Franziskus – ein Mann der freien Worte

Wer Papst Franziskus bei einer Generalaudienz live auf dem Petersplatz oder per Medienübertragung erlebt, ist schnell von der Einfachheit seiner Sprache und der Klarheit, mit der er komplexe Glaubensaussagen und Sachverhalte auf die Augenhöhe der Gläubigen herunterbricht, angetan. Nicht nur die Menschennähe fasziniert, wenn Franziskus auf seinem Papamobil «oben ohne» durch die Reihen zieht, anhält, Menschen, besonders die Kranken, umarmt, Kinder segnet. Auch in den Katechesen bezieht er die Menschen mit ein, animiert sie, beginnt frei zu reden, kraftvoll und nachdrücklich. Ein Beispiel: Im November 2013 bat er die auf dem Petersplatz versammelten Gläubigen darum, per Handzeichen aufzuzeigen, wenn sie denn ihr Taufdatum auswendig wüssten. Wie vermutet, war das bei wenigen der Fall. Ein Schmunzeln entwich ihm selbst, als er meinte, die Bischöfe erst gar nicht danach zu fragen. Die Botschaft war klar: Die Taufe ist das eigentliche Datum, das wir feiern sollen; es ist der Beginn des Eintritts in die Kindschaft Gottes, das Sein einer Neuen Schöpfung. Ein anderer Tag, 4. Dezember 2013; erneut der Petersplatz am Mittwochmorgen; Abschluss der Katechesen über das Glaubensbekenntnis. Wenige Worte nur verliert der Papst über die Auferstehung Jesu, weicht mal ab vom Text, hält kurz inne und ergänzt seine Gedanken. Man spürt, dass er fest glaubt, was er sagt. Mehr noch, dass er möchte, dass alle es glauben und begreifen: die Auferstehung ist kein Märchen. Sie ist Realität. Und diese Botschaft soll die ganze Welt hören. Franziskus spricht, und jeder ist angesprochen und gemeint. Das ist missionarisch.

Auftritt gemäss Protokoll

Am 7. Dezember 2013 empfing Papst Franziskus in Privataudienz eine etwa 120 Personen zählende Gruppe, die der Einladung zu den Feierlichkeiten des fünfjährigen Bestehens des Dignitatis-Humanae- Instituts in Rom gefolgt waren. Der Empfang – ein formeller Akt; höfisch geht es zu wie eh und je in den Räumlichkeiten des Apostolischen Palasts. Im Grunde scheinen die kunstvoll gestalteten und verzierten Gänge und Räumlichkeiten der Sala Clementina geradezu dafür bestimmt, die Etikette zu wahren. Der Papst betritt den Raum, ein Blitzlichtgewitter entfacht, die Fernsehkamera läuft. Alles scheint inszeniert. Papst Franziskus begrüsst Kardinal Martino, Ehrenpräsident des Instituts, und nimmt sodann Platz. Man ist bei all der Förmlichkeit geneigt, hinter jeder Geste tiefe Symbolik zu vermuten. Hier ist kein Raum für spontanes Handeln, für intensives Eingehen auf das Gegenüber. Ob Franziskus das alles so angenehm ist? Ob er auch bei solchen Anlässen einmal überraschend das Protokoll sprengt, um die Begegnungen menschlicher zu gestalten? An diesem Tag läuft es, wie es laufen soll.

Menschenwürde – ein Thema, das beschäftigt

In seiner kurzen Ansprache würdigt Franziskus die Arbeit des Instituts, welches sich im Feld der Politikberatung für die Lebensrechte der Menschen einsetzt, doch seine Augen bleiben auf dem Papier gefangen. Das Ablesen, scheint es, ist reine Pflichtübung. Die Worte kommen sehr leise von den Lippen, doch der Inhalt stimmt. Denn es gibt reichlich Berührungspunkte zu seinen eigenen bereits formulierten Kernanliegen: Die Schaffung des Menschen als Abbild Gottes verleiht dem Menschen eine unverlierbare Würde. Zahlreich jedoch sind die Bedrohungen in der heutigen Zeit, die gerade die schwächsten und zerbrechlichsten Glieder der Gesellschaft angreifen, die Ungeborenen, die Ärmsten, die Alten, Kranken und Schwerstbehinderten. Ein ungezügeltes Effizienzstreben sondert diejenigen aus, die nicht mithalten können und nicht in das leistungsorientierte System passen. Franziskus deklariert diese Einstellung als praktizierten Atheismus, weil damit die jedem Menschen von Gott her zukommende Würde mit Füssen getreten wird. Es geht ihm dabei nicht um eine kulturpessimistische Anklage, sondern um einen Aufruf, sich vom Wort Gottes aus Gen 1,26 treffen und in Frage stellen zu lassen. Ganz ignatianisch geprägt spricht er davon, dass wir selbst eine Wahl zu treffen haben, um in unserem Denken und Handeln die Prioritäten zu verändern. Es geht um Umkehr. Es ist eine Ermutigung, selbst aktiv zu werden. Dabei erinnert er an die Botschaft des Evangeliums und die Katholische Soziallehre als Grundgerüst allen Einsatzes für eine veränderte, gerechtere Gesellschaft.

Kritik an bestehenden Missständen und deren Ursachen

Die Menschenwürde, die in der Erlösung durch Jesus Christus erst recht aufstrahlt, scheint ein Schlüssel für das Verständnis der vielbeachteten Kritik des Papstes an einem ausartenden Kapitalismus zu sein, der nicht mehr dem Menschen dient, sondern schadet (siehe «Evangelii Gaudium»). Es geht um eine gute Ordnung des Wirtschaftens und Regierens, die die Würde jedes Menschen achtet und besonders die Benachteiligten nicht ausschliesst. Der Papst selbst macht es vor: Zum Abschluss der Audienz strahlt er beim obligatorischen Händeschütteln und bei den Begegnungen auf, und man merkt, dass für ihn der Mensch, dem er gerade begegnet, für diesen Moment der wichtigste Mensch ist.

 

Thomas Fries

Dr. theol. Thomas Fries ist wissenschaftlicher Mitarbeiter mehrerer Forschungsprojekte an der Universität Zürich und Referent zu Spiritual Care, Spitalseelsorger und Mediator.