gemeint ist damit aber dasselbe: Mitglieder gewinnt die römisch-katholische Kirche vor allem mit dem, was sie von der «Welt» und von den anderen Kirchen und Religionen unterscheidet:

– der mystische Materialismus der Eucharistie;

– das Wissen um die wahrheitsstiftende Rolle der Kultur (Tradition und Bibel);

– das katholische Lebensgefühl, das sich weniger durch «innerweltliche Askese» (Max Weber) ausdrückt als durch «Musse und Verschwendung» (Peter Hersche);

– die Trinität in ihrem fragilen Gleichgewicht zwischen «monarchischem» Monotheismus und «demokratischem » Polytheismus;

– die Auferstehung von Seele und Körper.

Doch wie wird die Kirche in der Öffentlichkeit wahrgenommen? Berichten die Medien über die römisch-katholische Kirche, dann stehen entweder Skandale im Vatikan, in Chur und anderswo im Zentrum oder die Sexualmoral. Dabei hätte die Kirche bei den anstehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen viel mehr zu bieten. Bei einer bischöflichen Botschaft zum Nationalfeiertag den Primat des Menschen vor dem Geld zu betonen, ist da schon einmal ein zaghafter Anfang. In einer Zeit, wo selbst Maturanden nur selten die christlichen «Essentials» zu benennen wissen und noch seltener konfessionelle Unterschiede, ist es zentral, die konfessionellen Unterschiede wieder ins Zentrum zu stellen und nicht die Gemeinsamkeiten im Sinne eines kleinsten gemeinsamen christlichen Nenners.

Mut zur Dogmatik, kein falsches «Aggiornamento»

Doch hat die Kirche mit ihrer reichen Tradition weit mehr zu bieten als Sozialethik, gerade auch in der heute oft schamhaft verschwiegenen Dogmatik. Im Versuch, die Finanzierung der Kirche durch Kirchensteuern zu retten, senkt die Kirche ihr Profil bis zur Selbstaufgabe. Gibt es heute noch Jugendliche, für die ein Firmvorbereitungskurs mehr ist als die Gelegenheit, Kollegen zu treffen und Geschenke zu bekommen? Doch «Kirche» ist kein Synonym für Freizeitanimation, Sozialarbeit oder für Meditation im Stile des Zen. Während meiner Tätigkeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass nicht nur Gläubige, sondern selbst viele Priester eine Theologie vertreten, deren universale Anschlussfähigkeit in die Beliebigkeit zu kippen droht. Doch die Kirche ist kein Universal- Reisestecker. Im Versuch eines «aggiornamento» mit der modernen Welt ist die Gefahr gross, viele Dinge schamhaft zu verschweigen, die zentral zur katholischen Lehre gehören. Dabei könnte beispielsweise gerade die katholische Eucharistie-Lehre mit ihrem «mystischen Materialismus» für viele suchende Menschen eine Alternative zum gängigen platt-positivistischen Materialismus bedeuten, wagte man denn, sie neuthomistischer Begrifflichkeit zu entkleiden und in die heutige Zeit zu übersetzen.

Für eine Kirche von Traditionalisten UND Liberalen

Mit Verwunderung beobachtet eine interessierte Öffentlichkeit, wie Progressisten und Traditionalisten sich um Positionen des 19. Jahrhunderts balgen und sich um jeden vermeintlichen Punktegewinn freuen. Doch die kircheninterne Spaltung zwischen «Progressiven» und «Traditionalisten» lähmt beide Flügel gleichermassen. Oft habe ich es erlebt, dass sich «Linke» wie «Rechte» darüber freuen, der Gegenseite einen «Tritt ans Schienbein» verpasst zu haben. Die unbeteiligte Mehrheit eines kirchenfernen Publikums kann da nur den Kopf schütteln. Ist uns eigentlich bewusst, dass die versuchte Durchsetzung klarer vatikanischer Normen erst mit den modernen Kommunikationsmitteln möglich ist? In der Kirche gab es doch immer schon unterschiedliche Charismen. Auf der einen Seite sollte man beispielsweise die tridentinische Messe nicht einfach den «Rechten » überlassen, auf der anderen Seite sollte man aber auch betonen, dass Taufe, Hochzeit oder Beerdigung keine Dienstleistungen der Städtischen Werke sind wie Elektrizität oder Wasser. Der Grabenkampf zwischen der kleinen, aber feinen Elitegruppe der «wahren» Gläubigen und den Anhängern eines «Katholizismus light» ist obsolet, in der Kirchengeschichte gab es schon immer unterschiedliche Strömungen oder Charismen, wie schon die verschiedenen Ordensgemeinschaften zeigen. Nur im 19. und 20. Jahrhundert versuchte die Kirchenleitung in ihrem Antimodernismus-Wahn, das zu ändern. Doch mit einem Flügel allein kann kein Vogel fliegen!


Braucht es eine Neuausrichtung der Fernsehgottesdienste?

Seit Jahren verlieren Fernsehgottesdienste an Einschaltquote. Selbst das feierliche Pontifikalamt, das anlässlich des Treffens der europäischen Bischofskonferenz am 30. September 2012 aus St. G allen übertragen wurde, fand lediglich 23 000 Zuschauerinnen und Zuschauer, und das bei Kosten von weit über 60 000 Franken. Seit Jahren verlieren die Fernsehgottesdienste Publikum, ein Spiegelbild dessen, was in den realen Kirchen passiert. Vor zwei Jahren trat das Schweizer Fernsehen deshalb an die kirchlichen Mediendienste (KM und RM ) heran mit dem Auftrag, die Fernsehgottesdienste in Richtung grösserer Akzeptanz weiterzuentwickeln. Der Schreibende, der während 23 Jahren als Redaktor und Filmrealisator beim Schweizer Fernsehen gearbeitet hat, machte daraufhin den Vorschlag, anstatt der Fernsehgottesdienste eine Magazinsendung «Religionslandschaft Schweiz» zu entwickeln, die auch als Schaufenster der Kirchen dienen könnte. Denn da selbst viele Katholikinnen und Katholiken die Mysterien der Messe nicht verstehen, braucht es in einem Massenmedium ein «missionarisches» Format, um auch die vielen Menschen, die sich diffus für Religion und Sinnsuche interessieren, überhaupt erst zu erreichen. (Ist «Mission» nicht auch eine Form von Gottesdienst?)


Ein Beispiel für die Präsentation des Tafelsilbers: Erklärung der Messe im Internet

Vor zwei Jahren habe ich einen ökumenischen Fernsehgottesdienst zum Bettag übertragen, an dem der beteiligte reformierte Pfarrer im anschliessend ausgestrahlten Interview betonte, er habe nur Brot gegessen. Ein Sturm der Entrüstung überzog darauf vor allem den beteiligten katholischen Pfarrer. Doch wie würde die Antwort ausfallen, befragte man irgendwo in der Schweiz nach einer Eucharistiefeier die Gläubigen, was sie gegessen hätten? Den Leib Christi oder bloss Brot? Diese Erfahrung bewog mich, den Katholischen Mediendienst (KM) zu animieren, in Zusammenarbeit mit dem Liturgischen Institut eine interaktive Website zu erarbeiten, welche die Geheimnisse und die Symbolik der katholischen Messe erklärt. Das Ergebnis wird Ende Januar 2013 unter der Adresse www.die-messe.org ins Netz gestellt. (Mehr dazu in der SKZ-Ausgabe Nr. 6–7 / 2013 vom 7. Februar 2013.)

Willi Bühler

Willi Bühler

Willi Bühler, geboren 1955, studierte 1979–1984 römisch-katholische Theologie in Luzern und Tübingen. 1984 –2007 war er Redaktor und Filmrealisator beim Schweizer Fernsehen und arbeitet seither als Gymnasiallehrer für bekenntnisneutrale Religionskunde und Ethik in Luzern. 2008 –2012 war er ausserdem Bischöflicher Beauftragter für Radio und Fernsehen beim Katholischen Mediendienst in Zürich. Im vorliegenden Artikel zieht er Bilanz aus der letztgenannten Tätigkeit.