Frauen unter den Propheten

Im Mai 2014 wurde der dritte Band der Reihe «Frauen und Männer im Alten Testament»1 von Walter Bühlmann in einer Buchvernissage in Sursee vorgestellt. Die Literatur- und Theaterkritikerin Klara Obermüller würdigte in einem ausgezeichneten Referat die Neuerscheinung. Walter Bühlmann erweitert in seinem Buch «Prophetinnen und Propheten» die bisherigen Darstellungen der Prophetie Israels und weist besonders auch auf die Bedeutung der Prophetinnen hin. Propheten treten nicht erst in Israel auf. Bereits im 18. Jahrhundert v. Chr. gibt es im Nordosten von Syrien Zeugnisse orientalischer Prophetie. Tonscherben nennen Namen, und der Kenner kann diese den Herrschenden zuordnen, denen die bezeichneten Propheten dienten. Aber Walter Bühlmann macht in seinem kenntnisreichen Buch klar: Propheten gab es immer, auch heute. Damals dienten sie den Kämpfern/Herrschern für Landnahme und -verteidigung. Heute gilt sie eher der «overwhelming», der überfliessenden Menschheit, die Millionen Menschen in die Flucht jagt und in der die masslos Reichen das unermessliche Leid der Armen und Mittellosen erzeugen. Leben wird auf vielfältige Art geopfert. Da kann man schon schockiert fragen, ob denn die Propheten sprachlos geworden sind, oder hört man sie einfach nicht im grossen Sprachwirrwarr der medialen Welt.

Es ist an der Zeit, die Frage nach der tatsächlichen Bedeutung der Prophetie zu stellen. Eine Frage, die Walter Bühlmann in seinem neuen Buch durch alle Zeiten bis heute begleitet. Schritt für Schritt umschreibt er deren Rolle und definiert ihr Wirken. Schliesslich kann er sich auf mögliche Angaben für den weisen Propheten festlegen. Das sind Indizien, wonach sich echt und falsch in der Prophetie unterscheiden lässt. Das ist wichtig, nachdem es selbst im Prophetengesetz des Mose heisst, es sei schwer, die echte von der falschen Prophetie zu trennen. Propheten, schreibt Walter Bühlmann, zeichnen sich durch Nichtkonformität gegenüber der herrschenden Meinung aus. «Mainstream» ist für sie keine Option. Sie sind einzigartig und nehmen darum eine Aussenseiterposition ein. Sie sind unabhängig von Arbeitgebern und streben nicht nach eigenen Vorteilen. Die grosse, zahlende Anhängerschaft ist nicht das Ziel, womit sich denn die Propheten klar vom modernen Sektenführer abgrenzen. Propheten haben den Mut, auch unpopuläre Botschaften zu vertreten. Sie sind frei von Populismus und machen ihn bewusst. Aber auch das gehört zum echten Propheten: Er stimmt überein mit dem Kern des Gottesglaubens, den er damit auch immer wieder definiert. Er ist integer und darum glaubwürdig, und aus dieser Position vermag er, bestehende Verhältnisse zum Bessern zu bewegen, statt sie zu stabilisieren. Er ist deswegen frei von äusseren Autoritäten, weil er sich auf die Kraft der inneren Erfahrung stützt, die er als Auftrag von Gott versteht.

Diese Indizien sind so etwas wie ein Wegweiser durch alle Jahrhunderte der Prophetie, und so kann Bühlmann die Geschichte der Prophetie an vielen Einzelbeispielen aufzeigen. Dabei legt er Wert auf die Festellung, dass Prophetie keine Männersache ist, wie zeitweise geglaubt. Neben den viel zitierten wie Mose, Elija, Jesaja, Jeremia, Ezechiel und jenen im Neuen Testament stellt er eine ganze Reihe prophetischer Frauen vor, die bisher kaum als solche anerkannt wurden. Dazu zählt er Mirjam, die neben Mose wirkte, Debora aus dem Richterbuch, Hanna, Abigajil, Hulda, dann Elisabet, Maria und Hanna im Neuen Testament. Die Reihe ist mit dem Neuen Testament aber nicht zu Ende. Bemerkenswert ist, dass sich für die frühe Prophetin Mirjam das Volk einsetzt. Die Schwester von Mose sollte in der Versammlung schweigen und wurde deshalb mit Aussatz geschlagen. Doch das Volk nahm im Streit um die Führung in der Gesellschaft für sie Stellung, und es wurde gehört. Auch wenn Bühlmann die Propheten und Prophetinnen bis in unsere Zeit nicht aufzählt – das würde viel zu weit führen –, gibt er mit seinen Indizien doch die Kriterien bekannt, an denen man die weisen Männer und Frauen der Prophetie auch heute messen kann.

In ihrer Rede zur Buchvernissage in Sursee ortete Klara Obermüller die heutigen Propheten unter den Intellektuellen: «Das können Schriftsteller sein, Philosophen oder auch Theologen, das können Künstler und Kulturschaffende, das können auch Journalistinnen und Journalisten sein.» Folgerichtig hat Bühlmann sein Buch seiner ehemaligen Studentin, der kritischen Journalistin Klara Obermüller, gewidmet. Folgerichtig weist er in seinem Buch auch immer wieder auf die wenig dankbare Situation der Prophetinnen in der ganzen Geschichte hin, wurden sie von den herrschenden Amtsträgern im Alten Testament wie in christlicher Zeit immer wieder verschwiegen, weil sie nicht ins Klischee der Männerdomäne passten. So nimmt Walter Bühlmann auch in seinem neuen Buch kein Blatt vor den Mund, sondern sagt mutig, was Sache ist. Darüber hinaus baut er mit seiner profunden Sachkenntnis der konkreten Situationen im Nahen Osten zahlreiche Brücken von der heutigen Situation in die damalige Geschichte. Das weckt, wenn man sich mal in die Frühzeit des Themas eingelesen hat, Neugier, was auf den Laien, dem die alten Schriften erratisch und verstaubt vorkommen, erfrischend wirkt und ihn erst noch von Zeit zu Zeit nach dem Originaltext, der Bibel, greifen lässt. Eine methodisch sehr anregende Lektüre also.

1 Walter Bühlmann: Prophetinnen und Propheten, Bd. 3: Frauen und Männer im Alten Testament. (Rex Verlag) Luzern 2014, 160 Seiten.

Willi Bürgi-Schwegler

Willi Bürgi-Schwegler arbeitet
als Journalist in Sursee.