Fragwürdige Bilder zum Weg, den Jesus einschlägt

5. Sonntag der Osterzeit: Apg 6,1–7; 1 Petr 2,4–9; Joh 14,1–12

«Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater ausser durch mich.» Was für ein Satz! Wer diese Aussage Jesu in Joh 14,6 in eine Bilder-Suchmaschine eingibt, erhält ein umfangreiches Angebot an elektronischen Postkarten, die vor allem eines in den Blick nehmen: einsam verwunschene Wege, Wolken oder einen heldenhaft majestätischen Jesus.

Der Vers aus der Sonntagslesung bietet sich an, solche Bilder zu generieren. Es ist ja auch einfach, einen Weg zu zeigen für «Ich bin der Weg». Zur «Wahrheit» wird es schon schwieriger, ein konkretes Bild in der Datenbank zu finden. Die Lesung ist der sogenannten ersten Abschiedsrede entnommen.1 Bei oder nach dem letzten Pessachmahl versucht Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern etwas Wichtiges mit auf den Weg zu geben. Es geht um sein Vermächtnis, um das, was er bis hierher an Zeichen gesetzt hat, in seinem Wirken und in seinen Worten und wie es damit weitergehen soll.

Aber wohin gehst du?

Als Judas die Gruppe verlässt (13,31), um Jesus preiszugeben, sagt Jesus: «Kinder, noch kurz bin ich mit euch; suchen werdet ihr mich (…) wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen …» (13,33). Es folgt erneut sein Gebot der Liebe untereinander und darüber, dass sie durch diese Zuwendung zueinander als seine Jünger und Jüngerinnen erkennbar bleiben. Aber Simon Petrus hakt nach: «Herr, wohin gehst du?» (13,36a) Jesus scheint dieser Frage zunächst auszuweichen: «Wohin ich gehe, dorthin kannst du mir jetzt nicht folgen. Du wirst mir aber später folgen» (13,36b). Nach bildreichen Sätzen Jesu zum «Haus des Vaters», in dem Jesus einen Platz für seine Jüngerinnen und Jünger vorbereiten möchte (14,2), behauptet er, sie kennen den Weg dorthin schon (14,4). Diesmal fragt Thomas nach: «Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen?» Doch die Antwort, dass Jesus der Weg sei und nur durch ihn der Weg zum Vater führt, bleibt ein Bilder-Rätsel.

Petrus, Thomas, Philippus …

Thomas und Philippus rahmen den oben zitierten Spruch Jesu mit Fragen sowohl zum bevorstehenden «Weg» (14,5) wie auch zum «Vater» (14,8). Aber weder zum Weg noch zum Ziel gibt Jesus hier klare Antwort. Lässt der Autor des Johannes- Evangeliums die Fragen seiner Zeitgenossen hier durch die Jünger Jesu stellen? Ist es eine Einladung an die Lesenden und Hörenden, nicht mit dem Nachfragen aufzuhören, sondern im Gespräch zu bleiben. Trotz der ausführlichen Antworten Jesu bleiben genug Fragen offen.

Mit einem dreifachen ἐγώ εἰμι-, Ich- Bin-Wort, sagt er ja zunächst etwas über sich selbst. Dem folgt eine Aussage, die die christologische Zentrierung der Kirchen bis heute prägt: Niemand kommt zum Vater, ausser durch Christus. In V. 7 steigert sich dies noch zur Aussage, dass in ihm (Jesus) der Vater zu erkennen ist, bis hin zum provozierenden «Krönung», dass er im Vater sei und der Vater in ihm (V.11). Dieser Satz irritierte wohl nicht nur damals die jüdischen Gemeinden, sondern ist bis heute für den interreligiösen Dialog ein Stolperstein.2

Wo geht es zum Weg?

Wenn Jesus selbst der Weg ist, müsste da nicht gefragt werden, welche Richtung Jesus in seinem Leben einschlug und welche Spur weiterhin verfolgt werden soll? Liest man die dreiteilige Reihung Weg – Wahrheit – Leben nicht als hoheitliche Dreizahl, kann sich die Aufzählung auch als zielführende Richtung erweisen, die zu einem Leben mit und in Jesus führt, nachdem er nicht mehr als leibhaftiger Messias, als Mensch mit Namen Jesus, unter ihnen lebte.

Bild und Erfahrung

Für die Jüngerinnen und Jünger ist Jesus ganz Mensch. Ein Mann Gottes? Ganz sicher. Der Messias? Ja, vielleicht. Aber dass Jesus zusätzlich von anderer, von göttlicher Wesensart sei? – Der Verfasser des Evangeliums bietet auf diese offenen Fragen in und ausserhalb der jüdischen Gemeinde Antworten in Metaphern. Die verschiedenen Facetten, die Jesus in den ἐγώ εἰμι- Worten3 zugeschrieben werden, sind dabei eng mit den Handlungen verbunden, die für die Jesus-Messias-Bewegung zum Identitätsmerkmal wurden.4 Die Aussagen zu Jesus knüpfen sich an seine Zeichenhandlungen, z. B. so, wie die Aussage «Ich bin das Brot des Lebens» (6,35) an das Brot- Vermehrungs-Wunder. Sie sind angebunden an Erfahrungen und konkrete Bilder, in denen die Präsenz Gottes sichtbar und erfahrbar wird.

«Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater ausser durch mich.» Während in Joh 6 das Wunder der Selbstaussage vorausgeht, steht diese Aussage in Joh 14,6 im Zusammenhang der erschütternden Erfahrungen, der Preisgabe aus den eigenen Reihen (13,21–30) und der Bedrohung des Lebens.

Neue Bilder

Die eingangs erwähnten Bilder suggerieren meistens einen beschaulichen und sicheren Weg, den Jesus für die Seinen bereitet. In der biblischen Sprache bereitet Jesus aber nur den Ort der dauerhaften Bleibe. Dass der Weg dorthin für die Zeitgenossen Jesu und die folgende Generation seiner Jüngerinnen und Jünger durch die beschwerlichen Erfahrungen von Verfolgung, Hunger und Bedrohung führte, sollte ausgeblendet werden. Die Zeichen und Wunder, die Jesus wirkte, markieren eine Art Route. Die Frage nach dem Wohin ist demnach eine, die sich im konkreten Leben erst offenbart in der Begegnung mit anderen. Wenn dieser Spruch Jesu überhaupt ein zusätzliches Bild aus einer Datenbank braucht, wären doch Bilder wünschenswert, die auch unangenehme Wahrheiten zeigen oder voller Leben sind. Es ist ein Weg, der den Ort bei Gott bereits in sich trägt.

 

 

 

1 Joh 13,31–14,31. Die revidierte Einheitsübersetzung 2016 verschiebt durch neue Zwischenüberschriften den Akzent ab 13,31. Bisher: «Das neue Gebot» und «Jesu Wort an Petrus» entfallen zugunsten von «Die Überleitung zu den Abschiedsreden».

2 Vgl. Peter G. Kirchschläger: Nur ich bin die Wahrheit. Der Absolutheitsanspruch des johanneischen Christus und das Gespräch zwischen den Religionen (HBS/63), Freiburg i. B. 2010, 200–212.

3 Vgl. die sieben ἐγώ εἰμι-Worte in Joh 6,35; 8,12; 10,9.11; 11,25; 14,6; 15,1.

4 Uta Poplutz: Die johanneischen σημεῖα und ihre Funktion im Plot des vierten Evangeliums, in: Dies. / J. Frey (Hg.): Erzählung und Briefe im johanneischen Kreis (WUNT II/420), Tübingen 2016, 1–23, hier 16.

Katja Wissmiller

Katja Wissmiller

Die Theologin, Fotografin und Journalistin Katja Wissmiller ist Mitarbeiterin der Bibelpastoralen Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks in Zürich.