Freiheit des Geistes überwindet kulturelle und religiöse Grenzen

Studenten in Bamyan

Das Jesuit Worldwide Learning ist ein junges Online-Studium und pflegt den Austausch über alle kulturellen und religiösen Grenzen hinweg. Als Verantwortlicher berichtet Peter Balleis SJ über diese Lerngemeinschaft im virtuellen Klassenzimmer.

Die leere Höhle, wo einst die grössten Buddhastatuen standen, ist kein zufälliger Hintergrund dieses Fotos von Studenten in Bamyan. Im Jahre 2001 hat das islamistische Taliban-Regime das Weltkulturerbe der beiden Statuen des männlichen und des weiblichen Buddhas, die die fruchtbare Kulturlandschaft des Hochtales von Bamyan mit ihrer Weisheit überschauten, in die Luft gesprengt und für immer zerstört. Es geschah gegen den Protest der Weltgemeinschaft. Dieser Akt war auch Ausdruck der religiösen Intoleranz der Taliban und ihres Krieges gegen die Bildung der Frauen.

Nur 300 Meter vor der leeren Höhle entfernt, wo die weibliche Buddhastatue stand, und vor dem Hintergrund der buddhistischen Geschichte in Afghanistan machen nun 36 junge afghanische Muslime, darunter viele Frauen, ein Online-Fernstudium in Liberal Arts als reguläre Online-Studenten der Jesuitenuniversität Regis in Denver, Colorado, USA. Sie studieren zusammen mit über 300 Studenten aus über 40 Ländern, aller Religionen und Kulturen in Asien, im Nahen Osten, Afrika und in den USA. Was die Taliban mit engstirnigem Fanatismus und Sprengstoff zerstören versuchten, blüht in einer ganz neuen Weise auf, die Freiheit des Geistes. Im Zentrum dieses Studiums steht nicht nur Wissen, sondern der intellektuelle Austausch über alle kulturellen und religiösen Grenzen hinweg und das kritische Denken.

Jesuit Worldwide Learning

Jesuit Worldwide Learning – Higher Education at the Margins (JWL), so der Name der neuen Organisation, ermöglicht via Internet dieses akademische Studium und bringt eine weltweite Gemeinschaft von Lernenden im virtuellen Klassenzimmer zusammen. JWL entstand als Initiative von amerikanischen Jesuitenuniversitäten im Jahr 2010 und entwickelte sich zu einer globalen Organisation mit Hauptsitz in Genf. Im Jahre 2017 bekam JWL eine rechtliche Basis als eingetragener Verein in der Schweiz (Kanton Genf).

Die Jesuitenprovinzen der Schweiz, Deutschlands, Österreichs, Litauens und Ungarns stehen hinter JWL als gemeinsamem Werk des Ordens. Der Jesuitenprovinzial der Schweiz ist der Präsident von JWL.

Nach einem Jahr des Übergangs wird JWL im Jahre 2018 über 6000 Studenten in über 40 Lernzentren in Myanmar, Sri Lanka, Indien, Nepal, Afghanistan, Iran, Jordanien, Malawi, Kenya, Chad, Zentralafrikanische Republik, Mali, Haiti und der Dominikanischen Republik dienen. Es sind Flüchtlinge, Staatenlose, religiöse und ethnische Minderheiten, junge Menschen, die Talente, aber keinen Zugang zu höherer Bildung haben. Die grosse Mehrheit dieser Studenten macht einen soliden Englischkurs, der dem Curriculum von Cambridge University und den von Europa festgelegten 6 Sprachniveaus folgt. JWL bietet das Lernmaterial, in vielen Fällen auf kleinen Tablets für 30 US-Dollars mit all dem Kursmaterial für jeden Studenten. Am Anfang steht der Online-Placement-Test, um die Einstiegsstufe festzulegen. Am Ende steht ein Online-Test mit Linguaskill, welches dem Studenten ein international anerkanntes Zertifikat gibt. Ob in Asien, im Nahen Osten, im französischsprachigen Westafrika oder im spanischsprachigen Lateinamerika, junge Leute möchten Englisch lernen, die Lingua franca, die für sie die Türe zu einem Job oder zur Universität öffnet.

Nach 1 bis 2 Jahren Englisch können sich Studenten mit dem Sprachniveau B2 für ein Online-Studium in Liberal Arts bewerben. Es ist ein breit aufgebautes Grundstudium in Geisteswissenschaften. Mit 15 akademischen Kursen erhalten sie ein Diploma mit 45 transferierbaren Kredits von Regis University. Den Studenten steht dann ein weiterführendes Studium mit anderen Universitäten offen, das zu einem Bachelor führt.

Für junge Leute, die kein Studium machen können oder wollen, bietet JWL online berufsbildende Kurse an, wie Lehrerausbildung, Gesundheitsarbeiter, IT, Jugend und Sport, Peace Leaders. In Vorbereitung sind Kurse zum Thema nachhaltige Umwelt.

JWL geht zu Menschen ohne Internetzugang

JWL geht zu den Menschen und Gemeinschaften, die keinen Zugang zum Internet und Computer haben. Die junge Frau mit dem weissen Tuch in der Mitte des Photos, Zainap, kommt von der abgelegenen Bergregion von Daikundi. Sie hatte bis vor drei Jahren noch weder einen Computer berührt noch Englisch gesprochen und macht nun im Frühjahr ihr 45 Credit-Diploma.

JWL bietet eine Mischform von Online-Lernen. Die Studenten, sei es vor Ort oder im virtuellen Klassenzimmer, werden von einem Tutor begleitet. Pro 15 Studenten steht ein Professor zur Verfügung, der mit dieser Gruppe virtuell in Verbindung steht und ihre Aufsätze und Diskussionsbeiträge beurteilt. Es ist ein forderndes Studium, und Credits gibt es nur für geleistete intellektuelle Arbeit und für Qualität. In Bamyan kommen die Studenten in einem Lernzentrum zusammen, wo es Computer mit Internetanschluss gibt. Andernorts geht JWL immer mehr dazu über, jedem Studenten ein Tablet mit Tastatur für 300 US-Dollars zu geben, um mit den Studienzeiten flexibler zu sein. Aber es bleibt weiterhin wichtig, dass die Studenten zur Diskussion zusammenkommen. Das Ziel ist die Ausbildung und Formung von jungen Männern und Frauen, die in ihren Gemeinschaften Verantwortung und Führung übernehmen können.

JWL bringt die Universität in die Gemeinschaft, ins Flüchtlingslager, ins abgelegene Dorf. So bleiben die begabten jungen Leute und werden auch nicht entfremdet. Was auch immer sie lernen, sie entscheiden, was ihnen hilft und wie sie ihr Leben und ihre Kultur verändern möchten. Eine Studentin, die einen weiten Weg zum Lernzentrum hat, hat begonnen, das Fahrrad zu benützen. Mittlerweilen unterrichtet sie weitere Studentinnen, Fahrrad zu fahren, was vorher nur den Männern vorbehalten war. Es ist für die Eltern der Jugend in Bamyan kein Problem, dass ihre Söhne und Töchter dieses Studium machen und dass in ihren Augen trotz des globalen und kulturell sensitiven Curriculums von JWL das Studium doch irgendwie westlich, ja sogar christlich in vielen Werten ist. Die Eltern sehen die positive Veränderung ihrer Jugend.

Learning together to transform the world

Zusammen lernen, um die Welt zu verändern, das ist das hohe Ziel von JWL. Durch das gemeinsame Lernen über die kulturellen, staatlichen und religiösen Grenzen hinweg formt sich eine neue Generation, die vor ihrem Hintergrund der Armut und der von Kriegen zerrütteten Länder die Motivation haben, die Welt zu ändern, ihre Realität zu transformieren. Die grossen sozialen, politischen und ökologischen Probleme und Herausforderungen der Welt sind global, und Lösungen können nur global und gemeinsam gefunden werden, vor allem mit den Menschen, die am meisten davon betroffen sind.

Zainap in Bamyan und Grace im Kakuma-Flüchtlingslager haben beide den Kurs über Weltreligionen zu schätzen gelernt. Die eine ist afghanische Muslimin, die andere Christin aus Rwanda, beide haben ihre Sicht über andere Religionen zu gegenseitiger Wertschätzung und Respekt geändert. Grace brachte das bei einer Konferenz der UNESCO und des UNHCR im Frühjahr dieses Jahres zum Ausdruck. Zusammen mit ihrem Mitstudenten Roland (siehe Foto) waren beide JWL-Studenten eingeladen zu sprechen, und sie haben es sehr gut gemacht, mit grosser Souveränität haben sie die Anliegen ihrer Generation zur Sprache gebracht. Diese jungen Leute werden ihren Weg gehen. Wo immer sie sein werden, werden sie einen Beitrag für ihre Gemeinschaft leisten.

Zainap wird am Ende des Grundstudiums mit anderen Mitstudenten aus der Daikundi-Provinz zurückgehen und in Zusammenarbeit mit JWL dort ein Lernzentrum einrichten. Die lokale Regierung bietet die Räumlichkeiten an, wie es auch der Fall in Bamyan ist. JWL wird die Ausstattung beschaffen und auch eine Bezahlung, damit Zainap und ihre Kollegen nun anderen jungen Leuten gutes Englisch unterrichten und sie in einem Online-Studium mit JWL anleiten und unterstützen können. Es sind die Studenten von JWL, die das Programm immer weiter in noch abgelegenere Dörfer tragen und zu langfristigen Veränderungen führen.

 

Peter Balleis SJ

Der Jesuit Peter Balleis ist Executive President des Jesuit Worldwide Learning.