Im Anfang war Gott
nicht im Blick.
Im Anfang war das Wort
allein.
Doch:
Wo ist schon
ein Wort allein?
Es kommt woher.
Aus der Stimme,
die sich
Menschen vernehmen lässt:
Frauen und Männern.
Der Stimme zugewandt
horchten sie hin.
Im Anfang Anspruch
unbedingter Entscheidung.
Im Anfang war die Stimme,
das Wort zu bilden.
Aus Atem geboren
bewirkte sie
alles.
Durch Anspruch
entstand Kraft in allem Tun.
Ein Rufen, Schreien, Locken.
Am Anfang
Lust und Freude
vermengt mit Angst und Schrecken.
Im Anfang folgten sie der Stimme
bis hin zur freien Entscheidung.
Beim Nachdenken über den Johannes-Prolog (Jo 1,1–18) ist wohl die entscheidende Frage, ob denn Gott anfänglich in den Blick kommt? Der Gedanke lässt sich fortsetzen: Am Anfang war ein Wort aus einer Stimme, die aus letztem Schweigen, dem Atem des eigenen Ursprungs schöpfte. Aus ihm wurde alles ins Gewicht seiner selbst geworfen. Wie auf eine Waagschale geworfen, bekam jedes Leben eigenes Gewicht. Jedes menschliche Wesen begann, sich frei zu entscheiden und sein ICH, sein DU, sein WIR zu erfahren. Die Menschen lernten zu verstehen, dass ihnen Lebensatem geschenkt, die ganze Existenz hergegeben ist. Nun rufen Worte, die aus letztem Schweigen stammen, nach Antwort. Dem einen bleibt es theologische Spekulation, der anderen Erfahrung, aus der sie schöpft.
Ausgehen von Erfahrungen
Es sind mehr Frauen als Männer, die im liturgischen Geschehen ihrer Suche nach Transzendenz Ausdruck geben wollen und ihrem Bedürfnis, der Suche nach Sinn für dieses Leben, Stimme und Ton leihen möchten und vor der Frage innehalten: Wer oder Was ist Gott?
Nicht dass jemand je wüsste, wer oder was im streng dogmatischen Sinn Gottes Geheimnisse sind. Auszugehen ist in unserem Zeitalter von Erfahrungen. Von dem, was im Verlauf eines Menschen-lebens einbricht in das Bewusstsein und sich zu Gedanken formt. Auszugehen ist vom Hunger und vom Durst, vom Wunsch und von der Sehnsucht, von Verzweiflung und Lust und von dem, was aus der Mitte der Einzelnen unbedingt heranwächst – aus dem, was Leben letztlich ausmacht: ein Lebenswille, der im erfahrungsreichen Alltag in allen Breitengraden entgegentritt.
Gehe ich von solcher Lebenserfahrung aus, ist es keine in Begriffen eingesperrte Gottheit mehr, nach welcher Frauen und Männer, Kinder und Jugendliche suchen.
Ehrlich gilt es in der geistigen Gemengelage einzugestehen, dass von einer Mehrheit der Menschen in Mitteleuropa mehr eine überpersönliche und alles umfassende Wesenheit als der in Jesus dem Christus Mensch Gewordene gesucht wird.1 Dieser mehr diffusen Grundeinstellung begegnet die in christlichen Gottesdiensten praktizierte Verkündigung.
«Praesentia Dei»
Wenn Gott zur Sprache kommen soll, muss die Verkündigung vom Bewusstsein der Menschen ausgehen, bevor sie den Auftrag, Jesus als den Herrn zu verkünden, benennen kann. Mit anderen Worten: Weil für nicht wenige, die sich zu einem Gottesdienst versammeln, die Überzeugung vorherrscht, an diesem besonderen Ort Antworten auf die urmenschlichen Fragen nach Sinn, Glück und Hoffnung zu erhalten, sind die Mitfeiernden in ihrer Befindlichkeit ernst zu nehmen und dort abzuholen.
Was aber im Verlauf einer christlichen Feier des Glaubens aus den Schriften der Bibel und durch die vorgegebenen Texte von Liturgie-Formularen an ausdrücklichen Erfahrungen mit Gott hörbar wird, trifft zunächst auf ein Bewusstsein von Frauen und Männern, die auf ihre Weise ihrer Dialogpartnerin par excellence, der «Praesentia Dei», begegnen wollen.
Der Zugang, den Frauen und Männer auf ihrer Gottessuche in liturgischen Formen zum Ausdruck bringen, ist demnach ein Zugang aus den erfahrenen Zusammenhängen ihres Lebens. Für eine vorab männerzentrierte Spiritualität bedeutet dies
eine fundamental neue Herausforderung, da sie sowohl den Gottesbegriff wie den Kirchenbegriff, das Verständnis Jesu wie auch die Konfrontation mit seiner Botschaft anders und neu zu buchstabieren hat.
Darum ist die Meinung nicht von der Hand zu weisen, dass der Feminismus unserer Zeit eine Kraft in sich birgt, die schliesslich zu neuer Differenzierung in Philosophie und Theologie führen muss. Was in dieser Hinsicht von Frauen bereits angedacht wurde, will letztlich der gesamten Lebenswelt dienlich sein. Das Fortschreiten männlich geprägter Theologie ist nicht mehr unabhängig davon zu realisieren, oder es setzt sich dem Vorwurf aus, nicht lebensdienlich zu sein.
Dorothee Sölle etwa sprach in ihrem Nachdenken über Gott die Ebene an, um die es hier geht. Ihre Gedanken seien hier aus spezifischer Frauensicht hervorgehoben: «Das Leben selber ist von dieser Qualität, die wir Gott nennen, so durchdrungen, dass wir gar nicht umhin können, von ihr zu zehren und nach ihr zu hungern. Nur wissen wir das oft nicht, weil wir sprachunfähig gemacht worden sind. Wir wagen nicht, das, was in der Tat ‹Gotteserfahrung› genannt zu werden verdiente, mit dem Gott der von Männern verwalteten Religion in Beziehung zu setzen.
Sie haben so lange geredet, die Priester und Theologen, bis wir stumm wurden. Sie haben Gott in Bibel und Liturgie eingesperrt, statt Bibel und Liturgie als Brillen zum Verständnis unseres Alltags zu brauchen … Praesentia Dei – in der Fülle des Gott- Seins und in der Leere der Verlassenheit – , das sind Grunderfahrungen, die ohne Gottessprache stumm und hilflos bleiben, die wir dann nicht teilen können und die uns nicht verändern. Die Gottessprache macht uns sprachfähig, hilft uns beim Kommunizieren dessen, worauf es ankommt, und sie schafft in uns immer wieder ‹das neue Herz und einen neuen gewissen Geist› (Psalm 51,12).»
Zeit ihres Lebens suchte Dorothee Sölle als Theologin und Brückenbauerin zur Literatur mittels sensibler Sprache die Nähe zur Wirklichkeit, welche heutiges Gott-Erleben und Gott-Denken zusammenbringt.
Damit forderte sie zu einer anderen Art auf, «Transzendenz zu denken, sie nicht mehr in der Unabhängigkeit von allem und in der Herrschaft über alles andere zu verstehen, sondern eingebunden in das Gewebe des Lebens».2
Ähnliche Überlegungen sind jener Sicht von Frauen nicht fremd, die sich im Rahmen katholischer Liturgiewissenschaft länger schon äussern. Man erfuhr dies aus ihren Veröffentlichungen, im unmittelbaren Gedankenaustausch wie auch mitten in gottesdienstlichen Feiern von Frauen.
Die gottesdienstliche Wirklichkeit im deutschen Sprachraum macht unterdessen eine neu gewonnene Frauen-Kultur und -Sprache sichtbar, welche sich mit dem zeitgenössischen Verständnis des Gottesdienstes näher abgestimmt hat oder in fruchtbare Verbindung damit getreten ist. Ziel dieser Bestrebungen war und ist es, Liturgie menschengerecht zu konturieren.3
Authentisches Feiern
Es gilt, den Sinn des Liturgiefeierns aufzuzeigen, zu dem sich Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche, mithin mehrere Generationen weiterhin in kleinem oder grösserem Kreis versammeln. Der Rede von den «leeren Kirchen» zum Trotz stellen sich jene, die mitfeiern, der «Praesentia Dei» und erfahren: Gott kommt an, ereignet sich unter uns, bei uns, durch uns. Lasst uns ihn und ihre Kraft feiern! Sonntäglich steht dazu die Einladung an, um periodisch aus Schrifttexten zu schöpfen, die jüdisch-christlicher Quelle entspringen.
Authentisches Feiern hängt somit ebenso ab vom Umgang mit Bibel und Liturgie, deren letzte Intention es ist, ebendiese «Praesentia Dei» zur Sprache kommen zu lassen. Darauf baut die angemessene Feier christlichen Glaubens. Zum christlichen Gottesdienst gehört nach der liturgischen Erneuerung durch das Zweite Vatikanische Konzil, dass alles zur Sprache kommen kann, was die Menschen bewegt: ihr Suchen und Sehnen; ihr Bedürfnis nach Antworten – auch, aber nicht nur in Verarbeitung von Schicksalsschlägen – und zugleich deren Suche nach Orientierung und Verankerung für das weitere Unterwegssein durch Alltag und Beruf.4
Genau darum folge ich als Seelsorger nicht einem eng gefassten Liturgiebegriff, der sich definitorisch klar umreissen liesse; dadurch aber manche Möglichkeit vergibt, Freiräume zu zeitgemässen Formen zu öffnen, die das Beten und Feiern der Menschen heute unterstützen.
Mit dem Gedanken aus einem der neueren Hochgebete ist dies länger schon genügend ausgedrückt und bleibt eine jener Optionen, an welchen das Tun der römisch-katholischen Kirche gemessen sein will. Im Hochgebet IV «Jesus, der Bruder aller», welches ursprünglich aus den 1970er-Jahren in der Schweiz (Synode 72) stammt, heisst die entsprechende Bitte: «Mache deine Kirche zu einem Ort der Wahrheit und der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit, damit die Menschen neue Hoffnung schöpfen.»
Wenn die Versammelten nur schon aus einer Feier diese Option mit in ihren Alltag tragen, wird eines der wichtigen Ziele erreicht sein können: Gottesdienste als Orte erfahren und verstehen zu lernen, in denen menschlicher Sinn gefunden, erlebt und darin eingebettet die Begegnung mit dem Transzendent-Göttlichen erfahren werden kann.5